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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 136 StPO
Erste Vernehmung

(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und 3 beanspruchen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

Strafprozessordnung, Stand 05.09.2017

Leitsätze zu § 136 StPO

 
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2
 
Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen - zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidi-ger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
 
BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 StR 435/12 - LG Lüneburg
 
 
StPO §§ 110a, 136, 161, 163; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1

Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung.

BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10 - Landgericht Berlin

StV 2010, 465
 
 
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2
 
Zur Belehrungspflicht bei sog. Spontanäußerungen eines Verdächtigen

BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 170/09 – LG Paderborn

NJW 2009, 3589
 
 
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2

1. Wird ein Tatverdächtiger zunächst zu Unrecht als Zeuge vernommen, so ist er wegen des Belehrungsverstoßes (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) bei Beginn der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben hinzuweisen („qualifizierte“ Belehrung).

2. Unterbleibt die „qualifizierte“ Belehrung, sind trotz rechtzeitigen Widerspruchs die nach der Belehrung als Beschuldigter gemachten Angaben nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall verwertbar.

3. Neben dem in die Abwägung einzubeziehenden Gewicht des Verfahrensverstoßes und des Sachaufklärungsinteresses ist maßgeblich darauf abzustellen, ob der Betreffende nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung davon ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu können [im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 = StV 2007, 450, 452].

BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - 4 StR 455/08 - LG Arnsberg

BGHSt 53, 112 - NStZ 2009, 281


StPO § 136 Abs. 1, § 136 a Abs. 1, § 110 a Abs. 1

Ein Verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.

BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07 - LG Wuppertal

BGHSt 52, 11 - NJW 2007, 3138

 
StPO § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4

Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Art und Weise einer Vernehmung (im Anschluss an BGHSt 38, 214).

BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen

BGHSt 51, 367 - StV 2007, 450
 

StPO §§ 136, 137;
StGB § 211

1. Das Motiv der "Blutrache" ist regelmäßig als niedriger Beweggrund anzusehen. Eine Ausnahme kann gelten, wenn dem Täter seinerseits durch das Opfer mit der Tötung eines nahen Angehörigen erhebliches Leid zugefügt wurde, das ihn zur Tatzeit noch gravierend belastete.

2. Zur Problematik wiederholten Nachfragens bei einem unverteidigten Angeklagten, der sich auf sein Schweigerecht beruft und seine Aussagebereitschaft von einer vorherigen Besprechung mit seinem Verteidiger abhängig macht.

BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05 - LG Göttingen

NStZ 2006, 286


StPO §§ 136 Abs. 1 Satz 2; 141 Abs. 3 Satz 2

1. Die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gebietet nicht, den Beschuldigten, der keinen Wunsch auf Zuziehung eines Verteidigers äußert, auf einen vorhandenen anwaltlichen Notdienst hinzuweisen (im Anschluß an BGHSt 42, 15).

2. Eingeschränkte Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Abgrenzung zu BGHSt 46, 93 und BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 - 5 StR 588/01 - LG Berlin

BGHSt 47, 233, 234 - NJW 2002, 1279


StPO §§ 81 c, 136 Abs. 1, 137 Abs. 1, 243 Abs. 4, 261

1. Auch bei einem Angeklagten, der sich zur Sache eingelassen hat, darf aus der aktiven Verweigerung der Mitwirkung an der Sachaufklärung jedenfalls dann kein ihm nachteiliger Schluß gezogen werden, wenn dieses Prozeßverhalten nicht in einem engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt seiner Einlassung steht (hier: Nichtentbindung des Verteidigers von der Schweigepflicht, Abgrenzung zu BGHSt 20, 298).

2. Erscheint eine Person, die von der Polizei zu einem Speicheltest für eine molekulargenetische Untersuchung geladen wird, - anders als andere, ebenfalls vorgeladene Personen - im Beistand eines Anwalts, so darf dies in einem späteren Strafverfahren gegen sie nicht als belastendes Indiz verwertet werden.

BGH, Beschluss vom 19. Januar 2000 - 3 StR 531/99 - LG Hannover

BGHSt 45, 367 - NJW 2000, 1962
                                  




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