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BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 - 4 StR 185/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 25.10.2005 - 4 StR 185/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 185/05
vom
25.10.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober
2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovi,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Halle vom 8. September 2004 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel bleibt ohne
Erfolg.
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher
unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Nachprüfung auf Grund der Sachrüge
hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten, wenn
dieser unter Alkoholeinfluss stand, und seiner Ehefrau wiederholt zu heftigen
Auseinandersetzungen. Dabei schlug er seine Ehefrau und drohte, sie und die
gemeinsame Tochter zu töten.
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Fall II 1:
Am Tattag kam es gegen 11.00 - 11.30 Uhr in dem gemeinsamen Zimmer
im Spätaussiedlerheim wiederum zu einer Auseinandersetzung zwischen
den Eheleuten, nachdem der Angeklagte am Morgen ein Glas Wein und etwa
200 ml Rum getrunken hatte. Dabei packte er mit der rechten Hand den Hals
seiner Ehefrau und drückte ihn einige Sekunden lang so fest zu, dass ihr die
Luft wegblieb und sie am Vorderhals eine etwa 8x2 cm große, quer gestellte,
bandförmige Hautrötung bzw. Druck-/Schürfwunde mit unscharfen Rändern
davontrug.
Bei diesem Übergriff war ihm bewusst, dass er durch das Zudrücken des
Halses das Leben seiner Ehefrau in Gefahr brachte. Schließlich lockerte er
seinen Griff und verließ das Zimmer.
Fall II 2:
Wegen dieses Vorfalls entschloss sich die Geschädigte, noch am selben
Tag mit der gemeinsamen Tochter ein Zimmer in einem benachbarten, unter
Dauerüberwachung stehenden Wohnheim zu beziehen und begann gegen Mittag,
in Gegenwart eines Sozialarbeiters einige Sachen zusammenzupacken.
Der Angeklagte, der zwischenzeitlich zurückgekehrt war, nahm diese Entscheidung
zunächst äußerlich ruhig hin, so dass der Sozialarbeiter keine Bedenken
hatte, die Eheleute allein zu lassen. Gegen 16.00 Uhr wurde dem Angeklagten
klar, dass die Trennung von seiner Frau und seiner Tochter unmittelbar bevorstand.
Ihm kam jetzt der Gedanke, dass er seine Tochter behalten könne, wenn
er seine Ehefrau töte, und er entschloss sich, dies auszuführen. Er ergriff ein
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kurz zuvor aus dem Zimmer seines Bruders beschafftes, auf dem Tisch bereitgelegtes
Brotmesser mit einer knapp 20 cm langen Klinge, packte mit der anderen
Hand seine Ehefrau, als diese ihm arglos den Rücken zuwandte, und
begann sofort, an ihrem Hals im Bereich des Übergangs vom Mundboden
schneidende Bewegungen auszuführen. Dabei fügte er ihr eine 6,5 cm lange
Schnittverletzung zu, bei der der oberflächliche Halsmuskel und dessen Bindegewebshülle
durchtrennt wurden; außerdem erlitt sie Abwehrverletzungen an
den Händen und - durch das Abrutschen des Messers nach unten - eine Hautverletzung
über dem Kehlkopf. Wegen der heftigen Gegenwehr der Geschädigten
konnte der Angeklagte ihr, auch nachdem sie zu Boden gegangen war, keine
weiteren Verletzungen beibringen. Schließlich gelang es einem Mitbewohner
des Heims, der durch die Schreie der Geschädigten auf das Geschehen
aufmerksam geworden war, den Angeklagten zu überwältigen und zu entwaffnen.
Die Geschädigte wurde in ein Krankenhaus gebracht und dort vom 13. bis
19. Januar 2004 stationär behandelt.
2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts begegnet die Verurteilung
des Angeklagten im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB keinen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken.
Allerdings ist nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des
Würgens, der zu würgemalähnlichen Druckmalen oder Hautunterblutungen
führt, eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne dieser Vorschrift. Von
maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die
zwar nicht dazu führen muss, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich
in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Op-
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fers zu gefährden (vgl. BGH NJW 2002, 3264, 3265; NStZ 2004, 618, jeweils
m.w.N.). Angesichts der als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten,
der Angeklagte habe sie so fest gewürgt, dass ihr kurzzeitig die
Luft weggeblieben sei, und der von dem rechtsmedizinischen Sachverständigen
festgestellten Verletzungen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das
Landgericht davon ausgegangen ist, das Würgen sei abstrakt lebensgefährdend
gewesen. Der Umstand, dass die Geschädigte schon kurz nach der Tat
das Wohnheim aus eigener Kraft verlassen konnte, steht dem ebenso wenig
entgegen wie die Tatsache, dass sie sich nicht sogleich in ärztliche Behandlung
begeben hat.
3. Auch soweit sich die Revision gegen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes
im Fall II 2 der Urteilsgründe wendet, bleibt sie - entgegen der
Ansicht des Generalbundesanwalts - ohne Erfolg.
Das Landgericht hat das Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes
aus dem objektiven Tatgeschehen gefolgert, und zwar aus "der massiven
schneidenden Einwirkung des Angeklagten mit einem Brotmesser auf
den Hals der Geschädigten und seines weiteren Einwirkens trotz deren einsetzender
Gegenwehr und lauten Schreien". Dabei hat es berücksichtigt, dass in
unmittelbarer Nähe der Schnittverletzungen am Hals nicht nur die Luftröhre,
sondern auch lebenswichtige Blutbahnen verlaufen. Deren Verletzung hätte
nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, denen
sich das Landgericht angeschlossen hat, schon bei einem Ansetzen des Messers
am Hals in einem nur geringfügig anderen Winkel erfolgen können, was
wesentlich schwerwiegendere, lebensgefährliche Folgen nach sich gezogen
hätte. Die Gefährlichkeit des Messerangriffs auf den Hals des Opfers war dem
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Angeklagten als durchschnittlich intelligentem Mann nach den Feststellungen
auch bewusst. Dass im konkreten Fall die Verletzung nicht lebensbedrohlich
gewesen sei, sei allein glücklichen Umständen und den Abwehrhandlungen der
Geschädigten zuzuschreiben. Soweit sich die Revision gegen die Feststellungen
zur Gefährlichkeit der Tat wendet, deckt sie keine Beweiswürdigungsfehler
auf, sondern nimmt lediglich eigene Würdigung vor.
Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen, zu denen ein Schnitt in den
Hals zählt, ist der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe
liegend. Er ist nach ständiger Rechtsprechung allerdings nur dann rechtsfehlerfrei,
wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände
in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage
stellen können (vgl. BGH NStZ 2004, 51, 52; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,
bedingter 7, jeweils m.w.N.). Mit der Frage, ob sich die Alkoholisierung
des Angeklagten, die zur Tatzeit 2,37 ‰ betrug, und seine psychische Situation
angesichts der sich abzeichnenden Trennung von Ehefrau und Tochter auf
seine Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte ausgewirkt haben, hat sich das
Schwurgericht in den schriftlichen Urteilsgründen nicht ausdrücklich befasst.
Zwar gehören nach ständiger Rechtsprechung hochgradige Alkoholisierung
und affektive Erregung zu den Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes
entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in
den Urteilsgründen bedürfen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter
54 m.w.N.). Hier stellt das Unterlassen einer solchen Erörterung aber keinen
durchgreifenden Mangel dar, weil das sachverständig beratene Schwurgericht
rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass die für die Tatzeit festgestellte Blutalkoholkonzentration
ohne Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des
alkoholgewohnten Angeklagten gewesen ist. Eine hochgradige Alkoholisierung
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lag demnach nicht vor. Dass zu der alkoholischen Beeinflussung eine relevante
affektive Erregung des Angeklagten durch eine vom Tatopfer ausgehende akute
Kränkung hinzugetreten sein könnte, hat das Landgericht im Zusammenhang
mit der Schuldfähigkeitsbeurteilung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen
rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovi Sost-Scheible



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