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BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 308/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 25.11.2003 - 1 StR 308/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 308/03
vom
25.11.2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen
das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Januar 2003
werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft werden der
Staatskasse auferlegt. Diese hat auch die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine dagegen mit der Sachrüge
geführte Revision bleibt erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte
und auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachrüge gestützte Revision
der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, erweist
sich ebenfalls als unbegründet.
Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte in der Nacht zum
3. November 2001 in dem Wohnanwesen seiner Familie seinen Vater,
S. M. , durch die Abgabe von acht Revolverschüssen. Unmittelbar vor
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der Tat hatte sich S. M. , nachdem C. M. , seine Ehefrau
und Mutter des Angeklagten, am Nachmittag des 2. November 2001 ohne sein
Wissen das Schloß der Hauseingangstür ausgewechselt hatte, durch Einschlagen
eines Glaselements der Eingangstür Zutritt zum Haus verschafft. Mit
der späteren Tatwaffe in der Hand ging er auf den Angeklagten zu, wobei er
ihm bis in dessen Zimmer folgte. Nachdem C. M. ihren Ehemann
kurzzeitig festgehalten hatte, gelang es dem Angeklagten, S. M. den
Revolver zu entreißen. Als nunmehr S. M. auf den bis an die gegenüberliegende
Seite seines Zimmers zurückweichenden Angeklagten zustürmte,
gab dieser zunächst sechs Schüsse auf ihn ab, um sich seines Angriffs zu erwehren.
S. M. stürzte tödlich getroffen zu Boden. Daraufhin ging der
Angeklagte auf den regungslos am Boden liegenden Vater zu und gab in der
Annahme, daß er noch leben würde, aus einer Entfernung zwischen 10 und
60 cm zwei weitere Schüsse auf ihn ab. Diese beiden Schüsse haben keinen
Einfluß auf den Eintritt des Todes des S. M. gehabt.
Das Landgericht sah die Abgabe der ersten sechs Schüsse als durch
Notwehr gerechtfertigt an. Durch die Abgabe der beiden letzten Schüsse habe
der Angeklagte einen versuchten Totschlag begangen.
I.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Der Erörterung bedarf
nur folgendes:
Die Aussage des Landgerichts, daß bei dem Angeklagten "sowohl eine
erhebliche Verminderung der Einsichtsfähigkeit als auch der Steuerungsfähigkeit
vorlag", begegnet rechtlichen Bedenken. Die Anwendung des § 21 StGB
kann nicht zugleich auf seine beiden Alternativen gestützt werden. Die erste
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Alternative scheidet aus, wenn der Täter trotz verminderter Einsichtsfähigkeit
das Unerlaubte seines Tuns erkennt. Fehlt ihm bei verminderter Einsichtsfähigkeit
hierzu, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist, die Einsicht, kommt § 20
StGB zur Anwendung (st. Rspr.; vgl. BGHSt 21, 27, 28; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit
5).
Dieser Mangel gefährdet jedoch den Bestand des Urteils nicht. Das
Fehlen der Einsicht infolge verminderter Einsichtsfähigkeit wollte die Schwurgerichtskammer
ersichtlich nicht bejahen. Sie hat sich - sachverständig beraten
- die Überzeugung verschafft, daß "Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht
vorlag"; mit dem Merkmal Schuldunfähigkeit hat sie ausdrücklich Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit angesprochen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer
ihre Überzeugung begründet hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte
dafür, daß dem Angeklagten bei der Abgabe der beiden letzten Schüsse
die Unrechtseinsicht gefehlt habe, hat sie nicht feststellen können. Das Verhalten
des Angeklagten bei wie nach der Tat sprach vielmehr deutlich für eine
Unrechtseinsicht. Damit beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit allein
auf der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit.
II.
1. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, die auf eine
Vernehmung des Rechtsanwalts Dr. Sch. über den von diesem im Zusammenhang
mit dem Austausch des Haustürschlosses erteilten Rat zielt, ist
jedenfalls unbegründet. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen
des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschreiben, die dieser
auch in der Hauptverhandlung vorgetragen hat.
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2. Auch die materiell-rechtlichen Rügen der Staatsanwaltschaft, mit denen
diese eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Totschlags
erstrebt, bleiben ohne Erfolg.
Soweit die Beschwerdeführerin meint, der Angeklagte habe die Tatwaffe
von Anfang an selbst bereitgehalten, versucht sie, die Beweise anders als das
Landgericht zu würdigen. Damit kann sie im Revisionsverfahren jedoch nicht
gehört werden; durchgreifende Beweiswürdigungsfehler zeigt sie weder auf
noch sind solche ersichtlich. Insbesondere hat das Landgericht, auch unter
Berücksichtigung der Vorgeschichte der Tat und des Nachtatverhaltens des
Angeklagten, eine umfassende Bewertung der für und gegen die Einlassung
des Angeklagten sprechenden Indizien vorgenommen.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch nicht ausschließen können,
daß die Abgabe der ersten sechs Schüsse durch Notwehr gerechtfertigt
war. Das Geschehen spielte sich in einem kleinen, engen Zimmer ohne Ausweichmöglichkeiten
für den Angeklagten ab. Das Zustürmen des S.
M. auf den Angeklagten, um ihm die Schußwaffe zu entwenden, gab diesem
in der hierdurch hervorgerufenen lebensbedrohlichen Situation das Recht,
sich durch die sofortige Abgabe der Schüsse zur Wehr zu setzen. Insbesondere
war die Gefahr so unmittelbar, daß zur rechtzeitigen Abwehr des Angriffs die
Abgabe eines Warnschusses nicht mehr ausgereicht hätte.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit



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