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BGH, Urteil vom 5. Mai 2004 - 5 StR 139/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 5.5.2004 - 5 StR 139/03
5 StR 139/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
5.05.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Bestechlichkeit u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 4. und 5.05.2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
am 5.05.2004 für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Halle/Saale vom 5. Juni 2002 wird verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte
Urteil aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen
worden ist und soweit die Anordnung des Verfalls
unterblieben ist.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten
verurteilt und ihn im übrigen vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die allein gegen
den Freispruch und die Nichtanordnung des Verfalls gerichtete Revision der
Staatsanwaltschaft ist erfolgreich.
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Das Landgericht hat im wesentlichen folgendes festgestellt: Der Angeklagte
war seit 1971 Angestellter der Stadt Halle/Saale, seit 1991 als stellvertretender
Amtsleiter im Stadtplanungsamt, ab 1995 als Leiter der Koordinierungsstelle
Stadtsanierung. Dabei hatte er im Rahmen der Förderung
städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen - unter Ausübung
pflichtgemäßen Ermessens - über die Vergabe von Aufträgen zu entscheiden.
Der Angeklagte lernte den Hotelbetriebswirt K , den alleinigen
Gesellschafter und Geschäftsführer der R B P
GmbH (im folgenden R GmbH genannt), der mit dem Architekten
S zusammenarbeitete, persönlich eng kennen. Im Jahre 1992 und
am 28. Januar 1993 erteilte der Angeklagte dem Zeugen K zwei
Aufträge zur Erstellung von Bestandsaufnahmen bzw. Finanzierungs- und
Nutzungskonzeptionen mit einem Gesamtvolumen von mindestens
289.103 DM. Im Frühjahr 1993 trafen sich der Angeklagte und K im
Café F in Halle. Der Angeklagte teilte K mit, daß es in der
Branche üblich sei, 5 % der Auftragssumme zu bezahlen, und wies darauf
hin, daß K und S in der Vergangenheit bereits genug an
den durch die Stadt erteilten Aufträgen verdient hätten. Dabei wollte er den
Eindruck erwecken, daß er sich bei der Ausübung des ihm eingeräumten
Ermessens im Rahmen der Vergabe entsprechender Aufträge durch eine
Provision beeinflussen lasse und daß der R GmbH bei Ausbleiben der
Zahlung die Nichtberücksichtigung bei weiteren Gutachtenaufträgen drohe.
Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte sich insgeheim,
ohne dies aber K zu erkennen zu geben, vorbehielt, jeweils
doch die sachgerechteste Lösung bei der Vergabe entsprechender Gutachtenaufträge
auszuwählen. K fragte nach, in welchem Umfang eine
Provision bezahlt werden solle. Der Angeklagte überließ diese Entscheidung
seinem Gesprächspartner und forderte ihn auf, einen entsprechenden Vorschlag
zu unterbreiten. Daraufhin kamen K und S überein,
daß eine jährliche Zahlung von maximal 50.000 DM in Raten an den Ange-
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klagten möglich sei. Etwa eine Woche nach dem Treffen im Café F traf
der Angeklagte sich erneut mit K , der auf Frage des Angeklagten
die Zahlung von maximal 50.000 DM pro Jahr in Raten anbot. Der Angeklagte
stimmte dem Angebot zu und sagte, daß die nächste Rate in der
kommenden Woche fällig sei. In den folgenden Jahren wurden daraufhin
mehrfach Ratenzahlungen von K und S an den Angeklagten
geleistet. Welcher Betrag bei jeder Rate an den Angeklagten gezahlt
wurde, hat das Landgericht nicht feststellen können. Ebensowenig konnten
Feststellungen dazu getroffen werden, welche Mindestbeträge K
und S in dem Zeitraum von 1993 bis 1997 an den Angeklagten leisteten
und zu welchem Zeitpunkt diese Zahlungen erfolgten. In der Folgezeit
bis zum Jahr 1997 erteilte der Angeklagte der R GmbH neun Gutachtenaufträge,
für die insgesamt 1.051.204 DM Honorar gezahlt wurden. Der Angeklagte
befand die Rechnungen der R GmbH als sachlich richtig und
fertigte entsprechende Auszahlungsanordnungen aus. Über die sich aus der
Vergabeordnung der Stadt Halle und weiteren Anweisungen ergebende
Pflicht, insbesondere wegen der Überschreitung bestimmter Wertgrenzen
seine Dienstvorgesetzten über die Vorgänge zu informieren, setzte der Angeklagte
sich bewußt hinweg.
Ab 1993 engagierte K sich auch als Bauherr und Investor in
Sanierungsobjekten in Halle. Zu diesem Zweck wurden die Bauherrengemeinschaft
R K - I S GbR, an der K
zu 50 % beteiligt war, und die I R GmbH, deren faktischer
Geschäftsführer K war, gegründet. Von April 1994 bis Juni 1995
erwarb die genannte Bauherrengemeinschaft sechs Sanierungsobjekte in
Halle. Sie stellte für alle Objekte Anträge auf Bewilligung von Fördergeldern
aus dem Förderprogramm „Historische Altstadt“. Im Rahmen dieses Programms
bestand die Möglichkeit, die Kosten für durchgeführte Notsicherungsmaßnahmen
seitens der Stadt Halle unter Anrechnung auf bewilligte
und später auszuzahlende Fördergelder an den jeweiligen Bauherren vorab
auszukehren. Die Bauherrengemeinschaft trat ihre Ansprüche auf Auszah-
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lung von Fördergeldern an die I R GmbH ab. Im Spätherbst 1995
wurden Abschlagsrechnungen in Höhe von knapp 2 Mio. DM, die von der
I R GmbH eingereicht worden waren, durch die D S
mbH, die seitens der Stadt Halle als Sanierungsbetreuer
eingeschaltet war, beanstandet. Die Bauherrengemeinschaft befand
sich, wie der Angeklagte wußte, in einer angespannten finanziellen Lage. In
dieser Situation äußerte der Angeklagte gegenüber K bei einem
Treffen im Spätherbst 1995 im Café H in Halle, daß „wieder eine
Rate fällig“ sei. Er beabsichtigte, die mit K und S bestehende
„Käuflichkeitsvereinbarung“ dahingehend zu erweitern, daß die Bezahlung
der einzelnen Raten nicht nur für die Vergabe von Aufträgen an die
R GmbH erfolgen sollte, sondern darüber hinaus die Bewilligung und zügige
Auszahlung weiterer Fördermittel, insbesondere die Begleichung von
eingereichten Abschlagsrechnungen der I R GmbH, „betreffen
sollte“. Dabei wollte er gegenüber K zum Ausdruck bringen, daß er
sich durch die entsprechende Zahlung bei seiner Entscheidung beeinflussen
lassen würde. Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte
sich wiederum insgeheim vorbehielt, jeweils sachgerecht zu entscheiden.
K erhoffte sich, das Wohlwollen des Angeklagten für die Bewilligung
und Auskehr von Fördergeldern durch die Zahlung weiterer Raten
„zusätzlich zu erkaufen“. Entsprechend der Aufforderung des Angeklagten
leisteten K und S nach entsprechender Abrede untereinander
weitere Ratenzahlungen an den Angeklagten. Umfang und Zeitpunkt
der Ratenzahlungen, die bis August 1999 erfolgten, konnten im einzelnen
nicht festgestellt werden. In der Folgezeit traf der Angeklagte zahlreiche Entscheidungen
zugunsten der Bauherrengemeinschaft bzw. der I R
GmbH. Er zeichnete insbesondere Rechnungen als richtig ab und erteilte
entsprechende Auszahlungsanweisungen.
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I.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Die Aufklärungsrügen sind unzulässig erhoben, weil die Beschlüsse,
mit denen das Landgericht die den Beanstandungen zugrundeliegenden
Anträge beschieden hat, nicht mitgeteilt werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Auch die Sachrüge versagt. Die umfassende sachlich-rechtliche Überprüfung
des angefochtenen Urteils hat - auch eingedenk der erhobenen
Einzelbeanstandungen - keinen Fehler zutage treten lassen.
a) Dies gilt zunächst für den Schuldspruch.
aa) Namentlich sind die Einzelangriffe gegen die Beweiswürdigung
unbegründet.
Das Landgericht hat unter umfassender Darstellung und entsprechender
Würdigung belegt, weshalb es dem Zeugen K geglaubt hat.
Mit der Aussage des Zeugen KOK Kr hat das Landgericht sich
auseinandergesetzt. Die darüber hinausgehende Behauptung, der Zeuge
habe bekundet, „seine umfangreichen Finanzermittlungen beim Angeklagten
hätten keinen Hinweis darauf ergeben“, daß der Angeklagte „Zuwendungen
erhalten hat“, sind urteilsfremd.
Auch die Urheberschaft der im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei
dem Zeugen K gefundenen Liste „Zahlungen an L.“ hat das Landgericht
umfassend und rechtsfehlerfrei geprüft. Es ist dabei zu der Überzeugung
gelangt, daß die Liste von dem Zeugen K erstellt und von der
Zeugin B mit der Überschrift „Zahlungen an L.“ versehen worden
ist. Zum letzteren hat das Landgericht das Gutachten des Schriftsachver-
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ständigen Dr. H ausführlich wiedergegeben. Soweit die Revision behauptet,
der Sachverständige habe ausgeführt, daß „es ihm möglich wäre,
den Urheber zu bestimmen, wenn ihm von diesem ausreichend Vergleichsmaterial
zur Verfügung stünde“, ist dies urteilsfremd. Eine entsprechende
Verfahrensrüge ist nicht erhoben.
bb) Zutreffend hat das Landgericht in beiden Fällen jeweils eine Bestechlichkeit
gemäß § 332 Abs. 1 StGB (in der vor dem Gesetz zur Bekämpfung
der Korruption vom 13. August 1997, BGBl I 2038, geltenden Fassung)
gefunden. Der Angeklagte hat als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c
StGB) jeweils einen Vorteil für sich gefordert und angenommen. Dabei hat er
sich im Sinne des § 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB bereit gezeigt, sich bei der Ausübung
des ihm zustehenden Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu
lassen.
b) Auch die Strafzumessung ist ohne Rechtsfehler. Die Tatsache, daß
die Höhe der einzelnen Bestechungszahlungen nicht festgestellt werden
konnte, nötigte das Landgericht schon deshalb nicht zu der von der Revision
vermißten Erörterung, ob eine Strafe „im Bereich der Mindeststrafe“ in Betracht
käme, weil die Höhe der Bestechungszahlungen jedenfalls nicht im
niedrigen Bereich lag.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zunächst insoweit begründet, als es sich gegen
den Freispruch wendet. Dem Angeklagten wird mit der zugelassenen Anklage
vorgeworfen, in Tatmehrheit zu den Fällen der Bestechlichkeit eine Einkommensteuerhinterziehung
nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO in vier
Fällen begangen zu haben. Er habe in den Jahren 1993 bis 1996 von dem
Zeugen K Bestechungsgelder jeweils in Höhe von 25.000 DM er-
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halten. Er habe für das Jahr 1993 keine Einkommensteuererklärung abgegeben
und in seinen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1994 bis 1996
die jeweils erhaltenen Bestechungsgelder verschwiegen. Dadurch sei die
Einkommensteuer jeweils zu niedrig festgesetzt worden, nämlich für das Jahr
1993 um 9.300 DM, für das Jahr 1994 um 7.706 DM, für das Jahr 1995 um
8.128 DM nebst 609 DM Solidaritätszuschlag und für das Jahr 1996 um
8.778 DM nebst 659 DM Solidaritätszuschlag. Das Landgericht hat den Angeklagten
von diesen Vorwürfen freigesprochen. Es hat sich an einer Verurteilung
allein deshalb gehindert gesehen, weil es nicht hat feststellen können,
in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte Zahlungen des
Zeugen K erhielt. Es habe nicht einmal Mindestbeträge für die einzelnen
Jahre feststellen können. Auch komme eine Wahlfeststellung nicht in
Betracht. Dies hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, daß Bestechungsgelder
erklärungspflichtige sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG sind
(BGHSt 30, 46, 51; Eisgruber in Kirchhof, EStG 3. Aufl. § 19 Rdn. 150 sub
Schmiergeld; Fischer in Kirchhof aaO § 22 Rdn. 34; Wacker in Schmidt,
EStG 22. Aufl. § 22 Rdn. 150 sub Schmier- und Bestechungsgelder; die beiden
zuletzt Genannten je m.N. der Rspr. des Bundesfinanzhofs). Zudem hat
das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte von K Bestechungszahlungen
erhielt, deren Umfang nach den weiteren Feststellungen
beträchtlich gewesen sein muß. So ergeben sich aus dem jeweiligen Volumen
der einzelnen Geschäftsvorgänge, auf die sich die beiden „Käuflichkeitsvereinbarungen“
bezogen, aus der vom Angeklagten gegenüber K
als branchenüblich genannten Quote von 5 % der Auftragssumme,
aus dem Zeitraum der zahlreichen Bestechungszahlungen und der Liste
„Zahlungen an L.“ Anhaltspunkte für eine Bestimmung der Höhe der Zahlungen.
Angesichts dieser Sachlage, bei der die Schuld des Angeklagten als
solche feststeht, dagegen lediglich die Verteilung der Höhe der hinterzogenen
Steuern auf die einzelnen Jahre ungewiß ist, gibt es für einen Freispruch
keinen Raum. Zwar ist es erforderlich, bei einer Tatserie die Einzelakte so
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konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, daß sich daraus
die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes ergibt
(BGHSt 40, 374, 376). Jedoch ist in solchen Fällen die Schuld des Angeklagten
unter Zuordnung zu festgestellten Einzeltaten durch Schätzung zu
erfassen.
Steht bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters
ein strafbares Verhalten des Täters fest, so kann die Bestimmung des
Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen (BGHSt 36, 320, 328; 38,
186, 193; 40, 374, 376). Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich
Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen (BGHR StGB vor § 1
Serienstraftaten Betrug 1). Die Schätzung ist dann sogar unumgänglich,
wenn über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden
sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen
Mindestschuldumfang festzustellen. Die Feststellung der Zahl der
Einzelakte und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese Einzelakte erfolgt
sodann nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (BGHSt 40, 374, 376 f.;
BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 31; BGH NStZ 1999, 581; BGH, Urt. vom
21. April 2004 - 5 StR 540/03). Läßt sich nicht für jedes Steuerjahr der
Empfang von Zahlungen klären, kommt auch eine Feststellung im Wege der
Wahlfeststellung in Betracht.
b) Die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung
war auch nicht unter dem Gesichtspunkt suspendiert, daß niemand verpflichtet
ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen
(nemo tenetur se ipsum accusare).
Zwar regelt § 393 Abs. 1 AO, daß der Einsatz von Zwangsmitteln unzulässig
ist, soweit der Steuerpflichtige eigene Steuerstraftaten offenbaren
müßte, was in bestimmten Fällen sogar dazu führt, daß die Pflicht zur Abgabe
von Steuererklärungen suspendiert ist (vgl. BGHSt 47, 8, 12; BGHR AO
§ 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 2 und 3). Soweit der Steuerpflichtige mit einer
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wahrheitsgemäßen Erklärung allgemeine Straftaten offenbart, ist er durch
das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie das in § 393 Abs. 2 AO normierte begrenzte
strafrechtliche Verwertungsverbot geschützt (vgl. BVerfGE 56, 37,
47).
Indes gilt dieser Schutz nicht uneingeschränkt. Vielmehr sieht das Gesetz
in § 393 Abs. 2 Satz 2, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ausdrücklich eine Durchbrechung
des Steuergeheimnisses vor, wenn die Offenbarung im zwingenden
öffentlichen Interesse liegt. In Anbetracht der überragenden Bedeutung
der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter für ein ordnungsgemäß
funktionierendes Gemeinwesen wird dem Steuerpflichtigen demnach die Erklärung
auch solcher Einkünfte zugemutet, durch deren Offenbarung er in
den Verdacht einer Straftat geraten und durch die er sich der Gefahr der
Strafverfolgung aussetzen kann (vgl. BGH, Urt. vom 10. August 2001
- RiSt (R) 1/00, teilweise abgedruckt in NJW 2002, 834). Um einen Ausgleich
im gegebenen Spannungsfeld - zwischen den in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten
Rechtsgütern einerseits, dem Schutz vor erzwungener Selbstbelastung
und dem Steuergeheimnis andererseits, jeweils vor dem Hintergrund
der gebotenen Sicherung eines vollständigen Steueraufkommens - zu finden,
wird es naheliegen, an die Konkretisierung der gebotenen steuerlichen
Erklärungen möglicherweise niedrigere Anforderungen zu stellen als sonst
nach § 90 AO geboten. Eine solche Reduzierung des Erklärungsumfangs
könnte etwa darin bestehen, daß die Einkünfte nur betragsmäßig, nicht aber
unter genauer Bezeichnung der Einkunftsquelle zu benennen sein werden.
Dies bedarf hier indes keiner weiteren Entscheidung, weil der Angeklagte
gegenüber dem Finanzamt die Schmiergelder gänzlich verschwiegen hat.
Jedenfalls ist das gefundene Ergebnis - eine steuerliche Erklärungspflicht
im Hinblick auf erhaltene Schmiergelder - verfassungsrechtlich und
konventionsrechtlich (Art. 6 Abs. 1 MRK) nur dann hinnehmbar, wenn bei der
Rechtsfolgenentscheidung der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang
zwischen der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung berücksichtigt wird
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und dem durch eine straffe Zusammenziehung der zu verhängenden Einzelstrafen
Rechnung getragen wird (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken
Rogall in Festschrift für Kohlmann 2003, S. 465, 469 f., 495 f. m.w.N.;
vgl. zu § 393 Abs. 2 AO auch Senatsurteil vom heutigen Tag
- 5 StR 548/03, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Darüber hinaus
werden die mittlerweile erhebliche Dauer des Strafverfahrens und die damit
verbundenen Belastungen für den Angeklagten in besonderem Maße bei der
Strafzumessung zu berücksichtigen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung
13).
2. Zudem ist die Revision der Staatsanwaltschaft auch insoweit begründet,
als sie sich gegen die Nichtanordnung des Verfalls richtet.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte von K
Bestechungszahlungen erhalten hat, die nach den weiteren Feststellungen
erheblich gewesen sein müssen (oben sub 1a). Es hat allerdings nicht aufklären
können, in welchem konkreten Umfang und zu welchem Zeitpunkt die
Zahlungen erfolgten. Es hat gemeint, deshalb sei die Anordnung des Verfalls
des Wertersatzes nach §§ 73, 73a StGB nicht möglich. Auch eine Schätzung
nach § 73b StGB hat es für ausgeschlossen gehalten. Dies hält sachlich-rechtlicher
Prüfung nicht stand.
a) Bestechungsgelder unterliegen grundsätzlich dem Verfall nach § 73
StGB, ihre Surrogate dem Verfall des Wertersatzes nach § 73a StGB
(st. Rspr. seit BGHSt 30, 46, 47). Der Umfang des aus der Bestechung Erlangten
kann geschätzt werden (§ 73b StGB). Diese Regelung bleibt nicht
hinter der oben sub 1a beschriebenen Regelung für die Schätzung der Höhe
hinterzogener Steuern zurück.
b) Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht dem hier nur in
eingeschränktem Maß entgegen.
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aa) Ansprüche der Stadt Halle/Saale als Arbeitgeber des Angeklagten
und etwaigen Verletzten, die einer Verfallsanordnung entgegenstünden, liegen
generell nicht vor (vgl. BGHSt 30, 46, 49; für Beamte im formellen Sinne
ferner BGH NStZ 2000, 589, 590 und 2003, 423); der vorliegende Fall gibt
dem Senat keinen Anlaß, die Grundsätze dieser Rechtsprechung in Frage zu
stellen. Auch für einen Fall der Art, daß dem Dienstherrn ein Schaden entstanden
wäre, der demjenigen Vermögenszuwachs spiegelbildlich entspräche,
den der Angeklagte aus der Tat erlangt hat (vgl. BGHR StGB § 73 Verletzter
4 und 5, insoweit in BGHSt 46, 310 nicht abgedruckt; BGHSt 47, 22),
ist nichts Tragfähiges festgestellt. Zwar läge eine Untreue des Angeklagten
zum Nachteil der Stadt nicht ganz fern, wenn nachzuweisen gewesen wäre,
daß er überhöhte Rechnungen zugunsten des Schmiergeldzahlers bewilligte.
Dem steht aber hier letztlich entgegen, daß hinsichtlich der in Rechtskraft
erwachsenen Bestechlichkeitsschuldsprüche zugunsten des Angeklagten
unterstellt wurde, seine Diensthandlungen seien in der Sache nicht zu beanstanden
gewesen. Eine etwaige doppelte Anwendung des Zweifelsgrundsatzes,
welche im Zusammenhang mit dem Verfall das Vorliegen einer Untreue
zugunsten des Angeklagten zu unterstellen vorschriebe, scheidet aus. Nach
Sinn und Zweck setzt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB den an den Schuldspruch
anknüpfenden eindeutigen Beleg von Ansprüchen Verletzter voraus, weil
selbstverständlich nicht ermöglicht werden soll, daß der Täter in Zweifelsfällen
die grundsätzlich verfallene, nicht sicher den Ansprüchen Verletzter ausgesetzte
Tatbeute etwa behalten dürfte.
bb) Allerdings gehen die Ansprüche des Steuerfiskus den Ansprüchen
des Justizfiskus vor (BGHR StGB § 73 Verletzter 3; BGH NStZ 2003, 423).
Jedoch besteht hier der dem Steuerfiskus zustehende Anspruch nur in Höhe
der auf die Bestechungszahlungen entfallenden Einkommensteuer. In dieser
Höhe ist bei der Bemessung des Verfalls unter dem Gesichtspunkt des § 73
Abs. 1 Satz 2 StGB - erforderlichenfalls wiederum im Wege der Schätzung -
der dem Steuerfiskus zustehende Betrag auszunehmen (BGHSt 30, 46, 51;
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zur Berücksichtigung von Steuern bei der Anordnung von Verfall vgl. BGHSt
47, 260, 265).
Harms Häger Basdorf
Raum Schaal



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