BGH,
Urt. v. 30.3.2004 - 1 StR 354/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/03
vom
30.03.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
März
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des
Landgerichts
Waldshut-Tiengen vom 14. März 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des
Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten erneut vom Vorwurf der
Vergewaltigung
zum Nachteil der Nebenklägerin S. freigesprochen. Hiergegen
richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese beanstandet
die Verletzung
sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29. September 1998 - 1 StR
416/98 - das erste in dieser Sache ergangene Urteil des Landgerichts vom
28. November 1997 auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenklägerin
hin aufgehoben, soweit der Angeklagte von dem jetzt noch in Rede
stehenden Tatvorwurf freigesprochen worden war. In der ersten
Hauptverhandlung
hatte sich das Landgericht nicht davon überzeugt,
daß der Angeklagte
gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter namens J. die Zeugin
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S. am 19. August 1996 gegen 20.30 Uhr in der Parkanlage hinter dem
Sch. -Gymnasium in Bad Sä. überfallen habe, wobei
beide Täter abwechselnd
jeweils den Oral- und Vaginalverkehr erzwungen hätten (Anklage
vom 13. April 1997). In einer mit diesem Verfahren verbundenen weiteren
Anklage
war dem Angeklagten darüber hinaus vorgeworfen worden, an einem
nicht näher feststellbaren Tag in der zweiten
Augusthälfte 1996 wiederum mit
einem unbekannten Mittäter namens J. und ebenfalls im Sch.
park in Bad
Sä. eine weitere, allerdings unbekannt gebliebene Frau zum
Geschlechtsverkehr
gezwungen zu haben. Diese hatte sich später anonym bei
einer Frauenberatungsstelle gemeldet, war danach aber nicht mehr in
Erscheinung
getreten. Auch von diesem Tatvorwurf hat das Landgericht den Angeklagten
mit seinem ersten Urteil vom 28. November 1997 freigesprochen. Insoweit
ist jenes Urteil rechtskräftig.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung zum Nachteil der Zeugin
S. konnte das Landgericht seinerzeit Zweifel nicht überwinden,
ob der
Angeklagte bei seinem früheren, später widerrufenen
Geständnis diejenige Tat
geschildert habe, welche der Zeugin widerfahren sei. Auch die
Identifizierung
des Angeklagten durch die Zeugin sei nicht
verläßlich genug, um Unstimmigkeiten
zwischen den Tatschilderungen der Zeugin und des Angeklagten in seiner
früheren geständigen Einlassung
vernachlässigen zu können.
2. Das Landgericht hat sich auch in der erneuten Hauptverhandlung
nicht davon zu überzeugen vermocht, daß es der
Angeklagte war, der die Zeugin
S. mit einem unbekannten Mittäter vergewaltigt hat. Zwar sei
die Zeugin S. , wie von ihr geschildert, Opfer einer Vergewaltigung
geworden;
es lasse sich jedoch nicht feststellen, daß der Angeklagte
die Tat be-
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gangen habe. Das später widerrufene Geständnis des
Angeklagten im Ermittlungsverfahren
beziehe sich zwar wahrscheinlich auf eine tatsächlich
verübte
Tat, obwohl dies nicht als völlig zwingend erscheine. Es
bestünden aber erhebliche
Zweifel an der Identität der von dem Angeklagten einerseits
und der Zeugin
andererseits jeweils geschilderten Tatabläufe. Unterschiede
hätten sich bei
den Angaben hinsichtlich des Ausgangspunkts der Tat und der Gehrichtung
des Opfers, dessen Kleidung und Haarfarbe, der Kleidung der
Täter, des Tattags
und der Ausübung von Oralverkehr ergeben. Diese Abweichungen
könnten
auch nicht mit der Überlegung relativiert werden,
daß die Begehung zweier
vergleichbarer Vergewaltigungstaten durch jeweils zwei (andere)
Täter in Bad
Sä. in kurzem zeitlichem Abstand wenig wahrscheinlich sei. Die
Strafkammer konnte sich von der Täterschaft des Angeklagten
auch nicht aufgrund
seiner Identifizierung als Täter durch die Zeugin S.
überzeugen.
Die Identifizierung bei der Wahllichtbildvorlage sei aufgrund von
Unsicherheiten
bei der Beschreibung der Barttracht des Angeklagten nicht sicher
gewesen.
Auch in der Hauptverhandlung hätten sich Unsicherheiten in
bezug auf die
Barttracht und die Lage der Narbe im Gesicht des Angeklagten ergeben.
II.
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Es
weist im wesentlichen die gleichen rechtlichen Fehler bei der
Beweiswürdigung
auf wie das seinerzeit aufgehobene erste landgerichtliche Urteil. Die
Beweiswürdigung
leidet wiederum unter Erörterungsmängeln, beachtet
nicht in jeder
Hinsicht die für sie geltenden Maßgaben und
überspannt die an die tatrichterliche
Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen.
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1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; kann er die
erforderliche
Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene
Konsequenz
und spricht frei, so hat das Revisionsgericht dies
regelmäßig hinzunehmen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die
Beweisergebnisse
anders gewürdigt oder Zweifel überwunden
hätte. Ein Urteil kann indes
dann keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung
rechtsfehlerhaft
ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist,
namentlich wesentliche Feststellungen
nicht berücksichtigt oder naheliegende
Schlußfolgerungen nicht erörtert,
wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze
oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die
zur Verurteilung erforderliche
Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt worden
sind (st. Rspr.; vgl.
nur BGH wistra 1999, 338, 339; NJW 2002, 2188, 2189).
Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten
Tatsachen
unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten
auseinanderzusetzen,
wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen.
Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende
Verdachtsmomente ohne
Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002,
656, 657). Liegen
mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils
einzeln abzuhandeln.
Auf solche einzelnen Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo"
nicht isoliert anzuwenden. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr
mit allen
anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst
die Würdigung
des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob
der Richter die
Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie
tragenden Feststellungen
gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein
zum Nachweis
der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde,
besteht die Möglich-
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keit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die
entsprechende Überzeugung
vermitteln können (BGH NStZ-RR 2000, 45).
2. Die Strafkammer mußte ihrer Beweiswürdigung die
Aussage der Zeugin
S. zugrunde legen und prüfen, ob diese glaubhaft ist und ob die
Zeugin den Angeklagten überzeugungskräftig als
Täter identifiziert hat. Dabei
hat die Kammer jedoch nicht hinreichend bedacht, daß der
Zweifelssatz nicht
schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der
abschließenden Überzeugungsbildung
aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden ist. Bereits vor
der Gesamtschau aller Beweise hat das Landgericht hier wesentliche
Beweisanzeichen
für die Täteridentifikation - wie die Lage der Narbe,
die Barttracht,
den Geruch und weitere Identifizierungsmerkmale - jeweils einzeln unter
Zugrundelegung des Zweifelssatzes als „nicht völlig
zwingend“ und deshalb
nicht überzeugend erachtet. Das läßt
besorgen, daß es bei der Gesamtwürdigung
solche Indizien nicht hinreichend einbezogen hat, denen es für
sich gesehen
keinen „zwingenden“ Beweiswert beigemessen hat.
Darüber hinaus hat
es einzelne Beweisanzeichen und naheliegende Möglichkeiten
nicht erschöpfend
oder überhaupt nicht erörtert.
a) Die Strafkammer hat sich zur Identifizierung des Angeklagten durch
die Zeugin S. mit dem Beweisanzeichen der Narbe befaßt, dabei
aber
die Angaben der Zeugin zur Lage der Narbe im Gesicht eines der
Täter und
das tatsächliche Vorhandensein einer Narbe unter dem linken
Auge des Angeklagten
nicht erschöpfend gewürdigt.
Das Landgericht sieht in dem Umstand, daß ein Tatopfer einen
Täter an
einer Narbe wieder erkennt, grundsätzlich ein starkes Indiz
für die Richtigkeit
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der Identifizierung; das gelte unabhängig von etwaigen
Abweichungen hinsichtlich
deren genauer Lage. Es hält den Wert der Wiedererkennung hier
aber
deshalb für gemindert, weil die Zeugin auch nach der
Gegenüberstellung mit
dem Angeklagten bei der fehlerhaften Beschreibung der Lage der Narbe
geblieben ist und darauf beharrt hat, diese habe sich über dem
linken Auge
befunden. In diesem Zusammenhang läßt es allerdings
unberücksichtigt, daß
die Zeugin den Angeklagten in der Hauptverhandlung "zu 100 %"
identifiziert
hat. Zudem erörtert es nicht, welche Bedeutung der Aussage der
Zeugin zur
Lage der Narbe gerade vor dem Hintergrund zukommt, daß diese
bei ihrer Beschreibung
insoweit auch später blieb, obwohl sie spätestens
nach der ersten
Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung im November 1997
naheliegenderweise
die tatsächliche Lage der Narbe unter dem linken Auge gekannt
haben
müßte. Wenn die Zeugin dennoch den Täter
mit einer über dem Auge liegenden
Narbe beschrieben hat, liegt die Erklärung nahe, daß
sie diese aus ihrer
Erinnerung beschrieben hat, die jedoch nicht in jeder Hinsicht
verläßlich war.
Dabei war zu bedenken, daß die beiden Täter die
liegende Zeugin auch kopfseitig
von oben festgehalten haben. Wie dem Senat aus der Befassung mit
dem ersten, aufgehobenen Urteil des Landgerichts bekannt ist, war dort
festgestellt,
daß sich die Zeugin inzwischen (damals, in jener
Hauptverhandlung)
nicht mehr sicher war, wo am Auge des Täters sich die Narbe
genau befunden
habe. Diese Besonderheiten hätte die nunmehr zur Entscheidung
berufene
Strafkammer in ihre Bewertung einbeziehen müssen.
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch hinsichtlich
des Beweisanzeichens
der Barttracht unvollständig und wird den Anforderungen an
die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht vollends gerecht.
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Die Zeugin S. hat auch in der erneuten Beweisaufnahme gleichbleibend
bestätigt, daß einer der Täter - ihres
Erachtens der Angeklagte - keinen
Bart getragen habe. Daneben hat sie aber den unbekannten
Mittäter mit
einem leicht an den Mundwinkeln herabwachsenden Schnurrbart beschrieben.
Der Angeklagte hatte im Rahmen seines (später widerrufenen)
Geständnisses
angegeben, daß er zur Tatzeit zumindest einen Oberlippenbart
getragen habe,
welcher sicher an den Seiten etwas länger ausgeprägt
gewesen sei. Danach
hat die Zeugin einem der Täter einen Bart zugeordnet, der nach
der Form der
Barttracht des Angeklagten zur Tatzeit entsprechen konnte. Die
Möglichkeit,
daß die Zeugin den von ihr tatsächlich
erwähnten Bart versehentlich dem falschen
Täter zugeordnet haben könnte, wird vom Landgericht
als spekulativ
bezeichnet, ohne die besondere Anspannung der Zeugin in der Tatsituation
und den Umstand zu würdigen, daß sie aus der
Erinnerung zwei Täter zu beschreiben
hatte, denen sie bestimmte Merkmale zuordnen mußte.
c) Darüber hinaus setzt sich das Landgericht wie im ersten
Urteil mit
dem besonderen Merkmal der Stimme des Angeklagten nicht hinreichend
auseinander,
obwohl die Zeugin die Stimme des entsprechenden Täters als
näselnd
beschrieben hat. Auch fehlt eine Erörterung der Sprache des
Angeklagten
im Hinblick auf den von der Zeugin beschriebenen „fehlenden
Dialekt“. Gerade
diese Umstände können nicht aufgrund einer nach
Ansicht des Landgerichts
methodisch unzulänglichen früheren
Wahllichtbildvorlage wiedererkannt
werden. Dies gilt auch für den von der Zeugin erstmals als
Wiedererkennungsmerkmal
erwähnten Geruch des Angeklagten. Das Urteil enthält
keine
Angaben zu den konkreten Abständen zwischen dem Angeklagten
und der
Zeugin in der jetzigen Hauptverhandlung und damit den
Geruchswahrnehmungsmöglichkeiten.
Weiter fehlt eine Würdigung im Hinblick auf Alter,
Größe
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und Haarfarbe des Angeklagten. Schließlich wird nicht darauf
eingegangen,
inwieweit die Zeugin den Angeklagten anhand der Augen wiedererkannt
haben
will. In dem ersten, aufgehobenen Urteil ist von einem
hängenden Augenlid die
Rede, einem Merkmal, mit dem sich das Tatgericht damals fehlerhaft nicht
auseinandergesetzt hatte. Nunmehr wird dieser Umstand vom Landgericht
ebenso
wie die Gesichtsform nicht einmal mehr erwähnt. Das Urteil
läßt schließlich
eine Auseinandersetzung mit der beschriebenen erheblichen
Alkoholisierung
des Täters vermissen, während im ersten Urteil
immerhin noch die insoweit
übereinstimmenden Angaben von Angeklagtem und Zeugin
festgestellt
worden waren. Auch dies wäre als Indiz im Rahmen der
Gesamtwürdigung zu
berücksichtigen gewesen.
d) Überdies ist die Annahme des Landgerichts nicht
tragfähig, die Identifizierungsleistung
der Zeugin verliere deswegen an Wert, weil sich der Angeklagte
seinerzeit aufgrund der von der Zeugin gegebenen, in der Zeitung
abgedruckten
Täterbeschreibung nach deren Lektüre gestellt habe.
Es liegt nahe,
daß ein Zeuge eine Person als Täter identifiziert,
die er zuvor beschrieben hat
und die der Beschreibung entspricht, und zwar unabhängig
davon, ob diese
sich selbst gestellt hat oder nicht. Dies kann sogar ein Hinweis auf
die Verläßlichkeit
der Identifizierung sein. Sollte die Strafkammer hingegen gemeint haben,
ein etwaiges Wissen des Identifizierungszeugen um die Selbstgestellung
könne die Identifizierungsleistung beeinflussen,
hätte dies klar zum Ausdruck
gebracht und begründet werden müssen.
3. Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagten leidet
unter Erörterungsmängeln
und ist deshalb nicht tragfähig.
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a) Der Senat hatte beanstandet, daß das Motiv des Angeklagten
für den
Widerruf seines bei mehreren Vernehmungen wiederholten
Geständnisses
nicht genügend gewürdigt worden sei. Die Schilderung
der zeitlichen Abläufe
und näheren Umstände des Widerrufs hat er als nicht
ausreichend erachtet. Im
ersten Urteil hatte das Landgericht als Grund für den Widerruf
erwähnt, der
Angeklagte habe mit einer Freiheitsstrafe von etwa drei Jahren
gerechnet.
Nachdem sein Anwalt ihm dann aber gesagt habe, daß ihn eine
Freiheitsstrafe
von fünf Jahren erwarte, sei ihm das doch zuviel gewesen. Das
jetzige Urteil
erwähnt diese Umstände nicht mehr. Die Strafkammer
führt aus, es sei nicht
völlig unwahrscheinlich, daß sich der Angeklagte
aufgrund seiner traumatischen
sexuellen Erfahrungen mit seinem Vater in eine Opferrolle
hineingesteigert
haben könnte, aufgrund deren er dann ein solches
Geständnis unabhängig
von seinem tatsächlichen Wahrheitsgehalt abgelegt haben
könnte, um - wie
er erklärt hat - seinem Vater „eins
auszuwischen“.
Diese Erklärung des Angeklagten für sein widerrufenes
Geständnis, dem
"Vater eins auszuwischen", mag, auch wenn das eher fern liegt,
möglicherweise
geeignet sein, das - dann falsche - Geständnis
gegenüber der Polizei zu
erklären, nicht ohne weiteres jedoch das zuvor nach
Lektüre des Presseartikels
gegenüber der Zeugin St. abgegebene. Das hätte der
Erörterung bedurft.
b) Das Landgericht würdigt bei der Prüfung des
Wahrheitsgehalts der
früheren geständigen Einlassung des Angeklagten nicht
ausreichend deren
Aussagequalität.
Auch ein frei erfundenes Geständnis, um dem Vater
„eins auszuwischen“,
birgt die Gefahr der fehlenden Konstanz insbesondere dann, wenn das
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Tatgeschehen so genau wie hier beschrieben worden ist. Eine
Erklärung dafür,
warum das widerrufene Geständnis des Angeklagten durch
Beständigkeit und
Detailtreue auch in Nebensächlichkeiten gekennzeichnet ist,
führt die Strafkammer
nicht an. Sie geht daran vorbei, daß sich der Angeklagte das
Geständnis
sehr spontan überlegt haben muß, wenn er nach dem
Lesen des Zeitungsartikels
mit der Täterbeschreibung noch am selben Tag zunächst
gegenüber
der Zeugin St. die Tat eingestanden und sich in der Nacht der Polizei
gestellt hat. Dies hätte der näheren Bewertung
bedurft.
c) Die Beweiswürdigung zum Aufenthalt des Angeklagten zum
Tatzeitpunkt
ist nicht tragfähig. Zwar nimmt das Landgericht nicht an, der
Angeklagte
habe ein Alibi nachweisen können, weil er am
Spätnachmittag des 19. August
1996 persönlich bei seinem Arbeitgeber gekündigt
habe. Das Landgericht hält
es aber "für sehr unwahrscheinlich", daß sich der
Angeklagte danach noch
nach Bad Sä. begeben und dort die Vergewaltigung begangen habe
(UA
S. 19). Es konnte jedoch keine Feststellungen dazu treffen, wann genau
und
wo der Zeuge L. den Angeklagten nach dem Besuch des Arbeitgebers
mit dem Fahrzeug abgesetzt hat. Dieser hat sich nur noch daran
erinnert, daß
die Fahrt zum Arbeitgeber zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr stattgefunden
und der Angeklagte sich dort ca. ein- bis eineinhalb Stunden
aufgehalten habe.
Da die Tat gegen 20.30 Uhr geschehen sein soll, konnte aus diesen
Angaben
keine tragfähige Folgerung auf die Wahrscheinlichkeit oder
Unwahrscheinlichkeit
einer anschließenden Vergewaltigung in Bad Sä.
gezogen werden.
d) Indem das Landgericht es als nicht "völlig zwingend"
erachtet, daß
das Geständnis der Wahrheit entspreche und der Angeklagte auch
an der Tat
zum Nachteil der Zeugin S. beteiligt gewesen sei, hat es den Grundsatz
der freien Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft angewandt:
Für die Beantwortung
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der Schuldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die
Überzeugung
von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff
der
Überzeugung schließt die Möglichkeit eines
anderen, auch gegenteiligen
Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem
Wesen, daß sie
sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt
bleibt. Der Tatrichter ist aber
nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende
Folgerungen
aus bestimmten Tatsachen zu ziehen. Sie müssen allerdings
tragfähig sein
(BGHSt 10, 208, 209 f.; 41, 376, 380; BGH, Urt. v. 4. September 2003
- 3 StR 224/03). Da das Landgericht auch im Blick auf andere
Beweisumstände
an sich mögliche Schlüsse als „nicht
völlig zwingend“ bewertet oder Beweisanzeichen
als „kein zwingendes Indiz“ charakterisiert (etwa
UA S. 19), steht angesichts
der hier vorliegenden besonderen Umstände zu besorgen,
daß es die
Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt
haben könnte.
4. Das Landgericht hat eine naheliegende Möglichkeit nicht
ausdrücklich
gewürdigt, die sich aus der Zusammenschau des widerrufenen
Geständnisses
des Angeklagten und der Aussage der Zeugin S. ergibt. Diese
erklärt
möglicherweise die von der Strafkammer hervorgehobenen
Differenzen zwischen
den beiden Tatschilderungen und kann ihnen den beweismindernden
Wert hinsichtlich der Bekundungen der Zeugin weitgehend nehmen.
Die Strafkammer hat offen gelassen, ob dem später widerrufenen
Geständnis
des Angeklagten ein wirkliches Ereignis zugrunde liegt. Einerseits
hält
sie es für wahrscheinlich, daß das
Geständnis wegen der Detailliertheit und
Konstanz der Angaben über einen längeren Zeitraum und
mehrere Vernehmungen
hinweg der Wahrheit entspreche. Sachverständig beraten
führt sie
andererseits aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich,
daß der Angeklagte ein
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solches Geständnis „unabhängig von seinem
Wahrheitsgehalt abgelegt“ haben
könnte. Wie bereits im ersten, aufgehobenen Urteil ist die
Strafkammer davon
ausgegangen, daß das widerrufene Geständnis des
Angeklagten deshalb
fragwürdig sei, weil es in wesentlichen Punkten von den
Angaben der Geschädigten
abweiche. Insbesondere habe der Angeklagte den Ausgangspunkt, von
dem aus und die Gehrichtung, in welcher er und sein Mittäter
das Opfer verfolgten,
anders als die Zeugin beschrieben. Differenzen bestünden
darüber
hinaus hinsichtlich der Schilderung der Kleidung des Opfers und der
Täter sowie
des Tathergangs in seinen Einzelheiten.
Das Geständnis des Angeklagten wäre jedoch nur dann
ohne jeden Beweiswert,
wenn davon auszugehen wäre, daß es erfunden war.
Liegt ihm hingegen
ein wahrer, wenn auch nicht der angeklagte Sachverhalt zugrunde,
bestünde
zwischen den Angaben der Zeugin hinsichtlich des Tathergangs und
der geständigen Einlassung des Angeklagten
möglicherweise kein wirklicher
Widerspruch, weil beide dann verschiedene, aber reale
Geschehensabläufe
beschrieben haben könnten. Die vom Landgericht hervorgehobenen
Differenzen
hinsichtlich der Schilderungen etwa zur Kleidung des Opfers (Hose oder
Rock, roter Slip) verlören dann weitgehend ihre Bedeutung
für die Würdigung
der Aussage der Zeugin S. und deren Wiedererkennung des Angeklagten.
Das Landgericht hätte sich deshalb die Frage vorlegen
müssen, ob das
später widerrufene, aber detailreiche und von Konstanz
gekennzeichnete Geständnis
des Angeklagten zwar eine andere Tat betraf, er aber dennoch auch
die - von ihm dann nicht gestandene - Tat zum Nachteil der Zeugin S.
begangen hat. Es hätte in Betracht ziehen müssen, ob
der Angeklagte aufgrund
der veröffentlichten Täterbeschreibung nach Begehung
einer zweiten Tat
zunächst nach seiner Gestellung nur Anlaß sehen
konnte, lediglich eine der
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Taten zu gestehen. Auf diese Möglichkeit könnte
hindeuten, daß innerhalb eines
relativ kurzen Zeitraums an demselben Ort zwei Vergewaltigungen mit
derselben
Vorgehensweise von jeweils zwei Tätern begangen worden sein
könnten.
Dabei hätte jeweils einer der Täter nach den insoweit
übereinstimmenden
Angaben sowohl der Zeugin als auch des Angeklagten eine
Tätowierung mit
dem Motiv einer Spinne aufgewiesen. Der zweite Täter, der die
Tat zum Nachteil
der Zeugin S. mit begangen hat, hätte dann ebenso wie der
Angeklagte,
der die Tat zum Nachteil des unbekannten Opfers gestanden und
beschrieben
hätte, eine Narbe am Auge. Würde das Landgericht also
beide
Schilderungen - das frühere Geständnis des
Angeklagten, aber auch die Tatschilderung
der Zeugin S. - unter diesen Umständen für nicht
widersprüchlich
und für glaubhaft halten, müßte es sich
fragen, ob es sich auf solcher
Grundlage davon überzeugen kann, daß der Angeklagte
auch die von ihm
nicht gestandene Tat zum Nachteil der Nebenklägerin begangen
hat. Die Abweichungen
in den Tatschilderungen könnten dann nicht mehr gegen eine
solche
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im
Fall zum Nachteil
der Nebenklägerin ins Feld geführt werden. Der
Identifizierungsleistung der
Zeugin käme dann für die Wiedererkennung in der
Hauptverhandlung und
auch in bezug auf die Wahllichtbildvorlage möglicherweise ein
höherer Beweiswert
zu.
Daß der Angeklagte von dem Vorwurf der zweiten Vergewaltigung
zum
Nachteil des unbekannten Opfers rechtskräftig freigesprochen
ist, hindert nicht
dessen Erörterung und etwaige indizielle Bewertung im Blick
auf den noch in
Rede stehenden Anklagevorwurf. Der rechtskräftige Freispruch
verbraucht die
Strafklage und steht fortan einer Sanktionierung wegen der
nämlichen Tat ent-
17 -
gegen. Eine Tatsachenbindung gehört aber nicht zum Wesen der
Rechtskraft
(vgl. BGHSt 43, 106, 108 f.; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl.
Einl. Rdn. 170, 188).
III.
Auf diesen sachlich-rechtlich erheblichen
Beweiswürdigungsmängeln
kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen,
daß das Landgericht bei
ihrer Vermeidung die Überzeugung von der Täterschaft
des Angeklagten gewonnen
hätte.
- 18 -
IV.
Die Sache muß somit neu verhandelt und entschieden werden.
Der Senat
verweist sie an ein anderes Landgericht zurück (§ 354
Abs. 2 Satz 1 StPO;
vgl. im übrigen Bd. III Bl. 713 ff. der Strafakten).
Nack Boetticher Schluckebier
Herr Richer am BGH Hebenstreit Elf
ist erkrankt und deshalb an der
Unterschrift verhindert.
Nack |