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BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 4 StR 576/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 8.4.2004 - 4 StR 576/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 576/03
vom
8.04.2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren räuberischen Diebstahls
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.04.2004,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 17. September 2003 im
Strafausspruch mit den Feststellungen - ausgenommen
diejenigen zur voll erhaltenen Schuldfähigkeit - aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren räuberischen Diebstahls
für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus
einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung des
§ 59 StPO geltend macht, greift - wie der Generalbundesanwalt bereits in sei-
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ner Antragsschrift vom 8. Januar 2004 dargelegt hat, nicht durch. Ebenso erweisen
sich die sachlich-rechtlichen Angriffe der Revision zum Schuldspruch
entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als unbegründet.
Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat die wegen schweren räuberischen Diebstahls verhängte
Strafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2
StGB entnommen. Einen minder schweren Fall des § 252 i.V.m. § 250 Abs. 3
StGB hat es verneint. Dabei hat es sowohl für die Strafrahmenwahl als auch für
die Strafbemessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten allein berücksichtigt,
daß er "wegen eines Gewaltdeliktes noch nicht vorbestraft ist".
Demgegenüber hat es zwar zu Recht als strafschärfend berücksichtigt, daß der
Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach wegen Vermögensdelikten verurteilt
worden ist und er sich trotz seiner Inhaftierungen nicht von der Begehung weiterer
Straftaten hat abhalten lassen. Zur Aufhebung des Strafausspruchs führt
hingegen, daß die Strafkammer "zudem" zu seinen Lasten gewertet hat, daß er
in der Hauptverhandlung den ihn belastenden Kaufhausdetektiv Thomas M.
" als einen dreisten Lügner bezeichnet (hat), ohne daß für diese Beschimpfung
die geringste Notwendigkeit bestand" (UA 7). Diese Erwägung begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Urteilsgründe stellen nicht
klar, ob die Strafkammer hierbei bedacht hat, daß das Prozeßverhalten eines
Angeklagten, mit dem er den Angaben eines Belastungszeugen entgegentritt,
bei der Strafzumessung nicht ohne weiteres zu seinen Lasten berücksichtigt
werden darf (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4).
Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Angeklagter im Rahmen seiner
Verteidigung einen Belastungszeugen als unglaubwürdig hinstellen, ohne für
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den Fall des Mißerfolgs schon deshalb eine schärfere Bestrafung befürchten
zu müssen (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 1). Jedoch kann im Einzelfall
ein Angriff des Angeklagten auf die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen
strafschärfendes Gewicht erlangen, wenn er die Grenze angemessener Verteidigung
eindeutig überschreitet und sein Vorbringen eine selbständige Rechtsgutsverletzung
enthält (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 19). Hinweise auf
eine besondere Rechtsfeindschaft oder Gefährlichkeit oder eine hiernach unzulässige
Herabwürdigung des Zeugen können allein dem Umstand, daß der
Angeklagte den Zeugen der Lüge bezichtigt hat, nicht ohne weiteres entnommen
werden (vgl. BGH StV 1994, 424; BGH, Beschluß vom 2. Mai 2000 - 1 StR
136/00). Inwieweit solche Angriffe, die die Ehre eines Zeugen berühren, erlaubt
sind, beurteilt sich nach § 193 StGB (vgl. BGHSt 14, 48, 51; BGHR aaO Verteidigungsverhalten
14 m.w.N.; BGH StV 1985, 146, 147).
Bei der Beurteilung der Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens
können die Umstände des Einzelfalles nicht außer Betracht bleiben. Insoweit
ist hier zu berücksichtigen, daß der Angeklagte von vornherein den Vorwurf, in
dem Kaufhaus einen Kindercomputer entwendet und den dort tätigen Detektiv,
den Zeugen Thomas M., anschließend mit seiner geladenen Schreckschußpistole
bedroht zu haben, detailliert bestritten hat. Die ihm drohende Verurteilung
wegen eines Verbrechens zu einer hohen Freiheitsstrafe hing nach der Beweislage
von der Aussage des ihn belastenden Detektivs ab. Angesichts der
konkreten Verfahrenssituation, auf die es bei der Beurteilung zulässigen Verteidigungsverhaltens
ankommt (vgl. BVerfG NJW 1991, 29), konnte es aus der
Sicht des Angeklagten erforderlich erscheinen, seiner bestreitenden Einlassung
dadurch besondere Überzeugungskraft zu verleihen, daß er den Belastungszeugen
der Lüge bezichtigte. Daß er sich dazu einer scharfen Aus-
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drucksweise bediente, rechtfertigt für sich regelmäßig noch keine andere Bewertung,
wenn sich der Vorwurf gegen einen Zeugen auf die Aussage zur verfahrensgegenständlichen
Tat bezieht und nicht etwa einen vom maßgeblichen
"Streitstoff" losgelösten allgemeinen Angriff auf die Ehre des Zeugen beinhaltet
(vgl. BVerfG NJW 1991, 2074, 2076). Letzteres ist in der Rechtsprechung beispielsweise
in der Bezeichnung eines als Zeuge vernommenen Polizeibeamten
als "bedenkenloser Berufslügner" gesehen worden (Hans. OLG Hamburg
NStZ-RR 1997, 103 f.). Daß es sich hier so verhält, kann den Urteilsgründen
indes nicht entnommen werden. Selbst wenn das Prozeßverhalten des Angeklagten
zu beanstanden wäre, ergäbe sich daraus hier noch nicht ohne weiteres
ein bestimmender Strafschärfungsgrund, der - wie es das Landgericht getan
hat - mit demselben Gewicht in die Strafzumessung einzustellen wäre wie
etwa die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten.
Mit dieser Rechtsprechung wird der berechtigte Anspruch eines Zeugen,
ehrverletzenden Äußerungen des Angeklagten im Strafverfahren nicht schutzlos
ausgeliefert zu sein, nicht unangemessen eingeschränkt. Vielmehr ist es
Aufgabe des Vorsitzenden im Rahmen seiner Sachleitung, den Zeugen gegen
unsachliche Angriffe zu schützen und den Angeklagten in einem solchen Fall
zur Mäßigung anzuhalten.
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Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das
Landgericht sowohl die Strafrahmenwahl als auch die Strafbemessung im
engeren Sinne ausdrücklich mit dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung
begründet hat. Über die Strafe ist deshalb neu zu befinden.
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible



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