BGH,
Urt. v. 5.12.2002 - 3 StR 297/02
3 StR 297/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 5. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 5.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister, von Lienen, Becker, Hubert als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts
Duisburg vom 8. März 2002, soweit es diesen Angeklagten
betrifft,
a) im Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß er des
bandenmäßigen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei
Fällen sowie des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in drei
Fällen bandenmäßig begangen" zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren (Einzelstrafen von zweimal sieben
Jahren sechs Monaten, einmal sechs Jahren sechs Monaten und einmal von
fünf Jahren) verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte
mit seiner Revision, die er auf die Verletzung sachlichen Rechts
stützt. Das Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg.
Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte, der Anführer
einer Bande von Betäubungsmittelhändlern war, in vier
Fällen Heroin in größeren Mengen ein und
ließ es in einem Zeitraum von knapp sechs Wochen von seinen
Mittätern in Kleinmengen an Konsumenten verkaufen. In zwei
Fällen wurde mit jeweils 700 Gramm, in einem Fall mit 200
Gramm und in einem weiteren Fall mit ca. 80 - 100 Gramm Heroin, das
jeweils von hoher Qualität war, Handel getrieben.
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu
Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Insbesondere ist die Jugendkammer rechtsfehlerfrei von vier
selbständigen Fällen des unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln ausgegangen. Aus den Feststellungen
ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, daß die
verkauften Heroinbubbles aus vier unterschiedlichen Einkaufsmengen (UA
S. 7, 12, 18, 19) stammen, welche die vielen Einzelverkäufe zu
vier Bewertungseinheiten zusammenfassen (vgl. BGHR BtMG § 29
Bewertungseinheit 10 und 20; Weber, BtMG Vor §§ 29
ff. Rdn. 266, 298). Die von der Revision vorgetragene - rein
theoretische - Möglichkeit, daß die zwei
Einkaufsmengen von jeweils 700 Gramm Heroin vor Herstellung der Bubbles
vermischt worden sein könnten, kann nicht zur Annahme einer
Bewertungseinheit führen (vgl. Weber, aaO Rdn. 278 f.).
Da sich das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
jeweils auf eine nicht geringe Menge bezog, hat der Senat entsprechend
dem Antrag des Generalbundesanwalts den Schuldspruch geändert.
2. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
a) Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von
Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten, der zu den Tatzeitpunkten
ca. 19 1/2 Jahre alt und damit Heranwachsender war, gekommen ist, weist
keinen Rechtsfehler auf.
Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG
erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit
und der sehr schwierigen Lebensverhältnisse, unter denen er
aufgewachsen ist, vorgenommen. Wesentliche Gesichtspunkte hat sie dabei
nicht übersehen. Daß sie dabei zu dem
Schluß gekommen ist, es handle sich bei dem Angeklagten um
eine bereits gefestigte Person mit weitgehend abgeschlossener
Entwicklung, liegt noch innerhalb des weiten Beurteilungsspielraums,
der dem Jugendrichter zukommt (BGHSt 36, 37 f.; BGH NJW 2002, 73).
Entgegen der Meinung der Revision kommt es für die
Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen nach
§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht darauf an, daß er - wie
hier der Angeklagte - auf Grund seines Lebensweges keine echte Chance
auf eine positive Entwicklung hatte; vielmehr ist maßgebend,
ob in dem heranwachsenden Täter noch in
größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam
sind (st. Rspr., vgl. BGHSt 36, 37, 40; BGHR JGG § 105 Abs. 1
Nr. 1 Entwicklungsstand 8), was das Landgericht rechtsfehlerfrei
verneint hat.
b) Gegen die Einzelstrafaussprüche und den
Gesamtstrafenausspruch bestehen hingegen durchgreifende rechtliche
Bedenken, weil die Jugendkammer bei der Verhängung der hohen
Freiheitsstrafen nicht erkennbar geprüft hat, welche Wirkungen
von diesen Strafen für das künftige Leben des zum
Urteilszeitpunkt erst 20 Jahre alten Angeklagten in der Gesellschaft zu
erwarten sind.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der Strafzumessung die
Wirkungen einer Strafe auf den Täter unter dem
spezialpräventiven Gesichtspunkt einer Resozialisierung zu
berücksichtigen (vgl. BGHSt 24, 40 ff.; Gribbohm in LK 11.
Aufl. § 46 Rdn. 21 ff.). Deshalb sind Art und Umfang der
Strafe so zu bestimmen, daß ihr Resozialisierungszweck
erfüllt werden kann (vgl. Stree in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbem. §
38 Rdn. 15). Bei der Verhängung einer sehr hohen
Freiheitsstrafe gegen einen jungen Angeklagten, der eine lange
Freiheitsstrafe während einer Zeit verbüßen
muß, in der häufig noch entscheidende
Weichenstellungen im Hinblick auf das zukünftige Leben
getroffen werden können, besteht die Gefahr, daß
wegen des Fehlens jeglicher Perspektive für ein
eigenverantwortliches Leben die anzustrebende Wiedereingliederung in
die Gesellschaft nicht erreicht wird. Dies gilt vor allem für
einen jungen Straftäter, der bisher - wie hier der Angeklagte
- keine echte Chance für eine positive Entwicklung hatte, auch
nicht durch eine erzieherische Einwirkung im Rahmen des Vollzugs von
Jugendstrafe.
Auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat zur Bemessung einer
langen Freiheitsstrafe, die gegen einen zum Tatzeitpunkt noch
Heranwachsenden zu verhängen war, in einem die Entscheidung
nicht tragenden Hinweis an den neuen Tatrichter ausgeführt,
bei einem altersgemäß entwickelten Heranwachsenden
seien die von einer solchen Strafe für sein
zukünftiges Leben in der Gesellschaft zu erwartenden
Auswirkungen regelmäßig eingehend zu prüfen
(BGHR StGB § 46 Abs. 1 Wiedereingliederung 1; so auch
Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 106 Rdn. 1;
Eisenberg, JGG 9. Aufl. § 106 Rdn. 6), weil die
Reifeentwicklung noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen sei,
daß bei entsprechenden erzieherischen Bemühungen
eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft
unmöglich wäre. Soweit der 2. Strafsenat dies aus dem
der Milderungsmöglichkeit des § 106 Abs. 1 JGG
zugrunde liegenden Gedanken abgeleitet hat, vermag der Senat dem nicht
zu folgen: Die Vorschrift bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die
lebenslange Freiheitsstrafe und stammt aus der Zeit vor
Einfügung des § 57 a StGB in das Strafgesetzbuch. Im
übrigen bedarf es eines Rückgriffs auf § 106
Abs. 1 JGG nicht, weil nach der ausdrücklichen Regelung in
§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB bei jedem Angeklagten, der nach
allgemeinem Strafrecht abzuurteilen ist, die Wirkungen der Strafe
für das zukünftige Leben zu berücksichtigen
sind, und zwar unabhängig davon, ob er zum Tatzeitpunkt
Heranwachsender war oder nicht.
Ob sich die Urteilsgründe mit den Wirkungen einer Strafe auf
einen zum Urteilszeitpunkt noch sehr jungen Angeklagten
ausdrücklich befassen müssen und in welchem Umfang
dies zu geschehen hat, hängt im Einzelfall von der
Höhe der verhängten Freiheitsstrafe sowie dem Alter
des Verurteilten und den übrigen
Strafzumessungserwägungen ab. Dabei gilt der Grundsatz,
daß die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umso
eher eine ausdrückliche Erörterung gebietet, je
jünger der Verurteilte und je höher die
verhängten Freiheitsstrafen sind. Wegen des Alters des
Angeklagten von zum Urteilszeitpunkt erst 20 Jahren, seinem bisherigen
Lebensweg und angesichts der verhängten sehr hohen
Freiheitsstrafen hätte bei der Zumessung sowohl der
Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe der Aspekt der Resozialisierung
in den Urteilsgründen als bestimmender
Strafzumessungsgesichtspunkt ausdrücklich erörtert
werden müssen. Daß die Jugendkammer dies nicht
erkennbar getan hat, stellt unter den gegebenen Umständen
einen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Die umfangreichen
Ausführungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG
genügen dafür nicht, weil sie nur auf den
Entwicklungsstand des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten und nicht auf
die Auswirkungen der Strafen für sein zukünftiges
Leben abstellen.
Tolksdorf Pfister von Lienen Becker Hubert |