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BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 30.5.2001 - 1 StR 42/01
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt
sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei
geführte Vertrauensperson (VP) angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem
angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den
Provozierten bestehenden Tatverdachts steht (Fortführung von BGHSt 45, 321).
BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01 - Landgericht Augsburg
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 42/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
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wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
29. Mai 2001 in der Sitzung vom 30. Mai 2001, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 26. September 2000 im Ausspruch über die
Einzelstrafe im Falle B. II. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln (Haschisch) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen
richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, der Angeklagte sei
von einer durch die Polizei geführten Vertrauensperson (VP) in unzulässiger
Weise zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden. Den darin liegenden
Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK habe das Landgericht ausdrücklich feststellen und bei der Strafzumessung
weitergehend als geschehen berücksichtigen müssen. Das
Rechtsmittel ist teilweise begründet; es führt zur Aufhebung des Ausspruchs
über die im Falle B. II. der Urteilsgründe in Ansatz gebrachte Einzelfreiheitsstrafe
sowie zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe.
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I.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte lernte in einem Lokal durch einen Bekannten eine sog.
Vertrauensperson (VP) der Polizei kennen. Diese gab zu verstehen, daß sie
Haschisch konsumiere. Während eines Toilettenaufenthaltes der VP folgte ihr
der Angeklagte und bot ihr Haschisch an. Die VP ging auf das Angebot ein und
es kam zu einem Verkauf von etwa 70 g (4,5 g THC) zum Preise von 700 DM.
Bei einem weiteren Treffen - an diesem Tage wurde auch ein weiteres Haschischgeschäft
zwischen beiden abgewickelt (22,55 g bei 1,4 g THC) - äußerte
nun die VP gegenüber dem Angeklagten, sie sei stark am Erwerb von
Heroin guter Qualität interessiert. Der Angeklagte - gegen den nicht der Verdacht
bestand, Heroingeschäfte vorgenommen zu haben oder solche vornehmen
zu wollen - antwortete zunächst abwehrend sinngemäß, daß solche Geschäfte
gefährlich seien. Zwei Tage darauf, als die VP über vermeintliche Bezugsprobleme
klagte, versuchte er indessen telefonisch Kontakt zu dem Heroinhändler
B. herzustellen. Im weiteren Verlauf gelang ihm dies und er arrangierte
ein Treffen der VP mit B. , an dem er teilnahm. Es kam dann zu
drei Geschäften: Zunächst erfolgte eine Probelieferung von 5,52 g Heroingemisch
mit einem HHCL-Anteil von 1,15 g zum Preis von 400 DM, sodann eine
weitere Lieferung von 89,05 g Heroingemisch (HHCL-Anteil = 7,64 g) zum
Preis von 7.000 DM; schließlich bestellte die VP 500 g Heroingemisch, die der
Angeklagte als lieferbar erklärt hatte, nachdem die VP zunächst 1,2 kg Heroin
und 800 g Kokain hatte ordern wollen. Bei den Geschäften war der Angeklagte
nach telefonischer Verabredung in den Pkw der VP gestiegen; dann hatten
beide B. an einem anderen Ort aufgenommen. Die Verhandlungen mit der
VP wickelte im wesentlichen der Angeklagte ab, da B. kaum Deutsch
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sprach. Der Angeklagte sollte für die Geschäfte sowohl von der VP als auch
von B. eine Provision erhalten. Die Strafkammer ist auf der Grundlage der
Einlassung des Angeklagten davon ausgegangen, die VP habe ihn unter Darstellung
einer Gefahr für Leib und Leben - weil er seine angeblichen Abnehmer
nicht mehr mit qualitativ gutem Heroin habe beliefern können - "angebettelt"
Heroin zu besorgen und eine Provision in Aussicht gestellt. Nachdem der Angeklagte
den Kontakt zu B. hergestellt hätte und mit der Sache nichts mehr
habe zu tun haben wollen, sei er von der VP zum weiteren Mitmachen "gedrängt"
worden, weil er als Dolmetscher gebraucht werde.
Bei der Übergabe des zuletzt bestellten Heroins an die VP wurden der
Angeklagte und B. festgenommen. Im Blick auf die Einlassung des Angeklagten,
das Haschisch wie auch das Heroin hätten jeweils einem auf einmal
beschafften Gesamtvorrat entstammt, hat die Strafkammer für das Handeltreiben
mit Haschisch sowie mit Heroin jeweils eine Bewertungseinheit angenommen.
2. Die Strafkammer hat einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen
Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verneint. Zwar habe gegen
den Angeklagten vor dem Einsatz der VP kein Verdacht dahin bestanden, daß
er gerade Heroingeschäfte vornehmen wolle. Auch könne letztlich nicht ausgeschlossen
werden, daß der Angeklagte durch die VP zum Handeltreiben mit
Heroin provoziert worden sei. Eine "eventuelle Provokation" sei dem Staat aber
nicht zuzurechnen, da jedenfalls das von dem Wissen und der Kenntnis der
Polizei umfaßte Verhalten der VP keine Tatprovokation darstelle. Dennoch hat
die Strafkammer bei der Strafzumessung wegen der Veranlassung des Handeltreibens
mit Heroin die an sich festzusetzende Einzelfreiheitsstrafe um fünf
Monate verringert.
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II.
Die Revision hat Erfolg, soweit sie den Strafausspruch im Falle B. II. der
Urteilsgründe angreift (Heroingeschäfte). Die Begründung, mit der das Landgericht
das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6
Abs. 1 Satz 1 MRK als nicht verletzt erachtet, hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand. Das Vorgehen der VP der Polizei, durch welches der Angeklagte
zum Handeltreiben gerade mit Heroin veranlaßt wurde und das dem Staat hier
entgegen der Auffassung des Landgerichts zuzurechnen ist, erweist sich möglicherweise
als unzulässige und damit konventionswidrige Tatprovokation.
Der Senat läßt offen, ob die Revision nur mit einer Verfahrensrüge oder
auch mit der Sachrüge geltend machen kann, das Landgericht habe zu Unrecht
einen Konventionsverstoß verneint. Er kann alle insoweit maßgeblichen Umstände
sowohl dem Vortrag der Revision zur Verfahrensrüge als auch dem angefochtenen
Urteil entnehmen.
1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR
221/99 (BGHSt 45, 321) in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens
(gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch
den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR EuGRZ 1999, 660
= StV 1999, 127 = NStZ 1999, 47) für den Fall eines konventionswidrigen
Lockspitzeleinsatzes entschieden, daß ein solcher Verstoß in den Urteilsgründen
festzustellen und bei Festsetzung der Rechtsfolgen - genau bemessen - zu
kompensieren ist. Eine Konventionssverletzung liegt nach der genannten Senatsentscheidung
vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte
Person durch die von einem Amtsträger geführte VP in einer dem Staat zuzurechnenden
Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren
führt (BGHSt 45, 321, Leitsatz und Seite 335).
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Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation
nicht schon dann vorliegt, wenn eine VP einen Dritten ohne sonstige
Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen
könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn die VP nur die offen erkennbare
Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt.
Dagegen ist die VP als die tatprovozierender Lockspitzel tätig, wenn sie über
das bloße "Mitmachen" hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft
oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend
auf den Täter einwirkt (BGHSt 45, 321, 338).
Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel
das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die VP (bzw. ein
VE) gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160
StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat
beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein;
hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt
unabhängig davon, ob der VP-Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der
präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter
hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzes ist selbst im Falle einer
"Gemengelage" einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen (BGHSt
45, 321, 337).
Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung
des fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit
Wissen eines für die Anleitung der VP verantwortlichen Amtsträgers geschieht
oder dieser sie jedenfalls hätte unterbinden können. Erteilt die Polizei einen
Auftrag an eine VP, hat sie die Möglichkeit und die Pflicht, diese Person zu
überwachen. Eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden Zurechnung
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kann nur dann gelten, wenn die Polizei mit einem Fehlverhalten der VP nicht
rechnen konnte (BGHSt 45, 321, 336).
2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, daß die Bewertung
des Landgerichts, das Verhalten der VP sei hier dem Staat nicht zuzurechnen,
von Rechts wegen keinen Bestand haben kann. Dem Zusammenhang
der Urteilsgründe kann der Senat entnehmen, daß die VP eng geführt wurde
und deren Treffen mit dem Angeklagten und B. überwacht wurden. Das
Verhalten der VP bewegte sich im wesentlichen auf der Linie des ihr erteilten
Auftrages.
3. Die rechtsfehlerhafte Verneinung einer Zurechnung des Verhaltens
der VP würde allerdings eine Verwerfung der Revision nicht hindern, wenn sich
aus den Feststellungen des Landgerichts im übrigen ohne weiteres ergäbe,
daß hier keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Das ist indessen nicht der
Fall.
a) Das Landgericht geht selbst davon aus, daß die VP den Angeklagten
zum Handeltreiben gerade mit Heroin in größer werdenden Mengen provoziert
hat. Auf der Grundlage des vom Landgericht angenommenen Sachverhaltes
liegt eine Tatprovokation nahe. Das Urteil geht davon aus, daß die VP den Angeklagten
unter Hinweis auf eine vermeintliche eigene Leibes- und Lebensgefahr
um Heroin "anbettelte", ihm etwas "vorjammerte" und nach dem Zustandebringen
des Kontaktes zu dem Heroinhändler B. "bedrängte", sich als Dolmetscher
weiter am Handeltreiben mit Heroin zu beteiligen. Darin kann eine
Einwirkung von einiger Erheblichkeit liegen, die letztlich zu einer Intensivierung
der Tatplanung im Sinne einer Provokation führte. Allerdings ist bei einer solchen
Bewertung auch zu bedenken, daß es zwischen der Stärke des bestehenden
Tatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation
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erheblichen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung
geben kann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung
zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht
wird.
b) Die Tatprovokation, von der das Landgericht ausgeht, kann hier unzulässig
gewesen sein, weil der Angeklagte bis dahin lediglich des Handeltreibens
mit Haschisch verdächtig war. In dem Verleiten zum Handeltreiben mit
Heroin lag eine erhebliche Steigerung des Unrechtsgehalts der Tat. Zwar steht
insoweit grundsätzlich ein und derselbe Tatbestand in Rede (unerlaubtes Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln). Die provozierte Tat erhält aber durch Art
und Menge des Rauschgiftes ein besonderes Gepräge. Der Unrechtsgehalt ist
von erheblich größerem Gewicht, wenn ein des Handeltreibens mit sog. weichen
Drogen Verdächtiger zum Handeltreiben mit sog. harten Drogen in großer
Menge veranlaßt wird ("Quantensprung").
Wird jemand auf solche Weise gleichsam unter staatlicher Verantwortung
weiter in die Kriminalität gedrängt, so liegt darin dann eine Verletzung des
Grundsatzes des fairen Verfahrens, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation
angesonnene Drogengeschäft nach Art und Menge der Drogen nicht mehr in
einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell
gegen den Provozierten bestehenden Tatverdacht steht. Die Qualität des Tatverdachts,
der sich im Verlaufe des Einsatzes der VP hinsichtlich Intensität und
Unrechtscharakter auch verändern kann, begrenzt so den Unrechtsgehalt derjenigen
Tat, zu der der Verdächtige in zulässiger Weise provoziert werden darf.
Diese Begrenzung rechtfertigt sich letztlich daraus, daß es nicht Aufgabe
einer dem Fairneßgrundsatz verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege
sein darf, einen Unverdächtigen durch Provokation in die Täterschaft zu treiben
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oder einen zwar Tatverdächtigen, der die ihm angesonnene Tat aber ablehnt,
zu einer solchen zu provozieren oder zur Begehung einer im Unrechtsgehalt
gegenüber der Tatverdachtslage erheblich gesteigerten Tat zu verleiten. Die
Zulässigkeit einer Tatprovokation wurzelt in dem Auftrag des rechtsstaatlichen
Gemeinwesens, erhebliche Straftaten wirksam aufzuklären (vgl. BVerfGE 29,
183, 194; 77, 65, 76; siehe weiter zum Einsatz einer VP BVerfGE 57, 250, 284;
BVerfG Kammer NJW 1987, 1874, 1875; NStZ 1991, 445; StV 1995, 169, 171).
Die kriminalistische Erfahrung zeigt, daß solche Aufklärung namentlich auf dem
Felde des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, das durch Abschottung
der verschiedenen Handelsebenen und durch konspiratives Vorgehen
gekennzeichnet ist, oft nur durch verdeckte Ermittlungen erreicht werden
kann und nur so eine beweiskräftige Überführung der Täter möglich ist. Auf der
Grundlage dieser Gegebenheiten kann es dem Staat nicht verwehrt sein, auch
zum Mittel der Tatprovokation zu greifen, weil anderenfalls ein weites Kriminalitätsfeld
- gerade das des Handeltreibens mit Drogen in großem Stile - weitgehend
unaufgeklärt bliebe und sich kriminelle Strukturen weitgehend unbehelligt
entwickeln könnten.
Das Mittel der Tatprovokation muß sich aber auch im Einzelfall noch mit
dem Ziel der Aufklärung schwerwiegender Straftaten rechtfertigen lassen. Wird
- über den bestehenden Tatverdacht hinausgehend - eine Steigerung der Verstrickung
des Tatverdächtigen in qualitativ deutlich höheres Unrecht mit dem
Mittel einer Provokation bewirkt, diese also durch die bestehende Verdachtslage
nicht mehr getragen, so steht das nicht mehr im Einklang mit dem generellen
Auftrag der dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1
MRK) verpflichteten Strafrechtspflege. Das schließt eine bloße Nachfrage, ob
der Tatverdächtige sich auf ein erheblich unrechtsgesteigertes Drogengeschäft
einläßt, oder ein schlichtes Mitwirken der VP an einem solchermaßen gestei-
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gerten Unrecht nicht aus, wenn dadurch die Schwelle zur Provokation nicht
überschritten wird.
Bei der Beurteilung der Unrechtsqualität des gegen den Provozierten
bestehenden Tatverdachts - die ihrerseits die Zulässigkeit der Tatprovokation
begrenzt - können neben den tatsächlichen Umständen, die den Anfangsverdacht
begründen, auch die deliktsspezifischen Gegebenheiten mit in Betracht
gezogen werden: Cannabisverbraucher beziehen Haschisch oft bei Drogenhändlern,
die auch mit sogenannten harten Drogen handeln (sog. Einheitlichkeit
des Drogenmarktes, vgl. BVerfGE 90, 145, 181). Es entspricht auch nach
der Erfahrung des Senats gängiger Praxis beim unerlaubten Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln, nach neu geknüpften Lieferbeziehungen zunächst sogenannte
Vertrauenskäufe über kleinere Mengen zu tätigen, deren auch strafrechtliches
Risiko aus Sicht der Täter zunächst noch nicht allzu hoch ist.
Schließlich ist zu bedenken, daß Rauschgifthändler oft über gute Kontakte und
"Geschäftsbeziehungen" zu anderen Drogenhändlern verfügen, die hinsichtlich
Art und Menge des zu beschaffenden Rauschgiftes leistungsfähiger sind; sie
vermögen solche Beziehungen dann ohne weiteres zu nutzen und sind dazu
auch bereit, um daraus eigenen Gewinn zu ziehen.
Ist jemand unter diesen Umständen "nur" des Handeltreibens mit Haschisch
verdächtig, so erweist sich ein aufklärungsorientiertes Aufgreifen einer
vorhandenen Tatbereitschaft im Sinne einer Veranlassung zu einem Heroingeschäft
nicht schon deshalb als Tatprovokation, weil ein individueller Verdacht in
diesem Sinne bis dahin nicht manifest geworden ist. Es kommt dann vielmehr
darauf an, ob sich der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung
ohne weiteres einläßt, sich also geneigt zeigt, auch die Tat mit dem
höheren Unrechtsgehalt zu begehen und an ihr mitzuwirken. Geht die qualitati-
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ve Steigerung der Verstrickung des Täters indessen mit einer Einwirkung durch
die VP einher, die von einiger Erheblichkeit ist (Tatprovokation), so liegt ein
Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. Nur in diesem Falle kann ein Konventionsverstoß
angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen
ist (nach den Maßstäben von BGHSt 45, 321). In allen anderen Fällen erweist
sich die Tatveranlassung durch eine polizeilich geführte VP als Umstand, der
bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden
kann.
c) Das Landgericht wird die Sache nach Maßgabe dieser Grundsätze
erneut zu prüfen haben. Dabei wird es zu versuchen haben, hinsichtlich des
Maßes der Einwirkung der VP auf den Angeklagten sowie des Gewichts und
der Qualität des Tatverdachts gegen diesen Feststellungen zu treffen. Gegebenenfalls
ist eine Konventionsverletzung ausdrücklich festzustellen und ein
genau bemessener Abschlag bei der Bemessung der Einzelstrafe für den in
Rede stehenden Fall B. II. der Urteilsgründe vorzunehmen. Der Senat vermag
nicht auszuschließen, daß dieser Abschlag anders ausfallen könnte, falls das
Landgericht zu dem Ergebnis käme, daß hier ein Verstoß gegen den Grundsatz
des fairen Verfahrens vorliegt.
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4. Der in Rede stehende Rechtsfehler kann sich allein auf die für die Heroingeschäfte
(Fälle B. II. der Urteilsgründe) und die für diese zugemessene
Einzelstrafe sowie auf die Gesamtstrafe auswirken. Die Einzelstrafe für den
Fall B. I. der Urteilsgründe (Haschischgeschäfte) und der Schuldspruch, der
einen sachlich-rechtlichen Mangel nicht erkennen läßt, können hingegen bestehen
bleiben.
Schäfer Nack Boetticher
Schluckebier Hebenstreit



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