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BGH, Urteil vom 31. März 2004 - 2 StR 482/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 31.3.2004 - 2 StR 482/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 482/03
vom
31.03.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. März
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zur Ergänzung erhobener und Anbringung weiterer
Verfahrensrügen zu bewilligen, wird verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 19. Mai 2003 dahin geändert,
daß im Fall 14 der Urteilsgründe eine Einzelstrafe von acht
Monaten verhängt wird.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 25 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des
Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.
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I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte vielfach
vorbestraft. Seit 1973 wurde er allein elf Mal wegen Betrugs verurteilt und hat
mehrfach mehrjährige Gesamtfreiheitsstrafen wegen einschlägiger Taten verbüßt.
Um die Jahreswende 1998/1999 lernte der Angeklagte, der in der Justizvollzugsanstalt
B. einsaß, durch einen Mithäftling die frühere Mitangeklagte
J. kennen, die ihn in der Folgezeit verschiedentlich unterstützte.
Aus einem Hafturlaub am 22. Februar 1999 kehrte der Angeklagte nicht
in die Justizvollzugsanstalt zurück. Nachdem ihn Frau J. für einige Tage
in der Wohnung eines Bekannten untergebracht hatte, reisten beide umher.
Der Angeklagte mietete in der Folgezeit Fahrzeuge und Unterkünfte an, obwohl
er zur Zahlung nicht in der Lage war. Er war vermögenslos und hatte keine
Geldeingänge in Aussicht, gab aber gegenüber Frau J. vor, er könne mit
einem größeren Posten Textilien einen Textilvertrieb aufbauen. Obwohl Frau
J. spätestens ab Mitte März 1999 erkannte, daß der Angeklagte auf der
Flucht war und weder Geld noch Textilien zu erwarten hatte, begleitete sie ihn
weiterhin und ging mit ihm gemeinsam oder auf seine Veranlassung in der Folgezeit
Verbindlichkeiten ein. Beide liehen Geld von Bekannten, denen sie dafür
vom Angeklagten ausgestellte ungedeckte Schecks aushändigten, mieteten
Wohnungen und ein Büro an, errichteten Konten, nahmen Kredite auf, stellten
eine Bürokraft ein und bezogen Waren, wobei der Angeklagte unter falschen
Namen auftrat. Im Mai 1999 trennten sich beide; der Angeklagte wurde am
8. Juli 1999 verhaftet. Der Verurteilung liegen 25 Taten zwischen dem 25. Februar
1999 und dem 6. Juli 1999 zugrunde, durch die ein Vermögensgefährdungsschaden
von insgesamt 119.246,39 DM verursacht worden ist. In einer
ganzen Anzahl dieser Fälle hat der Angeklagte den Schaden später ganz oder
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teilweise wiedergutgemacht; insgesamt hat er Zahlungen in Höhe von
45.796,68 DM zur Schadenswiedergutmachung erbracht.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als - teils gemeinschaftlich
begangenen - Betrug in 25 Fällen gewürdigt. Der Strafzumessung
hat es jeweils den Strafrahmen für den besonders schweren Fall zugrundegelegt.
Der Angeklagte habe gewerbsmäßig gehandelt (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
StGB); auch aufgrund seiner umfangreichen einschlägigen Vorstrafen sei die
Annahme besonders schwerer Fälle gerechtfertigt. Die Strafhöhe im konkreten
Fall hat das Landgericht jeweils nach der Höhe des Vermögensgefährdungsbetrages
abgestuft und für Fälle mit einer Schadenshöhe bis 1.999 DM Einzelstrafen
von sechs Monaten (neun Fälle), mit einer Schadenshöhe von
2.000 DM bis 4.999 DM von acht Monaten (sieben Fälle), mit einer Schadenshöhe
von 5.000 DM bis 9.999 DM von elf Monaten (sechs Fälle) und mit einer
Schadenshöhe über 10.000 DM von einem Jahr und fünf Monaten (drei Fälle)
verhängt. Aus den Einzelstrafen hat das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren gebildet. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es
auf § 66 Abs. 2 StGB gestützt.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Eine Wiedereinsetzung für die Nachholung von Verfahrensrügen ist in
keinem Fall gerechtfertigt.
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a) Rechtsanwalt W. hat die Wiedereinsetzung für die Nachholung
von Verfahrensrügen bereits am 6. Oktober 2003, mithin eine Woche vor Ablauf
der Revisionsbegründungsfrist, beantragt. Kopien der Protokollbände waren
ihm bereits am 2. Oktober 2003 zur Verfügung gestellt worden. Gründe für
eine Wiedereinsetzung sind danach nicht ersichtlich; der Verteidiger hat auch
keine Verfahrensrügen erhoben (§ 45 Abs. 2 StPO).
b) Einer Wiedereinsetzung hinsichtlich des Schriftsatzes des Verteidigers
Rechtsanwalt Dr. M. vom 13. Oktober 2002 bedarf es nicht; der Schriftsatz
ist an diesem Tag und damit innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vollständig
bei der Faxstelle des Landgerichts Frankfurt am Main eingegangen.
c) Eine Wiedereinsetzung für die mit Schriftsatz des Verteidigers
Rechtsanwalt Dr. M. vom 21. Oktober 2003, beim Landgericht eingegangen
am 22. Oktober 2003 erhobenen Verfahrensrügen kommt nicht in Betracht. Eine
Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen hat der Bundesgerichtshof
ausnahmsweise zugelassen, wenn dem Verteidiger des Beschwerdeführers
bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung
Akteneinsicht nicht gewährt wurde und eine Verfahrensrüge nachgeschoben
werden soll, die ohne Kenntnis der Akten nicht begründet werden kann
(BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 4, 5, 7, 10). Ein solcher Ausnahmefall ist
hier nicht gegeben: Der Verteidiger hätte sich angesichts des bevorstehenden
Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist nicht damit zufrieden geben dürfen, daß
ihm auf seine telefonischen Nachfragen versichert wurde, das Protokoll sei abgesandt,
sondern hätte sich darum bemühen müssen, es bei Gericht einzusehen.
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2. Die zulässig erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Die Befangenheitsrüge hinsichtlich des Vorsitzenden Richters am Landgericht
Dr. K. und die Aufklärungsrüge zum Fall 17 (H. -Moden) sind aus
den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 12. Dezember 2003 dargelegten
Gründen unbegründet.
Die Aufklärungsrüge zum Fall I. ist unzulässig; der Tatsachenvortrag
ist erst durch Schriftsatz vom 21. Oktober 2003, also nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist,
vervollständigt worden. Die Rüge wäre im übrigen auch
unbegründet. Das Landgericht hat den Zeugen I. gehört. Daß das
Landgericht den Sachverhalt anders gewürdigt hätte, wenn der Notar O.
den Inhalt des Schreibens des Zeugen bestätigt hätte, ist auszuschließen. Die
Rügen der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Ablehnung der Vernehmung
des Zeugen T. und der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsantrags
gegen den Sachverständigen Prof. Dr. W. sind verspätet;
sie wären im übrigen auch unbegründet. Die Ablehnung beider Anträge durch
das Landgericht läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
3. Auch auf die Sachrüge hält das Urteil der rechtlichen Nachprüfung im
Ergebnis stand.
a) Der Schuldspruch läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
erkennen. Im Fall 6 der Urteilsgründe (Darlehen B. ) hat das Landgericht
den Angeklagten rechtsfehlerfrei als Mittäter angesehen. Er war der an
der Tatbegehung wirtschaftlich Interessierte, dem der gesamte Darlehensbe-
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trag über seine geschiedene Ehefrau zufloß, er steuerte und kontrollierte das
Handeln der früheren Mitangeklagten J. .
b) Soweit die Revision in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt
für die Annahme besonders schwerer Fälle eine Gesamtabwägung vermißt,
kann ihr nicht gefolgt werden.
Nach § 263 Abs. 3 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes
wird ein besonders schwerer Fall durch die Verwirklichung eines der in
Satz 2 Nrn. 1 bis 5 bezeichneten Regelbeispiele indiziert. Sind die Voraussetzungen
eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der "Regelstrafrahmen"
nach dem erhöhten Strafrahmen; einer zusätzlichen Prüfung, ob dessen
Anwendung im Vergleich zu den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden
Fälle geboten erscheint, bedarf es hier nicht (BGH, Urteil vom 11.
September 2003 - 4 StR 193/03). Die von der Revision und dem Generalbundesanwalt
in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betrifft überwiegend
die Regelung des § 263 Abs. 3 StGB a.F., die keine Regelbeispiele, sondern
einen unbenannten besonders schweren Fall zum Gegenstand hatte und
die zudem gegenüber § 263 Abs. 3 StGB in der geltenden Fassung ein höheres
Mindeststrafmaß (ein Jahr statt nunmehr sechs Monate Freiheitsstrafe)
vorsah.
Zwar kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere strafmildernde
Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit
so schwer wiegen, daß die Anwendung des Strafrahmens für besonders
schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. BGH NStZ 1999, 244, 245;
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdnr. 91 m.w.N.). Das Landgericht hat
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- was rechtlich nicht zu beanstanden ist - in allen Fällen das Regelbeispiel des
§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB (gewerbsmäßiges Handeln) als erfüllt
angesehen. Die Schadenshöhe und die Schadenswiedergutmachung durch
den Angeklagten mußte es in diesem Zusammenhang nicht erörtern. Beide
Umstände sind in diesem Fall nicht geeignet, die Indizwirkung des Regelbeispiels
zu entkräften. Hinsichtlich der jeweils eingetretenen Vermögensgefährdung
ist zu berücksichtigen, daß der Angeklagte insgesamt sehr nachhaltig
gehandelt hat (vgl. BGHSt 29, 187, 189); die geringste eingetretene
Vermögensgefährdung lag immerhin noch bei 620 DM, die höchste bei 18.000
DM, der Gesamtbetrag addiert sich auf 119.246,39 DM. Die spätere
Schadenswiedergutmachung in einem Teil der Fälle hatte ebenfalls nicht das
Gewicht, die Indizwirkung des Regelbeispiels zu entkräften, zumal das
Landgericht bei der rechtlichen Würdigung und bei der Strafzumessung auf
den jeweiligen Betrag der Vermögensgefährdung abgestellt hat. Schließlich hat
das Landgericht zu Recht die Täterpersönlichkeit des Angeklagten als
Umstand angeführt, der zusätzlich zu der Indizwirkung des Regelbeispiels für
die Annahme besonders schwerer Fälle spricht und eine mögliche mildernde
Wirkung der Schadenswiedergutmachung allemal wieder aufwiegt. Der
Angeklagte ist seit vielen Jahren immer wieder wegen einschlägiger Straftaten
zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt worden, die er auch verbüßt hat, und
er hat die hier abgeurteilte Tatserie nach einer Flucht aus Strafhaft wegen
einschlägiger Taten begangen .
c) Im Fall 14 der Urteilsgründe hat das Landgericht fehlerhaft einen zu
hohen Schadensbetrag zugrunde gelegt. Die frühere Mitangeklagte J.
übersandte der Vermieterfirma nacheinander zwei (ungedeckte) Schecks über
insgesamt 7.849,63 DM; diesen Betrag legt das Landgericht auch als Schadenssumme
zugrunde. Tatsächlich betrug die geschuldete Miete jedoch nur
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5.684 DM abzüglich geleisteter 1.000 DM Anzahlung, so daß von einem Schaden
bzw. einer Vermögensgefährdung in Höhe von 4.684 DM auszugehen ist.
Nach den Strafzumessungskriterien des Landgerichts ist daher in diesem Fall
richtigerweise eine Einzelstrafe von acht Monaten anstelle von elf Monaten
verwirkt. Der Senat hat den Strafausspruch entsprechend geändert; daß der
Tatrichter, wenn er selbst in diesem Fall auf eine drei Monate niedrigere Strafe
erkannt hätte, eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, schließt der
Senat aus.
d) Auch die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung
hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dreier vorsätzlicher Straftaten
jeweils zu Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verurteilt und dargelegt,
daß es den Angeklagten wegen dieser drei Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von mindestens drei Jahren verurteilt hätte, wenn allein aus diesen
drei Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden gewesen wäre (vgl. zum
Erfordernis einer solchen hypothetischen Gesamtstrafe BGH NJW 1995, 3263
m. Anm. Dölling StV 1996, 542). Die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des
§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat der Tatrichter, dem Sachverständigen folgend,
rechtsfehlerfrei gestellt. Für die Annahme eines Hanges bedurfte es entgegen
der Auffassung der Revision nicht der Feststellung, daß die im Urteil dargestellten
Vorfälle aus dem Jahr 2001 wiederum den Tatbestand des Betrugs erfüllen.
Allein der festgestellte Umstand, daß der Angeklagte als vermögensloser
Haftentlassener einen aufwendigen Lebensstil pflegte, begründet die Annahme,
daß er wieder in sein Bestreben, eindrucksvoll und imponierend aufzutreten,
verfallen war und damit die Gefahr, sich die Mittel hierfür durch Strafta-
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ten zu verschaffen, gegeben ist. Schließlich hat das Landgericht sein ihm durch
§ 66 Abs. 2 StGB überantwortetes Ermessen (vgl. BGHSt 24, 345, 348; BGH
StV 1996, 541; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 1 bis 5)
ausgeübt, indem es sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
berücksichtigt als auch auf die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher
Betrugstaten durch den Angeklagten abgestellt hat.
4. Da das Rechtsmittel nur unwesentlichen Erfolg hat, erscheint es nicht
unbillig, den Beschwerdeführer in vollem Umfang mit den Kosten und notwendigen
Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Rissing-van Saan Kuckein Otten
Rothfuß Roggenbuck



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