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BGH, Urteil vom 27. Februar 2004 - 2 StR 146/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 27.2.2004 - 2 StR 146/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 146/03
vom
27.2.2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
25.02.2004 in der Sitzung am 27.02.2004, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Roggenbuck
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin ,
in der Verhandlung
Rechtsanwalt bei der Verkündung
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ab 10.10 Uhr,
in der Verhandlung
als Verteidiger für den Angeklagten C. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
- 4 -
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil
des Landgerichts Bonn vom 10. Mai 2002
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte wegen Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf
Fällen verurteilt wird und
b) aufgehoben, soweit die Einziehung
- der im Eigentum der P.
stehenden Eigentumswohnung mit der Anschrift: ,
und
- des im Eigentum der P.
stehenden Hausgrundstücks mit der Anschrift: ,
angeordnet worden ist. Insoweit entfällt die Einziehungsanordnung.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten B. und die Revision
des Angeklagten C. gegen das vorbezeichnete Urteil werden
verworfen.
3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
- 5 -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung
angeordnet. Es hat weiterhin aus dem Vermögen des Angeklagten
B. 2.979.000 Euro für verfallen erklärt und drei in der Türkei gelegene
Grundstücke, von denen zwei nicht im Eigentum des Angeklagten standen,
eingezogen. Den Angeklagten C. hat es des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge in drei Fällen und der Beihilfe zum unerlaubten
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben
Fällen für schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf
Jahren verurteilt. Dagegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten jeweils
mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.
I. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte B. , der bereits 1991 in der Türkei wegen
"Gründung einer Organisation zur Herstellung von Rauschmitteln“ zu einer
Haftstrafe verurteilt worden war, hatte sich nach seiner Haftentlassung ab Ende
1993 mit seinem Bruder G. zusammengetan, um im großen Stil mit Heroin
zu handeln. G. B. , der in Belgien wohnte, aber in den Niederlanden
unter falschen Namen - im wesentlichen zur Tarnung - eine Möbelfirma und
eine Autoreparaturwerkstatt betrieb, bestellte in der Türkei Heroin, sorgte für
die Empfangnahme und den Absatz in den Niederlanden und veranlaßte Geld-
6 -
transporte in die Türkei zur Bezahlung der Heroinbestellungen. Die Anlage der
Gewinne aus den Drogengeschäften oblag dem Angeklagten N.
B. . Er hatte insbesondere zum Zwecke der Geldwäsche verschiedene
Firmen gegründet, so 1993 in der Türkei - zusammen mit seinem
Vater - die Firma P. in Istanbul, die sich mit dem Handel von Billardartikeln,
später vorwiegend mit Immobiliengeschäften beschäftigte und deren
faktischer Geschäftsführer er war, ebenfalls 1993 in den Niederlanden die Firma
Pr. in Rotterdam (die er später an seinen Bruder verkaufte),
in Deutschland 1995 die Firma A. GmbH in Bonn, die
im wesentlichen Geschäfte im Bau- und Immobilienbereich tätigte, und schließlich
1997 in Rumänien/Bukarest die Handelsgesellschaft "I. “.
Alle diese Unternehmen warfen keine oder nur unbedeutende Gewinne ab. Im
wesentlichen aus Drogengeschäften flossen dem Angeklagten B. jedoch
bereits 1995/1996 ca. 1,7 Mio. DM zu. Der Angeklagte erwarb mit diesen und
weiteren Geldern unter anderem im Jahre 1996 mindestens 22 Grundstücke in
der Türkei.
Gegenstand der Verurteilung sind acht Lieferungen von Heroin zwischen
jeweils 80 bis 90 kg aus der Türkei an G. B. bzw. seine Organisation
in der Zeit ab Sommer 1997 bis Mai 1998. Grundsätzlich waren die Lieferungen
wie folgt organisiert: Als Mittler und Organisatoren auf der Lieferantenseite
traten der in den Niederlanden lebende S. C. und dessen in
der Türkei lebender Cousin A. C. auf. Bei A. C. wurde das Heroin
durch den Angeklagten C. bestellt, der neben anderen Geldkurieren auch
Gelder zur Bezahlung der Drogen aus den Niederlanden in die Türkei brachte.
Den Transport des Heroins von der Türkei in die Niederlande führte die türkische
Spedition T. durch. In den Niederlanden wurde es von G.
B. bzw. seinen Helfern übernommen. Die Bezahlung der Heroinlieferun-
7 -
gen erfolgte in der Regel in mehreren durch die Geldkuriere überbrachten Raten.
Die Kuriere waren zuvor durch den Angeklagten C. angekündigt worden.
Der Einkaufspreis für 1 kg Heroin betrug etwa 15.000 DM (einschließlich der
Transportkosten), der geringste realisierbare Verkaufspreis 25.000 DM.
Im einzelnen:
Im August 1997 bestellte der Angeklagte C. 80 kg Heroin im Auftrag
von G. B. und händigte A. C. in der Türkei für diese Lieferung
zunächst 300.000 Niederländische Gulden und vor seinem Rückflug am
7. September 1997 weitere 200.000 Niederländische Gulden aus. Der Fahrer
der Spedition erhielt nach Durchführung des Transports in den Niederlanden
100.000 Niederländische Gulden, die er dem Inhaber der Spedition aushändigte.
Die zweite Lieferung erfolgte im Oktober/November 1997. Für diese Lieferung
- 85 kg - wurden A. C. 140.000 Niederländische Gulden und etwa
zwei Wochen nach Übergabe des Heroins weitere 285.000 Niederländische
Gulden übergeben. Der Fahrer der Spedition erhielt nach der Übergabe des
Rauschgifts 120.000 Niederländische Gulden, die er in der Türkei an den Inhaber
der Spedition übergab.
Eine dritte Lieferung über 90 kg erfolgte Anfang Dezember 1997. Ein
Geldkurier, der 300.000 Niederländische Gulden zur Bezahlung übergeben
sollte, wurde am Flughafen in Istanbul überfallen. Ein weiterer Kurier überbrachte
A. C. am folgenden Tag 75.000 Niederländische Gulden. Dem Fahrer
der Spedition wurden wiederum 100.000 Niederländische Gulden übergeben,
die er in die Türkei brachte.
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Für die vierte Lieferung im Januar 1998 wurden A. C. 298.000 Niederländische
Gulden und S. C. durch den Angeklagten C. weitere
350.000 Niederländische Gulden oder Deutsche Mark übergeben. Im Anschluß
daran besorgte dieser 85 kg Heroin, die auf dem üblichen Weg in die Niederlande
gelangten und dort in zwei Wohnungen für den Heroinabnehmer H.
C. deponiert wurden. Dort wurden sie am 28. Januar 1998 von der Polizei
sichergestellt.
Im Februar 1998 wurde die fünfte Lieferung durch den Angeklagten C.
bei A. C. telefonisch bestellt und zugleich ein Geldkurier mit 177.000 Niederländischen
Gulden angekündigt. Am 28. Februar 1998 wurden 88 kg Heroin,
die die Spedition aus der Türkei transportiert hatte, in den Niederlanden
an Gehilfen des G. B. übergeben.
Im März 1998 übergab der Angeklagte C. im Auftrag des G.
B. zum Ausgleich der aus den vorangegangenen Lieferungen entstandenen
Zahlungsrückstände bei drei verschiedenen Gelegenheiten insgesamt
400.000 Niederländische Gulden, 300.000 Deutsche Mark und 200.000 Deutsche
Mark oder Niederländische Gulden an A. C. in der Türkei. Bei einem
dieser Treffen bestellte er die sechste Lieferung. Am 24. April 1998 wurden
90 kg, die wiederum von der Spedition T. in die Niederlande gebracht wurden,
an S. C. in den Niederlanden übergeben. Da G. B.
zwischenzeitlich in den Niederlanden unter verschärften Bedingungen inhaftiert
war, übernahm der Angeklagte B. die Abwicklung des Geschäfts.
Am 25. April 1998 wurden 315.000 Niederländische Gulden an S. C. ,
einen Mitarbeiter der Spedition T. , übergeben und von diesem in die Türkei
weitergeleitet.
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Die siebte Lieferung bestellte der Angeklagte C. im Auftrag des Angeklagten
B. im April 1998. In der Folge wurden 81 kg Heroin in die Niederlande
gebracht.
Für die achte Lieferung hatte ein Geldkurier Anfang Mai mindestens
31.000 Niederländische Gulden, die C. zuvor im Auftrag von dem Angeklagten
B. telefonisch angekündigt hatte, an A. C. in der Türkei
übergeben. A. C. , der daraufhin 83,4 kg Heroin besorgt hatte, wurde während
des Transports des Heroins zur Spedition in der Türkei festgenommen.
Das sichergestellte Heroin hatte einen Wirkstoffgehalt von 65 %, für das übrige
gelieferte Heroin geht die Kammer von einem Wirkstoffgehalt von mindestens
50 % Heroinhydrochlorid aus.
Der Angeklagte B. war zwar in die Lieferungen 1 bis 5 nicht unmittelbar
eingeschaltet, stand aber in ständigem Kontakt mit seinem Bruder,
der ihn über den Lauf der Dinge informierte. Im zweiten Halbjahr 1997/Januar
1998 wurden auf seine Weisung von Strohmannkonten in der Türkei 642.000
US-Dollar, sowie nach einer Vielzahl von Umbuchungen weitere 114.800 USDollar
und 148.031,50 US-Dollar auf ein Geschäftskonto seiner Firma I.
in Bukarest transferiert. Der Angeklagte wollte damit unter Inanspruchnahme
steuerlicher Vergünstigungen ein Hotelprojekt verwirklichen.
Nach der Sicherstellung der vierten Lieferung in Wohnungen des H.
C. setzte sich der Angeklagte B. , um die ihm und seinem Bruder
zustehenden Forderungen aufgrund dieser Lieferung zu realisieren, intensiv für
die Übertragung eines Grundstücks des H. C. als Bezahlung auf seine
Firma P. in der Türkei ein. Nachdem sein Bruder G. B. während
der Durchführung der sechsten Lieferung festgenommen worden war, wurde
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der Angeklagte B. in der Folge auch unmittelbar im Rauschgiftgeschäft
tätig.
Der Angeklagte C. , der bei den aufgeführten Lieferungen (hinsichtlich
der fünften Lieferung ist ihm eine Beteiligung nicht vorgeworfen worden) als
Geldkurier und Besteller für den Angeklagten B. und dessen Bruder tätig
war, hatte zuvor in den Jahren 1995/96 unabhängig davon drei weitere Taten
begangen: Er vermittelte 1995 einem türkischen Heroinhändler einen Abnehmer
und übergab in einem Fall einem Kurier des Abnehmers 5 kg und in einem
anderen Fall 11,5 kg Heroin. Da der Abnehmer nur eine Anzahlung geleistet
hatte und den restlichen Kaufpreis schuldig blieb, erhielt der Angeklagte die
ihm zugesagte Provision von 2.000 DM pro Kilo nicht. Ende 1995/Anfang 1996
vermittelte er dem Heroinhändler einen weiteren Abnehmer. Zu konkreten Geschäften
zwischen dem Händler und diesem Abnehmer kam es allerdings erst
später ohne Einschaltung und Kenntnis des Angeklagten. Die Kammer ist für
diese drei Lieferungen von einem Wirkstoffgehalt des gelieferten Heroins von
mindestens 25 % Heroinhydrochlorid ausgegangen.
II. Die Revision des Angeklagten B.
1. Verfahrensrügen
Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
a) Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. d) MRK - Verstoß gegen das Fragerecht
Der Angeklagte macht geltend, die Kammer habe unberücksichtigt gelassen,
daß der türkische Zeuge A. C. bei seiner im Wege der Rechtshilfe
erfolgten richterlichen Vernehmung in der Türkei nicht umfassend nach Folte-
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rungen bei seiner polizeilichen Vernehmung durch türkische Polizeibeamte befragt
werden durfte.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Der Zeuge A. C. war
am 6. Mai 1998 in der Türkei nach polizeilicher Observation mit 83,4 kg Heroin
festgenommen worden. In seiner polizeilichen Vernehmung im Mai 1998 hat er
umfangreiche Angaben zu den festgestellten Lieferungen, zu den Angeklagten
und zu weiteren Tatbeteiligten gemacht, die in einem polizeilichen Protokoll
vom 10. Mai 1998 niedergelegt sind. In späteren Vernehmungen hat er diese
Angaben widerrufen. In der Hauptverhandlung stand er als Zeuge nicht zur
Verfügung. Er wurde deshalb im Wege der Rechtshilfe durch einen türkischen
Richter in Anwesenheit der berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer, des
Staatsanwalts und von Verteidigern der Angeklagten im Juni 2000 kommissarisch
vernommen. Laut Protokoll vom 7. Juni 2000 hat er bei dieser Vernehmung
jegliche Verbindung zu den Brüdern B. oder auch nur deren Bekanntschaft
verneint. Er erklärte u.a.: "Ich wurde in der Rauschgiftabteilung
gefoltert. … Vor dem 5. Schwurgericht in Istanbul ist -…- gegen die Polizisten
mit der Begründung, daß sie mich gefoltert haben, Klage erhoben worden. In
dieser Akte müßte sich unter anderem ein Bericht darüber befinden, daß die
Polizisten mich gefoltert haben". Weiter heißt es in dem Protokoll: "Es wurde
gefragt: In dem Bericht vom 13. Mai 1998 und der Nr. 237 steht, daß A. C.
verletzt worden ist. Ich fordere auf, daß Symptome durch Fragen an ihn persönlich
geklärt und ins Protokoll aufgenommen werden, bevor dieser Bericht
verlesen wird". Nach den Symptomen gefragt sagte der Zeuge, bevor der Bericht
verlesen wurde: “Ich kann mich nicht genau daran erinnern, ob es links
oder rechts war, ich trug an den Armen Spuren aus den Schlägen. Ich hatte
auch verkrustete Verletzungen. Außerdem gab es Spuren des Hängens. Es
gab sie auf meinem Rücken, es gab sie auf meiner Brust.“
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Im folgenden heißt es sodann: "Es wurde beschlossen, die an den Zeugen
gestellten Fragen, die die Art und Weise der Folter betreffen, zurückzuweisen,
weil man der Ansicht ist, daß es nicht sachdienlich ist, diese Fragen
ins Protokoll aufzunehmen, und weil die Fragen zu diesem Punkt auf das Urteil
keinen Einfluß haben.“
aa) Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge,
weil das Protokoll über die Aussage des A. C. als Nebenkläger vor dem
Strafgericht in Istanbul am 28. Februar 2000 in dem auf seine Anzeige zurückgehenden
Verfahren gegen die Polizeibeamten F. und Ta. , die ihn nach seiner
Festnahme vernommen hatten, nicht mitgeteilt wird. Das Protokoll über
diese Vernehmung, in der der Zeuge ausführlich zu den Foltervorwürfen ausgesagt
hatte, ist in der Hauptverhandlung aufgrund des Beschlusses der Kammer
vom 17. April 2001 verlesen worden. Die Revision hat stattdessen ein Protokoll
der staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung des A. C. vom
13. Mai 1998 vorgetragen, das zur Frage etwaiger Folter nicht von Belang ist.
Die Zulässigkeit kann jedoch dahinstehen, weil die Rüge jedenfalls unbegründet
ist.
bb) Das Recht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen
oder stellen zu lassen, ist durch Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe d) der Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und den Grundsatz
des fair trial garantiert. Art. 6 MRK, der als innerstaatliches Recht in der Bundesrepublik,
insbesondere auch bei der Auslegung der §§ 240, 241 StPO zu
beachten ist, gilt auch in der Türkei, die Vertragspartner der Konvention ist.
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (Nachweise
bei BGHSt 46, 93, 94, 95 f.) hat die Zeugenvernehmung nach Art. 6 Abs. 3
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Buchstabe d) MRK grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer
kontradiktorischen Erörterung zu erfolgen. Dies schließt aber die Verwertung
von Aussagen, die im Vorverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung
gemacht wurden, nicht aus, wenn dem Angeklagten - entweder zu dem
Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren
Verfahrensstadium - eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben
wird, den Zeugen selbst zu befragen oder befragen zu lassen. Kann der Angeklagte
an der Zeugenvernehmung nicht teilnehmen, reicht es aus, daß wenigstens
der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend ist und den Zeugen
befragen kann (EGMR, Fall Doorson ./. Niederlande Sammlung 1996 - II
S. 470 Nr. 68, 73: anonymer Zeuge; vgl. auch Vogler, IntKommEMRK - Art. 6
Rdn. 552; siehe auch BVerfG NJW 1996, 3408).
Da sich das Fragerecht aus dem Grundsatz des fair trial ableitet, kommt
es für die Prüfung seiner Verletzung auf die Gesamtheit des Verfahrens an
(EGMR, Fälle Windisch StV 1991, 193, 194; Delta ÖJZ 1991, 425, 426; Vidal
EuGRZ 1992, 440, 441; van Mechelen StV 1997, 617, 619; P.S. StV 2002, 289,
290; ebenso Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 6 MRK
Rdn. 226). Ein Konventionsverstoß liegt dann nicht vor, wenn die Verteidigungsrechte,
deren Verletzung geltend gemacht wird, insgesamt angemessen
gewahrt wurden (EGMR, Fälle Windisch StV 1991, 193, 194; Kostovski MDR
1991, 406, 407; Delta ÖJZ 1991, 425, 426; Asch EuGRZ 1992, 474, 475).
Gemessen an diesen Grundsätzen kann hier in der Nichtgewährung des
Fragerechts für einzelne Fragen, die die Art und Weise der von dem Zeugen
geschilderten Folter betrafen, kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchstabe d)
MRK gesehen werden:
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Der Zeuge A. C. konnte grundsätzlich von der Verteidigung im
Rahmen der kommissarischen Vernehmung am 7. Juni 2000 befragt werden.
Er hat über Folter berichtet und auch einzelne Symptome angegeben. Von einer
weiteren Befragung zu diesem Punkt waren daher wesentliche neue Erkenntnisse
nicht mehr zu erwarten, solche werden auch von der Revision nicht
vorgetragen.
Die Strafkammer hat in der Hauptverhandlung durch Beschluß vom
17. April 2001 die Verlesung des Hauptverhandlungsprotokolls vom 28. Februar
2000 des Verfahrens vor der 5. Kammer des Strafgerichts Istanbul angeordnet,
in dem A. C. als Nebenkläger im Verfahren gegen die Polizeibeamten
F. und Ta. ausführliche Angaben zu den von ihm angegebenen Folterungen
gemacht hat. Das Landgericht hat außerdem das in dem - aufgrund einer Anzeige
des Zeugen A. C. eingeleiteten - Verfahren gegen die Polizeibeamten
F. , Ta. und Ca. wegen Mißhandlung einer Einzelperson ergangene freisprechende
Urteil sowie die die gerichtsmedizinische Untersuchung des Zeugen
betreffenden Anordnungen und Feststellungen in jenem Verfahren verlesen.
Die Strafkammer hat sich ferner intensiv um die Vernehmung des Zeugen
in der Hauptverhandlung bemüht. Eine Überstellung des zunächst inhaftierten
Zeugen A. C. wurde von den türkischen Behörden abgelehnt. Auf eine Ladung
hat sich der später auf freiem Fuß befindliche Zeuge gegenüber dem eingeschalteten
Verbindungsbeamten hinhaltend geäußert und teilweise Hinderungsgründe
vorgeschoben. Auch auf das Angebot einer Vernehmung unter
Verwendung der Videotechnik hat er ablehnend reagiert.
Die Strafkammer hat schließlich ihre Überzeugung von der Täterschaft
des Angeklagten B. nicht nur auf die Aussage des A. C. , sondern
auch auf eine Vielzahl weiterer Zeugen und anderer Beweismittel gestützt.
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b) Rügen nach § 258 Abs. 2, 3 und § 244 Abs. 6 StPO
Die Revision beanstandet weiter, daß dem Angeklagten B. zu einem
von seinem Verteidiger unmittelbar vor der Urteilsverkündung gestellten Hilfsbeweisantrag
nicht erneut das letzte Wort gewährt worden und der Antrag weder
beraten noch beschieden worden sei.
Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich dazu folgendes:
Nach Schluß der Beweisaufnahme wurde dem Angeklagten B. am
30. April 2002 das letzte Wort gewährt. Die Hauptverhandlung wurde fortgesetzt
am 10. Mai 2002 11.00 Uhr. Für diesen Tag war die Verkündung des Urteils
vorgesehen. Vor der beabsichtigten Urteilsverkündung bat der Verteidiger
des Angeklagten B. um das Wort. Er verlas sodann einen "Hilfsbeweisantrag“,
der zum Protokoll genommen wurde. Erklärungen hierzu wurden von
den weiteren Verfahrensbeteiligten nicht abgegeben. Das Urteil wurde um
11.40 Uhr verkündet. Im Protokoll ist insoweit ausdrücklich vermerkt, daß nicht
wieder in die Beweisaufnahme eingetreten wurde.
aa) Rüge des § 258 Abs. 2, 3 StPO
Die Vorschriften über die Gewährung des letzten Wortes sind nicht verletzt.
Die Verfahrensweise des Landgerichts ist unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt
nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden
Meinung in der Literatur ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2
StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluß der Beweisaufnahme
nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist. Wann von einem
- u.U. konkludenten - Wiedereintritt auszugehen ist, ist nach der Rechtsprechung
anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere
liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Aus-
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druck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozeßbeteiligten in der Beweisaufnahme
fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert
werden (BGH NJW 1987, 660 - Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86;
BGHR StPO § 258 Abs. 3 - Wiedereintritt 2; BGH, Urt. v. 25. Oktober 1966 -
1 StR 402/66). Deshalb ist die bloße Entgegennahme von Hilfsbeweisanträgen,
bei denen der Antragsteller auf die Bescheidung vor der Urteilsverkündung
verzichtet und zu denen andere Verfahrensbeteiligte keine Erklärungen
abgegeben haben, auch nicht als Verfahrensvorgang angesehen worden, der
die Pflicht zur erneuten Gewährung des letzten Wortes auslöst (BGHR § 258
Abs. 3 Wiedereintritt 10 = NStZ-RR 1999, 14; BGH NJW 1987, 660). Das Vorgehen
des Strafkammervorsitzenden entsprach dieser Rechtsprechung.
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, es komme für die
Frage der Neuerteilung des letzten Wortes nur auf den objektiven Charakter
des Prozeßgeschehens und dessen potentielle Bedeutung für die Sachentscheidung
des Gerichts an (Rübenstahl GA 2004, 33, 43), gibt diese Meinung
dem Senat keinen Anlaß, seine Rechtsprechung zu ändern.
Soweit die Revision meint, die Senatsentscheidung vom 17. Januar
2003 - 2 StR 443/02 (BGHSt 48, 181) habe bereits dargelegt, daß es für die
Erforderlichkeit der Neuerteilung des letzten Wortes nicht auf einen Wiedereintritt
in die Verhandlung ankomme, läßt sie außer Acht, daß jene Entscheidung
eine anders gelagerte, gemäß § 258 Abs. 3 StPO zu beurteilende Verfahrenskonstellation
vor der Urteilsberatung betraf, bei der sich die Frage eines Wiedereintritts
nicht stellte.
bb) Rüge des § 244 Abs. 6 StPO - unterlassene Beratung und Bescheidung
des Hilfsbeweisantrags
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Demgegenüber beanstandet die Revision dem Grunde nach zu Recht
einen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO i.V.m. § 246 Abs. 1 StPO, weil das
Landgericht den Hilfsbeweisantrag nicht verbeschieden hat.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht verpflichtet, bis zum Beginn
der Urteilsverkündung, auch nach abgeschlossener Beratung, Beweisanträge
entgegenzunehmen und über sie prozessordnungsmäßig zu entscheiden
(BGH NStZ 1992, 248 und 346). Unterläßt es das Gericht, über diesen Antrag
zu entscheiden, so verstößt es gegen § 244 Abs. 6 StPO. Auf diesem Fehler
beruht das Urteil hier jedoch nicht. Ein Beruhen des Urteils zum Schuldspruch
und Strafausspruch sowie zu den Nebenentscheidungen zu der Einziehung
und zum Verfall kann schon deshalb ausgeschlossen werden, weil der Hilfsbeweisantrag
nur mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung in einem inneren
Zusammenhang steht und nur für diese von Bedeutung war.
Aber auch insoweit ist das Übergehen des Hilfsbeweisantrags im Ergebnis
unschädlich, weil das Landgericht die Beweisbehauptungen des Antrags für
unerheblich halten durfte. Es hätte ihn deshalb nach § 244 Abs. 3 StPO ablehnen
können, wie sich aus den Urteilsgründen ohne weiteres ergibt. Deshalb
kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Unterlassen der Entscheidung
(und der Beratung) über den Hilfsbeweisantrag insgesamt ausschließen
(BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 5, 9; vgl. Meyer-Goßner, StPO,
46. Aufl. § 244 Rdn. 86).
Mit dem Hilfsbeweisantrag sollte durch Anhörung eines namentlich benannten
ethnokulturellen Sachverständigen unter Beweis gestellt werden, daß
das Verhalten des Angeklagten, der sich u.a. in der Hauptverhandlung von seinem
Bruder und seinem Onkel, die ebenfalls in die ihm als Mittäter vorgeworfenen
Rauschgiftgeschäfte verstrickt waren, distanziert hat, auf eine kritische
- 18 -
selbständige Entwicklung des Angeklagten und eine damit verbundene Loslösung
aus der kurdischen Familienstruktur schließen lasse. Seine nachdeliktische
Persönlichkeit und Gefährlichkeitsprognose seien aufgrund dessen positiv
zu beurteilen. Durch das Sachverständigengutachten sollten keine neuen
Persönlichkeitsmerkmale des Angeklagten unter Beweis gestellt, sondern lediglich
auf eine andere Bewertung der bereits bekannten Tatsachen, nämlich
eine positive Sozialprognose und die mangelnde Gefährlichkeit des Angeklagten
für die Allgemeinheit hingewirkt werden.
Tatsächlich hat das von einem psychiatrischen Gutachter sachverständig
beratene Landgericht seinem Urteil dieselben Umstände zugrunde gelegt,
die in die Kenntnis des neu benannten Sachverständigen gestellt worden waren,
u.a. den Umstand, daß sich der Angeklagte von seiner Familie losgelöst
hatte. Die Urteilsgründe belegen außerdem, daß sich das Landgericht und der
von ihm hinzugezogene Sachverständige der Besonderheiten, die sich aus der
Verwurzelung des Angeklagten in einem fremden Kulturkreis ergaben, bewußt
waren. Die aus diesen Umständen abzuleitende Bewertung für die Gefährlichkeit
des Angeklagten und seine Sozialprognose hat der Tatrichter im Rahmen
der rechtlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB und seiner
Gesamtwürdigung von Täter und Tat vorzunehmen. Dies ist nicht Aufgabe des
Sachverständigen. Dieser hat sich lediglich zum Zustand des Angeklagten und
zu den Persönlichkeitsmerkmalen zu äußern, die für das Gericht zur Beurteilung
des Hanges und der zu stellenden Gefährlichkeitsprognose bedeutsam
sind (BGHR StPO § 339 Sachverständiger 1; BGH bei Holtz MDR 1990, 97).
Daß der in dem Hilfsbeweisantrag benannte Sachverständige insoweit neue
erhebliche Umstände hätte bekunden können, ist weder dem Antrag noch dem
Revisionsvorbringen zu entnehmen.
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Die Bewertung der erwiesenen Tatsachen und der Umstände für den
Hang und die Gefährlichkeit des Angeklagten hat die Strafkammer im übrigen
rechtsfehlerfrei vorgenommen. Maßgeblich hierfür sind nicht die kurdischen
Maßstäbe, sondern die des mitteleuropäischen Kulturkreises und der deutschen
Rechtsordnung.
c) Die Rüge des § 261 StPO ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
2. Sachrüge
Die Sachrüge hat demgegenüber teilweise Erfolg.
a) Die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge deckt, soweit
das Landgericht von einer mittäterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an
den Rauschgiftgeschäften des G. B. ausgegangen ist, keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Daß sich die Beteiligung des
Angeklagten teilweise auf die Mitwirkung bei der Planung, den Aufbau der Organisation
und die Anlage der Drogengelder beschränkte, steht - wie das
Landgericht zu Recht angenommen hat - der Annahme einer mittäterschaftlichen
Beteiligung nicht entgegen. Für eine Tatbeteiligung als Mittäter reicht ein
auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernder
Beitrag aus, der auch eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung
sein kann (vgl. BGHSt 40, 299, 301; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26
und Tatinteresse 2; BGH NStZ-RR 2000, 327, 328; 2001, 148; 2002, 74, 75).
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Jedoch hat das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der dem Angeklagten
zuzurechnenden Betäubungsmittelgeschäfte unzutreffend bewertet.
Dabei kann dahinstehen, ob sich die acht Lieferungen für den in die unmittelbaren
Tatausführungen eingebundenen G. B. als acht Fälle des
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen darstellen oder
auch insoweit Handlungseinheiten durch einheitliche Zahlungen für Rückstände
aus mehreren Geschäften oder durch zeitgleiche Bestellungen (Lieferung
sechs) gegeben sind. Denn nach ständiger Rechtsprechung und h. M. ist
die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit nach dem individuellen Tatbeitrag
jedes einzelnen Mittäters zu beurteilen (BGH StV 2002, 73; BGHR § 52
Abs. 1 in dubio pro reo 7; zustimmend Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. vor § 52
Rdn. 7, 8; Roxin in LK 11. Aufl. § 27 Rdn. 54; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl.
§ 52 Rdn. 16; krit. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 52 Rdn. 21).
Hier hat sich der Angeklagte an den eigentlichen Ausführungshandlungen des
Betäubungsmittelhandels jedenfalls bei den Lieferungen 1 bis 3 und 5 nicht
beteiligt. Seine Mitwirkung beschränkte sich bei diesen Lieferungen im Vorfeld
auf die Beteiligung am Aufbau der Organisation, insbesondere auf die Bereitstellung
von Firmen zur Verwaltung und Abschöpfung der Drogengelder und
nach der Durchführung der Lieferungen in der Anlage der Erlöse. Sein mittäterschaftlicher
Tatbeitrag ist deshalb insoweit - da eine Zuordnung zu einzelnen
Lieferungen nicht möglich ist - zu seinen Gunsten nur als eine Handlung
zu werten. Anders verhält es sich mit seiner Beteiligung an den Lieferungen 4,
6, 7 und 8. Bei der Lieferung 4, die in den Niederlanden sichergestellt wurde,
bemühte er sich zur Eintreibung der gegen den Abnehmer bestehenden Forderung
aus diesem Geschäft intensiv um die Übertragung eines in Izmir gelegenen
Grundstücks des Abnehmers H. C. auf die Firma P. . Nachdem
sein Bruder G. B. während der bereits angelaufenen sechsten Liefe-
21 -
rung festgenommen worden war, ist der Angeklagte auch im Rahmen der unmittelbaren
Ausführungshandlungen während der 6., 7. und 8. Lieferung tätig
geworden. Diese Tatbeiträge haben neben den auch hier vorliegenden Handlungen
im Vorfeld und bei der Anlage der Drogengelder ein solches Gewicht,
daß insoweit - wie auch vom Landgericht angenommen - von rechtlich selbständigen
Taten auszugehen ist.
Der Senat hat deshalb den Schuldspruch wie aus der Urteilsformel ersichtlich
abgeändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der bestreitende
Angeklagte insoweit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für die Fälle 1
bis 3 und 5 festgesetzten Einzelstrafen von jeweils 14 Jahren. Der Senat setzt
für diese als eine Tat zu behandelnden Fälle unter Berücksichtigung der
rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen der Kammer die allein in Betracht
kommende Mindesteinzelstrafe mit 14 Jahren fest. Dadurch ist der Angeklagte
in keinem Fall beschwert. Die Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren
bleibt davon unberührt. Denn bei unverändertem Unrechts- und Schuldgehalt
kann die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses
kein maßgebliches Kriterium für die Strafzumessung sein (BGHSt 41, 368, 373;
BGH NStZ 1997, 233; BGH, Beschl. vom 18. Juni 2003 - 1 StR 184/03), zumal
hier der Zumessungsspielraum (14 Jahre und sechs Monate als Einsatzstrafe
- höchstmögliche Gesamtfreiheitsstrafe 15 Jahre) denkbar gering ist.
Im übrigen weist das Urteil mit Ausnahme der noch zu erörternden Einziehungsanordnung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
b) Hingegen erweist sich die Einziehung der im Eigentum der Firma
P. stehenden beiden Immobilien als rechtsfehlerhaft.
- 22 -
Zwar ist die Einziehung ausländischer Vermögenswerte grundsätzlich
möglich, weil das Strafurteil nur innerstaatlich wirkt und daher nicht in die Souveränität
des ausländischen Staates eingreift. Die Vollstreckung richtet sich
nach internationalen Abkommen, hier dem VN-Suchtstoffübereinkommen vom
20. Dezember 1988 (BGBl. 1993 II 1136; 1996 II 1479), das gemäß Art. 5
Abs. 1 i.V.m. Art. 3 des Übereinkommens die Einziehung von Erträgen und
Vermögenswerten aus Betäubungsmittelstraftaten zuläßt.
Allerdings fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage für die Einziehung
der nicht im Eigentum des Angeklagten stehenden Immobilien zum Zeitpunkt
der tatrichterlichen Entscheidung.
Bei der Firma P. handelt es sich um eine GmbH nach türkischem
Recht, deren Gesellschafter hier zwar der Angeklagte und sein Vater waren,
die aber als juristische Person selbst Eigentum erwerben konnte. Die Einziehung
der Grundstücke nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB schied daher aus. Entgegen
der Auffassung des Landgerichts konnte die Einziehung aber auch nicht
auf § 75 Satz 1 Nr. 4 StGB gestützt werden.
Nach § 75 Satz 1 Nr. 4 StGB werden Handlungen eines Generalbevollmächtigten
oder einer in leitender Stellung tätigen Person einer juristischen
Person dieser zugerechnet mit der Folge, daß der juristischen Person zustehende
Gegenstände eingezogen werden können. Eine solche Position hatte
der Angeklagte B. nicht inne. Nach Auffassung des Landgerichts war
aber der Angeklagte den in § 75 Satz 1 Nr. 4 StGB genannten Personen
gleichzustellen, weil er als faktischer Geschäftsführer der GmbH gehandelt habe.
Der Verweis des Landgerichts auf die von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze zur Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers, der etwa im
Rahmen der Insolvenzdelikte wie ein vertretungsberechtigtes Organ behandelt
- 23 -
werde, trägt diese Gleichstellung allerdings nicht. Denn es geht nicht um die
Strafbarkeit des "Vertreters", sondern um einen Rückgriff auf die dahinter stehende
juristische Person, die über eigene Rechte, z.B. auch über Eigentum
verfügt. Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich vielmehr, daß der Gesetzgeber
bei § 75 Satz 1 Nr. 4 StGB an formale Rechtspositionen anknüpfen
wollte. Mit der Einfügung von § 75 Satz 1 Nr. 4 StGB durch das Zweite Gesetz
zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (2. UKG vom 27. Juni 1994, BGBl. I
1440) sollte die Zurechnung des Verhaltens von Personen, die die Geschicke
von Personenvereinigungen verantwortlich bestimmen, zwar über den Kreis
von organ- oder vertretungsberechtigten Gesellschaftern hinaus ausgedehnt
werden (BT-Drucks. 12/192 S. 14). Die Umgehung der Vorschrift durch eine
Übertragung der Leitung und eigentlichen Geschäftsführung auf bestimmte leitende
Angestellte, die vom bisherigen Recht nicht erfaßt waren, sollte verhindert
werden. Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber aber keine Anknüpfung an
das Verhalten jedweder natürlicher Person, die befugtermaßen für die juristische
Person handelt. Der Vorschlag des Bundesrats, der die Einbeziehung
auch "sonstiger Verantwortlicher" vorsah (BT-Drucks. 12/192 S. 37), wurde aus
diesem Grund abgelehnt (BT-Drucks. 12/192 S. 43). Die Umschreibung des
Personenkreises sollte abschließend sein (BT-Drucks. 12/192 S. 32; Schmidt
in LK 11. Aufl. § 75 Rdn. 12). Erst durch das Ausführungsgesetz zum Zweiten
Protokoll vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen
Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme
betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998
und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit
strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung
im Hinblick auf die Einführung des Euro vom 22. August 2002 (BGBl. I
3387) wurde in § 75 Satz 1 StGB eine Nummer 5 eingefügt, die auch sonstige
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Personen, die für die Leitung des Betriebes oder Unternehmens verantwortlich
handeln, einbezieht. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber alle Personen
erfassen, die generell zum Kreis der Leitung zählen ohne Beschränkung auf
die Innehabung einer formalen Rechtsposition (BT-Drucks. 14/8998 S. 8, 9, 11;
Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG 3. Aufl. § 30 Rdn. 18d), um eine Umgehung
der Norm auch durch die Verlagerung der Verantwortung zu verhindern. Ob der
faktische Geschäftführer unter die Regelung des § 75 Satz 1 Nr. 5 StGB fällt,
braucht der Senat indes nicht zu entscheiden, weil eine rückwirkende Anwendung
der Norm im Hinblick auf deren Strafcharakter nicht in Betracht kommt.
Die Einziehungsanordnung hatte daher, soweit sie die Immobilien der
Firma P. betrifft, zu entfallen.
- 25 -
III. Revision des Angeklagten C.
1. Die Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch:
a) Die Rüge des § 338 Nr. 3 StPO ist offensichtlich unbegründet.
b) Auch die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Antrags auf Videovernehmung
von Zeugen (§§ 247 a Satz 1 2. Halbsatz, 244 Abs. 2 StPO) hat
keinen Erfolg.
Mit einem - an einem der letzten Verhandlungstage gestellten - Antrag
hatte der Angeklagte die Vernehmung von 26 Zeugen im Wege der Videokonferenz
gefordert. Die Verteidigung sah darin insbesondere die Möglichkeit der
unmittelbaren und uneingeschränkten Befragung der Zeugen durch die Angeklagten.
Nach einem dem Antrag beigefügten, von der Revision jedoch nicht
vorgelegten Schreiben der NCS GmbH
sollte die Videokonferenz technisch möglich sein. Diesen - als Beweisanregung
verstandenen - Antrag hatte die Kammer mit ausführlicher Begründung abgelehnt,
weil sich diese Beweiserhebung nicht aufdrängte.
Die Rüge entspricht schon nicht den Begründungsanforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Es werden weder das von der Revision erwähnte
Schreiben der NCS GmbH vom 22. April
2002 noch der Beschluß der Kammer vom 17. April 2001, auf den in dem die
Videovernehmung ablehnenden Beschluß vom 24. April 2002 Bezug genommen
wird, vorgetragen. Nicht mitgeteilt werden ferner die aus den Akten ersichtlichen
Bemühungen der Strafkammer um eine Videovernehmung türkischer
Zeugen zu Beginn des Verfahrens, insbesondere die Stellungnahme des
Auswärtigen Amts vom 27. Januar 2000.
- 26 -
Die Rüge wäre aber auch sowohl nach § 247 a Satz 1 StPO als auch
nach § 244 Abs. 2 StPO unbegründet.
Voraussetzung für die im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters zu
treffende Anordnung der Videovernehmung eines Zeugen ist nach § 247 a Satz
1 2. Halbsatz StPO, daß die Vernehmung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich
ist. Daß die Aufklärungspflicht hier die audiovisuelle Vernehmung der
Zeugen geboten hat, hat die Kammer rechtsfehlerfrei verneint. Sämtliche Zeugen,
deren audiovisuelle Vernehmung beantragt worden war, waren bereits im
Wege der Rechtshilfe kommissarisch vernommen worden. Dabei konnte in Abwägung
zu dem erwarteten Aufklärungserfolg auch die weitere Verfahrensverzögerung
berücksichtigt werden und daß der Zeuge A. C. eine Videovernehmung
bereits einmal abgelehnt hatte. Zudem war nicht zu erwarten, daß die
türkischen Behörden eine Videovernehmung, bei der die Verfahrensleitung
dem deutschen Gericht oblegen und den Prozeßbeteiligten ein unmittelbares
Fragerecht zugestanden hätte, zugestimmt hätten. Eine vertragliche Regelung
über die in Form der Videokonferenz zu gewährende Rechtshilfe mit der Türkei
besteht bisher nicht. Das RhÜbK-EU vom 29. Mai 2000 (ABl C 197 vom 12. Juli
2000), das in Art. 10 Abs. 5 ausdrücklich die Durchführung einer Videokonferenz
nach dem Recht des ersuchenden Staates regelt, war zum Zeitpunkt der
Urteilsverkündung von der Bundesrepublik nicht ratifiziert worden.
2. Sachrüge
Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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Die Revision des Angeklagten C. war daher zu verwerfen. Damit ist
auch der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gegenstandslos.
Rissing-van Saan Detter Bode
Otten Roggenbuck



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