BGH,
Urt. v. 6.4.2000 - 1 StR 502/99
StGB § 130 Abs. 3, 5; § 86 Abs. 3
Der Tatbestand der Volksverhetzung in der Handlungsalternative des
Verharmlosens des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB) ist
grundsätzlich auf Verteidigerhandeln nicht anzuwenden, wenn
dem verteidigten Mandanten seinerseits Volksverhetzung i.S.d.
Tatbestandes zur Last liegt. Insoweit greift die
Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3 StGB
(i.V.m. § 130 Abs. 5 StGB).
Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Erklärung des
Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als
verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das sich lediglich den
äußeren Anschein der Verteidigung gibt,
tatsächlich aber nach den Maßstäben des
Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher
beizutragen vermag.
BGH, Urt. vom 6. April 2000 - 1 StR 502/99 - LG Mannheim
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 502/99
vom
6. April 2000
in der Strafsache gegen
wegen Volksverhetzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 4. April 2000 in der Sitzung am 6. April 2000, an denen
teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr.
Schäfer und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul, Dr.
Granderath, Dr. Boetticher, Schluckebier, Staatsanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, - in der
Verhandlung vom 4. April 2000 - Justizangestellte als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Mannheim vom 25. März 1999 werden als
unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels; die
Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur
Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten, der von Beruf Rechtsanwalt ist,
wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die hiergegen
gerichtete Revision des Angeklagten rügt allgemein die
Verletzung sachlichen Rechts. Die zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft greift das Urteil im
Strafausspruch an und erhebt verschiedene Verfahrensrügen
sowie die Sachrüge. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung in der
Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust (§ 130
Abs. 3 StGB) liegt ein von ihm als Verteidiger gestellter Beweisantrag
zugrunde, den er im Frühjahr 1997 in einem Strafverfahren
gegen den seinerseits der Volksverhetzung und anderer Delikte
angeklagten vormaligen NPD-Vorsitzenden
D. anbrachte.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der vom Angeklagten
verteidigte D. dem Kreis der Revisionisten zuzurechnen, die sich zum
Ziel gesetzt haben, die deutsche Geschichte der Zeit des
Nationalsozialismus umzuschreiben. Vor allem durch Leugnen oder
Verharmlosen des Verfolgungsschicksals der Opfer des
Nationalsozialismus "soll das deutsche Volk von seiner historischen
Schuld entlastet" werden. Zugleich wird behauptet, die Berichte
über den Holocaust beruhten auf einer Legendenbildung durch
jüdische Kreise, die das Ziel verfolge, das deutsche Volk
finanziell und politisch zu erpressen.
In der Hauptverhandlung gegen D. stellten dieser selbst und der
Angeklagte als sein Verteidiger zahlreiche Beweisanträge. Das
Verteidigungsverhalten war von einer gemeinsamen "revisionistischen
Grundrichtung" getragen. Einer entsprechenden Verteidigungsabsprache
gemäß ließ D. in
seinen Anträgen der rechtsradikalen Polemik freien Lauf. Der
Angeklagte hielt sich aus beruflichen Gründen indessen
zurück und vermied Äußerungen, die den
Tatbestand der Volksverhetzung hätten erfüllen
können. Demgemäß schloß der
Angeklagte mehrere Beweisanträge, die er zumeist schriftlich
vorbereitet hatte, mit der Klausel, daß mit den
Beweisbehauptungen die Massenvernichtung der Juden nicht geleugnet,
verharmlost oder gebilligt werden solle. Dem lag das Bestreben
zugrunde, absehbare strafrechtliche und berufliche Schwierigkeiten zu
vermeiden. Gegen Ende der Hauptverhandlung "breitete sich eine
allgemeine Atmosphäre der Hektik aus", die zunehmend von
gefühlsbetonten Äußerungen geprägt
war. Als der Schluß der Beweisaufnahme unmittelbar
bevorstand, stellte der Angeklagte mehrere Hilfsbeweisanträge,
die er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht schriftlich
vorbereitet hatte, sondern "in offensichtlicher Eile" handschriftlich
notierte, verlas und übergab. Einer dieser Anträge -
der allein Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten ist - lautete
wie folgt:
"Es werden die Zeugen Bundespräsident Herzog,
Bundestagspräsidentin Süßmuth,
Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbach und
Bundeskanzler Kohl zum Beweis der Tatsache benannt, daß es
primär massive politische Interessen sind, welche dem
Durchbruch der historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust
entgegenstehen, und zwar nicht einmal in erster Linie diejenigen der
überlebenden Juden und derer Abkömmlinge oder gar des
Staates Israel, sondern vor allem diejenigen unserer eigenen
(deutschen) politischen Klasse, welche ihre einzigartige politische
Unfähigkeit seit fast 50 Jahren mit der
´Einzigartigkeit der deutschen Schuld´ legitimiert
und nicht in der Lage ist, zuzugeben, daß sie sich an der
Nase herumführen und für dumm verkaufen
läßt."
Sein Mandant D. machte sich diesen hilfsweise gestellten Antrag zu
eigen und stellte ihn als Hauptantrag. Das Landgericht lehnte den
Antrag in jenem Verfahren ab, weil er keine erhebliche
Tatsachenbehauptung enthalte.
2. In dem daraufhin gegen den Angeklagten geführten
Strafverfahren hat das Landgericht den Erklärungsinhalt dieses
vom Angeklagten als Verteidiger gestellten Beweisantrages durch
Auslegung unter Berücksichtigung der Begleitumstände
ermittelt. Es hat ausgeführt, wenn vom "Durchbruch der
historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust" die Rede sei,
könne dies nur bedeuten, daß die bisher
gültige historische Wahrheit nicht den Tatsachen entspreche.
Vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens gegen D.
könne das nur heißen, daß der Holocaust
entweder überhaupt nicht oder nicht in der als geschichtliche
Tatsache anerkannten Art und Weise bzw. in dem überlieferten
Umfang stattgefunden habe. Zu Gunsten des Angeklagten sei indessen
davon auszugehen, daß er die systematische Massenvernichtung
der Juden nicht pauschal habe in Abrede stellen wollen. Vielmehr ergebe
sich auch aus der Formulierung des Antrages der Aussagegehalt,
daß es nicht zu den Massentötungen durch Vergasen im
geschichtlich anerkannten Umfang gekommen sei. Auf dieser Grundlage
bringe der Antrag die Meinung zum Ausdruck, jüdische
Interessengruppen hätten das deutsche Volk politisch und
finanziell erpreßt. Die polemische Gleichsetzung der - vom
Angeklagten so apostrophierten - "einzigartigen politischen
Unfähigkeit" mit der Einzigartigkeit der deutschen Schuld
stelle eine äußerst geschmacklose Verharmlosung der
Verbrechen der NS-Zeit dar.
Das Landgericht hat den Antrag auch für geeignet gehalten, den
öffentlichen Frieden zu stören, weil er in
öffentlicher Hauptverhandlung gestellt worden sei; an dieser
hätten zahlreiche Sympathisanten D. s aus der rechtsradikalen
Szene ebenso wie mehrere Pressevertreter teilgenommen. Nach
entsprechenden Presseberichten seien 21 Anzeigen wegen Volksverhetzung
gegen den Angeklagten bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.
Aufgrund seiner intensiven beruflichen Befassung mit allen
Rechtsfragen, die mit dem Holocaust verknüpft seien, sei dem
Angeklagten bewußt gewesen, daß sein Beweisantrag -
wegen der Offenkundigkeit des Holocaust - keinerlei
verteidigungsrelevante Erfolgsaussichten im Hinblick auf Schuldspruch
oder Strafmaß zugunsten seines Mandanten hätte haben
können. Auch die polemische Abfassung zeige, daß er
den Antrag keineswegs zu Verteidigungszwecken gestellt habe.
II. Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat einen
sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten nicht
aufgedeckt. Die Urteilsgründe lassen zwar besorgen, das
Landgericht könne die Gewährleistung einer wirksamen
Strafverteidigung bei der Auslegung und Anwendung des in Rede stehenden
Straftatbestandes auf Verteidigerhandeln nicht in jeder Hinsicht
genügend bedacht haben. Das beschwert den Angeklagten jedoch
im Ergebnis nicht, weil dem Zusammenhang des Urteils die
Überzeugung des Landgerichts zu entnehmen ist, daß
der Angeklagte bei Stellung des gegenständlichen
Beweisantrages allein verteidigungsfremde Zwecke verfolgt hat. Mithin
greift die Tatbestandsausschlußklausel für
sogenannte legitime Zwecke hier nicht ein (§ 86 Abs. 3 i.V.m.
§ 130 Abs. 5 StGB).
1. Das Landgericht hat den Tatbestand der Volksverhetzung in der
Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust rechtsbedenkenfrei
als erfüllt angesehen (§ 130 Abs. 3 StGB).
a) Der Tatbestand des Billigens, Leugnens oder Verharmlosens des
Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung
unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde mit dem
Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 in die
Vorschrift des § 130 StGB eingefügt. Der Gesetzgeber
wollte damit einen Beitrag zur Verhinderung rechtsextremistischer
Propaganda leisten. Wegen deren gefährlicher Auswirkungen auf
das politische Klima sollte die Anwendung des § 130 StGB in
der Praxis erleichtert und die generalpräventive Wirkung der
Strafvorschrift der Volksverhetzung erhöht werden, namentlich
im Blick auf die Diffamierung und Diskriminierung jüdischer
Mitbürger (vgl. Gesetzentwurf BTDrucks. 12/6853 S. 23/24;
Rechtsausschußbericht BTDrucks. 12/8588 S. 8). Das
Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der
Äußernde den Holocaust herunterspielt,
beschönigt oder in seinem wahren Gewicht verschleiert. Alle
denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter
diskriminierender Mißachtung sollen erfaßt werden
(vgl. von Bubnoff in LK StGB 11. Aufl. § 130 Rdn. 44; siehe
auch BT-Verh. 12/227 S. 19664, 19672). Steht eine relativierende
Ausdrucksweise in Rede, ist der inhaltliche Gesamtaussagewert der
Äußerung aus Sicht eines verständigen
Zuhörers oder Lesers durch genaue Textanalyse unter
Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln
(vgl. von Bubnoff aaO).
b) Dem folgend hat das Landgericht den Aussagegehalt des vom
Angeklagten in öffentlicher Hauptverhandlung gestellten
Beweisantrages ermittelt und als Verharmlosung des Holocaust zur Zeit
des Nationalsozialismus gewürdigt. Ziel und Aussage des
Antrages hat es darin gesehen zu verdeutlichen, daß es nicht
im geschichtlich anerkannten Umfang zu dem Massenmord an der
jüdischen Bevölkerung gekommen sei. Die Zahl der
Opfer müsse vielmehr in so erheblicher Weise nach unten
korrigiert werden, daß es dem Angeklagten in diesem
Zusammenhang als angebracht erschienen sei, der Nachkriegspolitik
"einzigartige Unfähigkeit" zu bescheinigen. Weiter hat die
Strafkammer durch eine nachvollziehbare, nicht zu beanstandende
Textanalyse vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens gegen
D. den Aussagegehalt auch dahin ermittelt, daß dem
"Durchbruch der Wahrheit" in dem so verstandenen Sinne auch
jüdische Interessengruppen entgegengewirkt ("nicht einmal in
erster Linie diejenigen der überlebenden Juden") und -
revisionistischer Geschichtsauffassung entsprechend - das deutsche Volk
politisch und finanziell erpreßt hätten. Zudem hat
das Landgericht in der polemischen Gleichsetzung der vermeintlich
"einzigartigen politischen Unfähigkeit" deutscher Politik mit
der - auch im Antrag in Anführungszeichen gesetzten -
"Einzigartigkeit der deutschen Schuld" eine Verharmlosung der
Verbrechen der NS-Zeit gesehen. Dabei hat das Landgericht im
Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zur Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 82, 272, 280 f.; BVerfG, Kammer, NJW
1994, 2943, 2944) gemeint, die dem Angeklagten günstigere
Deutung zugrundezulegen (vgl. dazu auch BGHZ 139, 95, 104), indem es
nicht von einer Leugnung des Holocaust, sondern lediglich von einer
sogenannten quantitativen Verharmlosung ausgegangen ist. Es hat
jedenfalls eine andere, nicht zur Annahme der Strafbarkeit
führende Auslegung für ausgeschlossen erachtet.
Diese Bewertung läßt im Ergebnis Denkfehler,
Widersprüche oder einen Verstoß gegen allgemeine
Erfahrungssätze nicht erkennen und rechtfertigt - unbeschadet
der Frage eines Tatbestandsausschlusses nach § 86 Abs. 3 StGB
- die Annahme, damit werde der Holocaust (im Sinne des § 130
Abs. 3 StGB) verharmlost. Zwar kann dem Verständnis des
Landgerichts, der Antrag stelle sich als sogenanntes quantitatives
Verharmlosen des Holocaust dar, möglicherweise
entgegengehalten werden, indem vom Durchbruch der historischen Wahrheit
"im Zusammenhang" mit dem Holocaust die Rede sei, könne auch
eine weitere, vom Landgericht nicht erwogene Interpretation in Betracht
gezogen werden. Eine solche Deutung könnte dahingehen, der
Holocaust habe der historischen Wahrheit gemäß in
seiner uneingeschränkten Bedeutung - also gleichsam qualitativ
wie quantitativ ungeschmälert - angesprochen werden sollen und
lediglich als Grundlage der vom Angeklagten - daran anknüpfend
- aufgestellten wertenden Behauptungen zur Nachkriegspolitik im Umgang
mit dieser historischen Tatsache gedient. Aber auch bei einem solchen
Sinngehalt hielte die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis der
Nachprüfung stand, weil schon der auch dann noch verbleibende,
vom Landgericht festgestellte Aussagegehalt ersichtlich den Tatbestand
erfüllt. Bereits allein die vom Landgericht hervorgehobene
Herstellung einer Beziehung zwischen der einzigartigen deutschen Schuld
und der angeblich "einzigartigen politischen Unfähigkeit" im
Antragstext, die sich als polemisches Wortspiel erweist, stellt zumal
im Verbund mit dem subtilen Abheben auf (auch) massive
jüdische Interessen eine agitative Herabwürdigung des
Holocaust und seiner Opfer dar. Der Gesetzgeber wollte gerade auch
solches verbrämtes Verharmlosen mit Strafe bedrohen.
c) Die weitere Annahme des Landgerichts, die Antragstellung sei
geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören,
begegnet unter den gegebenen Umständen ebenfalls keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hinsichtlich der Wirkungskraft
und Wirkungsweise der in Rede stehenden Formulierungen ist insoweit
nicht ohne Bedeutung, daß die Erklärung nicht etwa
im öffentlichen Meinungskampf erfolgt ist, sondern in
gerichtlicher Hauptverhandlung. Aber auch bei solcher Fallgestaltung
ist es ein gewichtiges Indiz für die Eignung zur
Friedensstörung, wenn tatsächlich eine erhebliche
unruhestiftende öffentliche Wirkung weit über die
Hauptverhandlung hinaus eintritt. Das Landgericht hat diesen Umstand im
gegebenen Zusammenhang zwar nicht ausdrücklich erwogen. Das
erweist sich indessen nicht als rechtsfehlerhaft, weil mit der
Feststellung der öffentlichen Resonanz, dem Hinweis auf
Presseberichte und dem Eingang zahlreicher Strafanzeigen bei der
Staatsanwaltschaft die Eignung zur Friedensstörung jedenfalls
im vorliegenden Fall hinreichend belegt ist.
2. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß die
Voraussetzungen der Tatbestandsausschlußklausel des
§ 86 Abs. 3 in Verbindung mit § 130 Abs. 5 StGB nicht
vorliegen.
a) Die Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3
StGB (in Verbindung mit § 130 Abs. 5 StGB) ist im Grundsatz
auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Angesichts der Weite des
Tatbestandes - zumal in der Verharmlosungsalternative - hat der
Gesetzgeber eine Regelung vorgesehen, die der Verfolgung legitimer, von
der Rechtsordnung anerkannter Zwecke Rechnung trägt. Danach
ist der Tatbestand namentlich dann ausgeschlossen, wenn die Handlung
der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Wissenschaft,
der Forschung und der Lehre, der Berichterstattung über
Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder
"ähnlichen Zwecken" dient (§ 86 Abs. 3 StGB).
Strafverteidigung ist in ihrem Range den in der Vorschrift
ausdrücklich aufgeführten Belangen gleich zu
erachten. Das ergibt sich aus folgendem:
Die Stellung als Verteidiger in einem Strafprozeß und das
damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen Organ- und
Beistandsfunktion erfordert schon nach der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes eine besondere Abgrenzung zwischen erlaubtem
und unerlaubtem Verhalten (vgl. nur BGHSt 38, 345, 347; siehe
grundlegend auch Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers 1989,
passim; siehe weiter zum Tatbestand der Strafvereitelung: BGH NStZ
1983, 503; zum Tatbestand der Beleidigung im Zusammenhang mit dem
Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des
Nationalsozialismus: BGH NStZ 1987, 554; zur Unterstützung
einer oder zum Werben für eine terroristische Vereinigung
siehe BGHSt 29, 99; 31, 16; 32, 243; BGH NStZ 1990, 183; zum
Gebrauchmachen von einer gefälschten Urkunde: BGHSt 38, 345;
vgl. zur Beschaffung einer Schußwaffe: BGHSt 38, 7).
Prozeßerklärungen sind danach nicht schon deshalb
von vornherein strafrechtlicher Würdigung entzogen, weil sie
im Rahmen der Verteidigung abgegeben werden (BGHSt 31, 16, 17).
Grundsätzlich gelten die Straftatbestände
für jedermann, mithin auch für den Verteidiger in der
Hauptverhandlung. Die Struktur bestimmter Straftatbestände
birgt indessen für den Rechtsanwalt selbst das Risiko,
daß ein prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer
Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des
Straftatbestandes fallen kann. Da Strafverteidigung ihrer Natur nach
auf den Schutz des Beschuldigten vor Anklage, Verhaftung und
Verurteilung ausgerichtet ist, wirkt sie sich beispielsweise auf dem
Felde der Organisationsdelikte (§§ 129, 129 a StGB)
mitunter notwendigerweise günstig auf den Fortbestand einer
kriminellen oder terroristischen Vereinigung aus (BGHSt 29, 99, 102).
Für diese Fallgestaltung hat der Bundesgerichtshof
hervorgehoben, daß in einem solchen Konfliktfall zwischen
prozessual zulässigem Verteidigerhandeln und der
Erfüllung des materiellen Straftatbestandes - dort dem
Unterstützungsverbot der §§ 129, 129 a StGB
- ein rechtswidriges Handeln nicht angenommen werden könne, es
sei denn, es gebe sich lediglich den Anschein zulässiger
Verteidigung, verfolge in Wirklichkeit indessen
ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke (BGHSt 29, 99, 105;
siehe auch BGH NStZ 1987, 554; 1990, 183, 184).
Eine solche Kollisionslage besteht jedoch dann nicht, wenn der
besonderen Situation des Verteidigers als Organ der Rechtspflege
bereits durch Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes hinreichend
Rechnung getragen werden kann. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich
daraus, daß die Möglichkeit zu wirksamer
Verteidigung auf der Grundlage des Verfahrensrechts notwendiger
Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist; ihr kommt
hierfür grundlegende Bedeutung zu (so u.a. BGHSt 38, 7, 10/11;
siehe auch BGHSt 29, 99, 106; vgl. weiter BVerfGE 63, 380, 390; 65,
171, 174/175). Der Angeklagte hat schließlich auch nach Art.
6 Abs. 3 Buchst. c MRK Anspruch auf "konkrete und wirkliche"
Verteidigung (vgl. EGMR EuGRZ 1980, 662; 1985, 234; siehe
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. zu Art. 6 MRK Rdn.
20). Die Erfüllung dieses Gebots wäre ernsthaft
gefährdet, wenn der Verteidiger wegen einer üblichen
und prozessual zulässigen Verteidigungstätigkeit
selbst strafrechtlich verfolgt würde (so schon BGHSt 29, 99,
106; siehe auch BGH NStZ 1987, 554). Der Wirkkraft dieser letztlich im
Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art.
2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden verfahrensrechtlichen
Verbürgung ist deshalb bei der Auslegung und Anwendung des
Straftatbestandes Genüge zu tun. Das gilt auch im Blick auf
die für den Rechtsanwalt gewährleistete "freie
Advokatur". Eingriffe in die Verteidigerstellung berühren
seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl.
nur BGHSt 38, 7, 12; BVerfG, Kammer, NJW 1996, 3267 und 3268). Sie
bedürfen einer gesetzlichen Legitimation, die sich klar
erkennen und zweifelsfrei feststellen läßt (BVerfGE
34, 293, 303). Bei der Anwendung auslegungsfähiger und
auslegungsbedürftiger Straftatbestände ist all dies
zu beachten.
Das muß hier dazu führen, daß
Strafverteidigung als den anderen in § 86 Abs. 3 StGB
benannten sogenannten legitimen Zwecken gleichgewichtig zu erachten
ist; sie ist ein "ähnlicher Zweck" in diesem Sinne. Der
Tatbestand der Volksverhetzung in der hier in Rede stehenden
Handlungsalternative ist mithin grundsätzlich auf
Verteidigerhandeln in Fällen der vorliegenden Art nicht
anzuwenden.
b) Dieser grundsätzliche Tatbestandsausschluß
für Verteidigungshandeln ist indes kein Freibrief des
Verteidigers für Straffreiheit. Die Gewährleistung
einer effektiven Strafverteidigung steht dann nicht in Frage und der
Grundsatz der freien Advokatur hat zurückzustehen, wenn die zu
beurteilende Prozeßerklärung des Verteidigers ohne
jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes
Verhalten erweist, das sich nur den äußeren Anschein
der Verteidigung gibt, tatsächlich aber nach den
Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des
materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag (vgl. dazu
BGHSt 29, 99, 105; 38, 7, 10; BGH NStZ 1987, 554; 1990, 183, 184). In
solchen Fällen fehlt es an der nach dem Schutzzweck der
Tatbestandsausschlußklausel zu fordernden, von der
Rechtsordnung anerkannten legitimen Zielsetzung des Handelns.
Dementsprechend fällt eine ausschließlich von
politisch-demonstrativem Charakter geprägte
Äußerung mit beschimpfenden Formulierungen, die zur
Sachaufklärung und Verteidigung im konkreten Verfahren unter
keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beizutragen vermag, nicht unter
§ 86 Abs. 3 StGB, auch wenn sie als Beweisantrag bezeichnet
ist.
Die Abgrenzung und Ausgrenzung solcher Ausnahmefälle kann sich
als schwierig erweisen; im Zweifel wird den Erfordernissen wirksamer
Verteidigung der Vorrang einzuräumen sein. Ob im Einzelfall
allein verteidigungsfremde Zwecke verfolgt werden, also gleichsam im
Gewande der Prozeßerklärung
oder Antragstellung Volksverhetzung betrieben wird, unterliegt in
erster Linie der tatrichterlichen Würdigung auf der Grundlage
aller Umstände (vgl. BGHSt 40, 97, 101). Erweist sich das
Verharmlosen als unvermeidlicher oder dem Verteidiger gar
"erwünschter Begleiteffekt" neben der Verfolgung anerkannter
Verteidigungszwecke, greift die Tatbestandsausschlußklausel;
das Verteidigerhandeln ist mithin nicht
tatbestandsmäßig. Diese Konsequenz ist im Interesse
rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung hinzunehmen. Die entsprechenden
Folgen erscheinen im Blick darauf vertretbar, daß die
Äußerung vor Gericht erfolgt, mithin unter den
Rahmenbedingungen des Verfahrensrechts, namentlich der
Sachleitungsbefugnis des Gerichtsvorsitzenden.
c) Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen,
daß der Angeklagte mit der Antragstellung
ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgt hat. Diese
Würdigung erweist sich als tragfähig und ist deshalb
vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Das Landgericht hat ausführlich begründet,
daß dem Beweisantrag "keine verteidigungsrelevanten
Erfolgsaussichten" zukamen und sich der Angeklagte als auf dem in Rede
stehenden Kriminalitätsfelde erfahrener Strafverteidiger
dessen auch bewußt war. Es hat dabei nicht nur die
feststehende Rechtsprechung im Beweisantragsrecht zur Offenkundigkeit
des Holocaust im Blick gehabt (vgl. nur BGH NStZ 1994, 140 m.w.N.),
sondern auch die - dem Angeklagten ebenfalls bekannte - Rechtsprechung
erwähnt, daß derjenige, der die historische Wahrheit
nicht anerkennt, dafür keine Strafmilderung verdient (Hinweis
auf BGH NJW 1995, 340). Als weiteres Indiz hat es auf die polemische
Fassung des Antrages abgehoben. Diese Würdigung erweist sich
nicht deshalb als lückenhaft, weil das Landgericht in diesem
Zusammenhang nicht noch einmal ausdrücklich erwogen hat,
daß der Antrag in "hektischer Atmosphäre" gestellt
wurde und der Angeklagte im übrigen zumeist absichernde
Klauseln mit seinen sonstigen Anträgen verband. Der Senat
schließt aus, daß dem Landgericht dies im gegebenen
Zusammenhang aus dem Blick geraten sein könnte. Denn die
Strafkammer geht weiter ohne Rechtsfehler davon aus, der Angeklagte sei
bei der Formulierung des Beweisantrages nicht etwa nur einem
Fassungsversehen zum Opfer gefallen; vielmehr habe er sich aufgrund der
Hektik und der Eskalation der Feindseligkeiten zwischen den
Prozeßbeteiligten in der Schlußphase der
Beweisaufnahme dazu verstanden, seine bis dahin vorsichtige
Vorgehensweise abzulegen und sich offen zu dem von ihm selbst zumindest
in Teilbereichen vertretenen revisionistischen Gedankengut zu bekennen;
er habe sich in diesem Sinne äußern wollen. Dies
folgert die Strafkammer aus verschiedenen Begleitumständen;
sie hebt dabei auch hervor, daß dem Angeklagten das
"revisionistische Gedankengut" seines Mandanten zumindest in
abgeschwächter Form selbst zu eigen sei. Danach erweisen sich
die vom Landgericht gezogenen Schlüsse als tragfähig.
Die Richtigkeit der Würdigung des Landgerichts wird
darüber hinaus durch den Inhalt des Beweisantrages weiter
belegt. Es liegt auf der Hand, daß der Antrag nach seinem
Wortlaut ausschließlich demonstrativen Charakter hatte. Die
Vorstellung, daß die als Beweismittel benannten Personen, der
damalige Bundespräsident, die seinerzeitige
Präsidentin des Bundestages, die Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts und der vormalige Bundeskanzler, die zugleich
mit polemischen Wendungen in Verbindung gebracht wurden ("an der Nase
herumführen", "für dumm verkaufen"), in irgendeiner
Weise etwas im Sinne des Antrages bekunden würden, war abwegig.
Die Bewertung, der Antrag sei nicht zu Verteidigungszwecken angebracht
worden, wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß das
Landgericht an einer Stelle im Zuge der Beweiswürdigung davon
spricht, beim Anbringen des Beweisantrages hätten "weniger
Verteidigungszwecke" als eigene revisionistische Motive des Angeklagten
im Vordergrund gestanden. Dabei handelt es sich angesichts eindeutig
entgegenstehender Formulierungen an verschiedenen anderen Stellen der
Urteilsgründe ersichtlich um ein bloßes Vergreifen
im Ausdruck.
Nach allem ist auch gegen die Annahme bedingten Vorsatzes von Rechts
wegen nichts zu erinnern. Das Landgericht hat tragfähig, ohne
Lücken oder Widersprüche, begründet, dem
Angeklagten sei bewußt gewesen, daß sein Antrag
völlig ungeeignet gewesen sei, etwas zur Entlastung seines
Mandanten D. beizutragen; er habe sich offen zu dem auch von ihm selbst
zumindest in Teilbereichen vertretenen revisionistischen Gedankengut
bekennen wollen. Auf einen Irrtum über Tatumstände
hatte sich der Angeklagte selbst nicht berufen; er lag hier auch fern.
3. Auch sonst ist ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler nicht
hervorgetreten.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch
beschränkt. Das ergibt die Auslegung der
Revisionsrechtfertigung. Der unbeschränkte Aufhebungsantrag
steht im Widerspruch dazu, daß die
Revisionsbegründung lediglich auf eine höhere
Bestrafung des Angeklagten abzielt; das gilt auch im Blick auf die
erhobenen Verfahrensrügen.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Auf der Ablehnung der Beweisanträge, mit denen die
Beschwerdeführerin bewiesen sehen wollte, daß der
Angeklagte schon in früheren Strafverfahren als Verteidiger
entsprechendes revisionistisches Gedankengut "öffentlich
verbreitet" habe, beruht das angefochtene Urteil ersichtlich nicht. Das
Landgericht geht ausdrücklich davon aus, daß dem
Angeklagten sogenanntes revisionistisches Gedankengut - zumindest in
abgeschwächter Form - selbst zu eigen sei. Zudem sind
frühere einschlägige Äußerungen
des Angeklagten im Urteil festgestellt.
2. Die Aufklärungspflicht ist entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin nicht deshalb verletzt, weil das
Landgericht das Protokoll der Hauptverhandlung gegen D. vom Tage der
Stellung des in Rede stehenden Beweisantrages nicht in die
Beweisaufnahme eingeführt hat. Dazu drängte nichts,
nachdem das Gericht zum Verlauf jener Hauptverhandlung den damaligen
Strafkammervorsitzenden als Zeugen vernommen hatte. Im übrigen
hat auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft keinen
Anlaß gesehen, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
3. Die Strafzumessungserwägungen lassen einen
sachlich-rechtlichen Mangel zu Gunsten des Angeklagten nicht erkennen.
Teilweise sucht die Beschwerdeführerin lediglich ihre eigene
Bewertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen; damit
vermag sie nicht durchzudringen, zumal die Strafkammer lediglich
gehalten war, die bestimmenden Straffindungserwägungen im
Urteil anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Deshalb
ist es auch kein Rechtsmangel, daß das Landgericht auf die
vom Angeklagten möglicherweise zu erwartenden
ehrengerichtlichen Folgen nicht weitergehend als geschehen eingegangen
ist und die von der Verfolgung ausgenommene tateinheitlich begangene
Gesetzesverletzung nicht ausdrücklich als
straferhöhend herangezogen hat.
Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Wendung, der
Angeklagte habe die "mildeste Form" des Tatbestandes verwirklicht,
stellt ersichtlich darauf ab, daß bei der Strafbemessung
zwischen der Erfüllung der Handlungsmerkmale des Billigens,
Leugnens und Verharmlosens des Holocaust zu differenzieren ist. Das ist
rechtlich zutreffend. Die verhängte Strafe kann auch nicht als
unvertretbar milde charakterisiert werden.
Schäfer Maul Granderath
Boetticher Schluckebier |