BGH,
Urt. v. 27.6.2001 - 3 StR 136/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 136/01
vom
27. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27.
Juni 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Pfister, von Lienen,
Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 20. November 2000 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im
übrigen "wegen schweren Raubes in 2 Fällen, schwerer
räuberischer Erpressung in 5 Fällen, davon in 2
Fällen tateinheitlich mit Vergewaltigung und in 4
Fällen tateinheitlich mit Freiheitsberaubung, und wegen
versuchter räuberischer Erpressung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt". Mit seiner hiergegen
gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
materiellen Rechts. Er beanstandet namentlich die
Beweiswürdigung, soweit sich das Landgericht in den
Fällen 5, 6 und 8 der Anklage von seiner Täterschaft
überzeugt hat, und macht geltend, das Landgericht habe hierbei
gegen den Zweifelssatz verstoßen. Das Rechtsmittel bleibt
ohne Erfolg.
1. In der zugelassenen Anklage war dem Angeklagten zur Last gelegt
worden, zwischen dem 4. September und dem 1. Dezember 1999 zur
Erbeutung von Bargeld zehn Überfälle auf
Sonnenstudios, Reisebüros, ein Blumengeschäft und
eine Boutique verübt, dabei in zwei Fällen
zusätzlich Sexualdelikte gegen die weiblichen Tatopfer
begangen sowie in einem weiteren Fall versucht zu haben, im
Anschluß an einen der Überfälle das Opfer
durch telefonische Drohungen zur Zahlung von 10.000 DM zu erpressen.
Der Angeklagte hat vier der Überfälle sowie die
versuchte räuberische Erpressung in vollem Umfang oder
teilweise eingeräumt (Fälle 1, 2, 3, 4 und 11 der
Anklage), die Begehung der übrigen ihm vorgeworfenen Taten
dagegen bestritten (Fälle 5 bis 10 der Anklage). Das
Landgericht hat sich in den Fällen 5, 6 und 8 aufgrund der
Aussagen der überfallenen Tatopfer, die den Angeklagten
bereits bei einer polizeilichen Wahlgegenüberstellung mit
Sicherheit wiedererkannt hatten, von dessen Täterschaft
überzeugt und ihn verurteilt. Im Fall 10 hat das Landgericht
das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO
eingestellt. Hinsichtlich der Fälle 7 und 9 hat es den
Angeklagten dagegen freigesprochen. Zwar spreche vieles dafür,
daß der Angeklagte auch in diesen Fällen der
Täter gewesen sei. Jedoch seien insoweit nicht
überwindbare Zweifel geblieben, weil ihn die beiden Opfer
dieser Taten bei der polizeilichen Wahlgegenüberstellung nicht
ohne Vorbehalt als Täter identifiziert hätten und die
sich hieraus ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit des
Wiedererkennens auch durch ihre Aussage in der Hauptverhandlung nicht
ausgeräumt seien.
2. Die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung des
Landgerichts in den Fällen 5, 6 und 8 der Anklage gehen fehl.
a) Das Landgericht war durch den Zweifelssatz nicht gezwungen, seiner
Würdigung des Beweisergebnisses zur Täterschaft des
Angeklagten in diesen Fällen zugrunde zu legen, dieser sei in
den Fällen 7 und 9 nicht der Täter gewesen, vielmehr
seien diese Überfälle durch einen anderen
Täter begangen worden, der dem Angeklagten in hohem
Maße ähnlich sehe.
Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" ist keine
Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu
befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung
nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für
den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar
entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (vgl. BVerfG MDR
1975, 468, 469; NJW 1988, 477; BGHR StPO § 261 Einlassung 4;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 261 Rdn.
26 und 29; Schlüchter in SK-StPO 13. Lfg. - Stand Mai 1995 -
§ 261 Rdn. 69). Auf einzelne Elemente der
Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht
anzuwenden. Er gilt jedenfalls nicht für entlastende
Indiztatsachen, aus denen lediglich ein Schluß auf eine
unmittelbar entscheidungsrelevante Tatsache gezogen werden kann (BGHSt
25, 285, 286 f.; 35, 308, 316; 36, 286, 289 ff.; BGH NJW 1983, 1865;
vgl. auch BGH NStZ 1999, 205, 206; BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung 20; a. A. in die Entscheidung nicht tragenden
Ausführungen: BGH NJW 1989, 1043, 1044). Kommt das Gericht
bezüglich einer derartigen Indiztatsache zu einem non liquet,
hat dies somit nicht zur Folge, daß sie zugunsten des
Angeklagten als bewiesen anzusehen wäre, vielmehr ist sie mit
der ihr zukommenden Ungewißheit in die
Gesamtwürdigung des für die unmittelbar
entscheidungserhebliche Tatsache gewonnenen Beweisergebnisses
einzustellen (BVerfG MDR 1975, 468, 469; BGH NJW 1983, 1865;
mißverständlich daher BGHSt 25, 285, 286, wonach nur
das erwiesene Alibi Einfluß auf die Entscheidung haben
könne, mit insoweit krit. Anm. Foth NJW 1974, 1572 und Hanack
JR 1974, 383, 384).
Für vorliegende Fallgestaltung bedeutet dies: Ob der
Angeklagte in den Fällen 7 und 9 der Täter war, ist
allein für die Entscheidung über Schuld- und
Freispruch in diesen Fällen unmittelbar relevant. Da sich das
Landgericht nicht von der Täterschaft des Angeklagten
überzeugen konnte, hat es ihn insoweit rechtsfehlerfrei unter
Anwendung des Zweifelssatzes freigesprochen. Dagegen ist der Umstand,
ob der Angeklagte oder ein Dritter diese Taten begangen hat,
für die Entscheidung über den Schuldspruch in den vom
Tatbild her vergleichbaren Fällen 5, 6 und 8 nur von
mittelbarer Bedeutung. Es handelt sich damit bezogen auf diese
Fälle nur um ein Indiz. Das Landgericht war daher nicht
gezwungen, bei seiner Beweiswürdigung zur Täterschaft
des Angeklagten in diesen Fällen zu seinen Gunsten davon
auszugehen, in den Fällen 7 und 9 habe ein anderer, dem
Angeklagten ähnelnder Täter die
Überfälle begangen. Vielmehr hatte es in seine
Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses lediglich eine derartige
Möglichkeit einzubeziehen.
b) Es ist auch nicht zu besorgen, daß das Landgericht diese
Möglichkeit bei seiner Beweiswürdigung
rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen haben
könnte. Zwar hat das Landgericht unter anderem
ausgeführt (UA S. 29/30), der Ansatzpunkt, ein anderer
Täter mit südländischem Aussehen habe im
selben Tatzeitraum serienweise kleine Geschäfte
überfallen, bleibe abstrakt-theoretisch, die Hauptverhandlung
habe schon für die Annahme nichts ergeben, es könne
eine Person geben, die dem Angeklagten ähnelt, bzw. die
Möglichkeit, ein anderer Täter, welcher dem
Angeklagten verblüffend ähnelt, könne sich
nahezu zeitgleich ebenfalls mit Überfällen auf kleine
Geschäfte beschäftigt haben, rücke in weite
Ferne. Diese Begründungselemente dürfen jedoch nicht
isoliert betrachtet, sondern müssen im Kontext der Darlegungen
zur Beweiswürdigung gelesen werden. Sie stehen in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Erwägung des Landgerichts,
"die Überlegung, eine dem Angeklagten verblüffend
ähnliche Person könne in den Fällen 5, 6 und
8 .... die Überfälle begangen haben", könne
dem Angeklagten nicht zum Freispruch verhelfen. Sie sind
außerdem gedanklich verknüpft mit der - zutreffenden
(s. oben a) - Überlegung, aus dem Umstand, daß der
Angeklagte in den Fällen 7 und 9 nicht zweifelsfrei als
Täter feststehe, sei nicht zu schließen, es
"müsse" einen anderen Täter geben, der so
ähnlich wie der Angeklagte aussieht, bzw. die
Geschädigten S. , L. und K. (Tatopfer der Fälle 5, 6
und 8) könnten sich bei der Identifikation des Angeklagten
geirrt haben, weil es einen anderen Täter mit dem Aussehen des
Angeklagten geben "müsse" (UA S. 29).
Bei einer Gesamtbetrachtung der Beweiswürdigung des
Landgerichts wird daher deutlich, daß es sich durchaus der
Möglichkeit eines anderen Täters in den
Fällen 7 und 9 bewußt war, hieraus jedoch unter
Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses nichts
zugunsten des Angeklagten für die Fälle 5, 6 und 8
ableiten wollte. Aus diesem Grund blieb für das Landgericht
für diese Taten die Möglichkeit eines anderen, dem
Angeklagten ähnelnden Täters "abstrakt-theoretisch",
rückte "in weite Ferne" bzw. ergab die Hauptverhandlung
hierfür keinen Anhaltspunkt. Die Überzeugungsbildung
des Landgerichts zu den Fällen 5, 6 und 8 ist daher aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3. Auch im übrigen hat die Überprüfung des
angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Kutzer Rissing-van Saan Pfister von Lienen Becker - 2 -
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