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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 55 StGB
Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
 
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017


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§ 55 Abs. 1 StGB
    Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 55 StGB
       Grundgedanke des § 55 StGB
    Grundsätzliches
    Zeitpunkt
    Umfang der Entscheidung nach § 55 StGB
    Instanzenübergreifende Beachtung
    Gesonderte Verhängung einer Gesamtgeldstrafe neben Freiheitsstrafe
    Gesamtstrafenbildung mit ausländischen Strafen
    Gesamtstrafenbildung in Auslieferungsangelegenheiten
    Gesamtstrafenbildung und Strafreduzierung wegen Verfahrensverzögerung
    Rechtskraft früherer fehlerhafter Gesamtstrafe
    Zäsurwirkung von Vorverurteilungen
       Erste unerledigte Vorverurteilung
          Zwischen zwei Vorverurteilungen begangene Taten
          Gesamtstrafenrechtlich verbrauchte Urteile
    Entscheidungshinweise
    Härteausgleich
       Zu hohes Gesamtstrafübel bei mehreren Gesamtstrafen
       Härteausgleich bei vollstreckten Strafen
       Härteausgleich bei lebenslanger Freiheitsstrafe
       Härteausgleich für entgangene Bewährung / Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen
       Auslieferungsangelegenheiten
       Härteausgleich bei ausländischen Strafen
       Einzubeziehende Bewährungsstrafen
       Erlassene und erlassreife Bewährungsstrafen
       Fehlende Festsetzung von Einzelstrafen
       Zeitpunkt der Nachholung
       Gewährung des Härteausgleichs
    Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen
       Anrechnung von erbrachten Bewährungsleistungen im Erwachsenenstrafrecht
       Berücksichtigung von erbrachten Bewährungsleistungen bei Anwendung von Jugendstrafrecht
    Gesamtfreiheitsstrafe aus Einzelgeldstrafen und Einzelfreiheitsstrafen
    Berücksichtigung einer erstinstanzliche einbezogenen, jedoch vor Erlass des Berufungsurteils
     getilgten Strafe
    Keine Auftrechterhaltung der im einbezogenen Urteil ausgesprochenen Einziehungsanordnung
    Reihenfolge bei der Strafenbildung
    Einheitsjugendstrafe und einzubeziehende Entscheidungen
    Jugendstrafe und Freiheitsstrafe des allgemeinen Rechts
§ 55 Abs. 2 StGB
    Vermögensstrafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen
    Maßregelanordnungen im Jugendstrafrecht
Urteil
    Urteilsformel
       Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen
    Urteilsgründe
       Mitteilung der Strafzumessungserwägungen
Prozessuales
    Rechtsmittel
       Anwendungspflicht
          Schweigen des Urteils zum Vollstreckungsstand
    Gesetze
       Verweisungen
       Änderungen § 55 StGB
    Vollstreckungsreihenfolge
    Kosten
       Verfahrenskosten bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung





§ 55 Abs. 1 StGB




Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 55 StGB

5




[ Grundgedanke des § 55 StGB
]

5.1
Zweck der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist es, einen Angeklagten so zu stellen, wie er stünde, wenn er bei gemeinsamer Aburteilung aller Straftaten in einem Verfahren zu einer Gesamtstrafe verurteilt worden wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.3.1990 - 2 BvR 51/90 - NJW 1991, 558; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868). Die Vorschrift soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, so dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13; BGH, Beschl. v. 17.9.2013 - 1 StR 370/13; BGH, Beschl. v. 3.6.2015 - 4 StR 176/15).  Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vor- und Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind (BGH, Urt. v. 30.4.1997 – 1 StR 105/97 - BGHSt 43, 79, 80 mwN; BGH, Beschl. v. 4.7.2012 - 4 StR 228/12).

Die Bezugnahme in § 55 StGB auf die §§ 53, 54 StGB zeigt, dass die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach den selben Regeln wie die Gesamtstrafenbildung bei gemeinsamer Aburteilung mehrerer Straftaten erfolgen soll. Ein Angeklagter, dessen mehrere Straftaten aus irgendwelchen Gründen in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, soll nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn alle Taten in einem, und zwar dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGH, Urt. v. 16.12.1954 - 3 StR 189/54 - BGHSt 7, 180, 181; BGH, Beschl. v. 30.6.1960 - 2 StR 147/60 - BGHSt 15, 66, 69; BGH, Urt. v. 6.3.1962 - 5 StR 16/62 - BGHSt 17, 173, 174 f.; BGH, Beschl. v. 7.12.1983 - 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193; BGH, Urt. v. 13.11.1985 - 3 StR 311/85 - BGHSt 33, 367, 368; BGH, Beschl. v. 13.10.1998 - 4 StR 485/98 - NStZ-RR 1999, 268; BGH, Beschl. v. 15.1.2002 - 1 StR 494/01; BGH, Urt. v. 6.6.2002 - 3 StR 118/02; BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03; BGH, Urt. v. 9.7.2003 - 2 StR 125/03 - wistra 2003, 422; BGH, Beschl. v. 23.9.2003 - 3 StR 294/03; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 386/08 - NStZ 2010, 30; BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - StV 2010, 244; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868; BGH, Beschl. v. 22.2.2012 - 4 StR 22/12; BGH, Beschl. v. 9.9.2014 - 4 StR 314/14). Auf eine Appell- oder Warnfunktion der noch nicht erledigten Strafe kommt es deshalb nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 24.11.1988 - 1 StR 566/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 1; BGH, Beschl. v. 17.7.2001 - 4 StR 212/01 - NStZ-RR 2001, 368,369). Maßgeblich kommt es allein auf die materiell-rechtliche Regelung und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 192 f.; BGH, Beschl. v. 22.2.2012 - 4 StR 22/12). Der Tatrichter, dem sich die Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung stellt, muss sich in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt. Für ihn ist deshalb maßgeblich, wie der frühere Richter bei richtiger Rechtsanwendung weitere Vorentscheidungen hätte berücksichtigen müssen (BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13; BGH, Beschl. v. 17.6.2009 - 2 StR 180/09).

Die Bemessung der Gesamtstrafe ist auch im Falle ihrer nachträglichen Bildung nach §§ 55, 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger und zu begründender Zumessungsakt (vgl. BGH, Beschl. v. 5.8.2010 - 2 StR 340/10; BGH, Beschl. v. 13.11.2008 - 3 StR 485/08), der unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt (BGH, Urt. v. 26.1.2011 - 2 StR 446/10).

Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGH, Urt. v. 29.7.1982 - 4 StR 75/82 - BGHSt 31, 102, 103; BGH, Urt. v. 23.1.1985 - 1 StR 645/84 - BGHSt 33, 131, 132; BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - StV 2010, 244; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868; siehe hierzu unten --> Rdn. 60 ff.).

Alle Strafen für die vor jenem Urteil begangenen Taten - aber auch nur diese - sind auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen. Hat sich der Täter nach dem früheren Urteil erneut strafbar gemacht, so sind insoweit eine Einzelstrafe oder eine oder mehrere weitere Gesamtstrafen festzusetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.1983 - 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193; BGH, Beschl. v. 24.11.1988 - 1 StR 566/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 1; BGH, Beschl. v. 28.11.1986 - 3 StR 499/86 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 1; BGH, Urt. v. 23.6.1988 - 4 StR 164/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 4; BGH, Beschl. v. 28.7.1998 - 4 StR 259/98 - wistra 1998, 344; sog. "Rückprojektion", vgl. auch BGH, Urt. v. 12.8.1998 - 3 StR 537/ 97 - BGHSt 44, 179, 181; BGH, Beschl. v. 15.1.2002 - 1 StR 494/01; BGH, Beschl. v. 7.5.2013 - 4 StR 111/12). Die Höhe einer aufgelösten Gesamtfreiheitsstrafe darf bei der Bildung der (neuen) Gesamtstrafe nicht unterschritten werden  (BGH, Beschl. v. 4.10.2001 - 4 StR 329/01; BGH, Urt. v. 26.1.2011 - 2 StR 446/10; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rn. 31).


Die Tatsache, daß eine durch Vollstreckung erledigte Strafe nicht mehr in eine Gesamtstrafe einbezogen werden kann, ändert nichts an der Forderung nach einem Ausgleich der sich durch getrennte Aburteilung ergebenden Nachteile (vgl. BGH, Urt. v. 29.7.1982 - 4 StR 75/82 - BGHSt 31, 102, 103; BGH, Urt. v. 23.6.1988 - 4 StR 169/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 1 jeweils m. w. N.; BGH, Urt. v. 6.6.2002 - 3 StR 118/02).

Zwar hat das erkennende Gericht grundsätzlich § 55 Abs. 1 StGB anzuwenden, wenn die Voraussetzungen vorliegen (BGH, Beschl. v. 30.6.1958 - GSSt 2/58 - BGHSt 12, 1, 3 ff.; BGH, Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02 - NStZ 2003, 200, 201). Es ist aber nicht zulässig, Einzelstrafen - auch für sich genommen rechtskräftige -, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem nicht rechtskräftigen anderen Urteil gedient hatten, in eine Gesamtstrafe einzubeziehen, da dies die Gefahr einer verbotenen Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) begründen würde (BGH, Urt. v. 10.11.1965 - 2 StR 387/65 - BGHSt 20, 292, 293; BGH, Urt. v. 13.4.1956 - 2 StR 93/56 - BGHSt 9, 190, 192; BGH, Beschl. v. 17.10.1989 - 4 StR 481/89 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 3; BGH, Urt. v. 8.7.2005 - 2 StR 120/05 - BGHSt 50, 188 f. - wistra 2005, 422; BGH, Beschl. v. 29.6.2011 - 1 StR 191/11; in diese Richtung auch BGH, Urt. v. 24.7.1997 - 1 StR 216/97 - NJW 1997, 2892, 2893).
 




Grundsätzliches

10
Nach § 55 Abs. 1 StGB ist eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. "Begangen" i.S.v. § 55 Abs. 1 S. 1 StGB ist eine Tat erst mit deren Beendigung (BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10; Fischer StGB 57. Aufl. § 55 StGB Rn. 7; LK/Rissing-van-Saan 12. Aufl. § 55 StGB Rn. 9 jew. m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten). Dies gilt auch für echte Unterlassungsdelikte (BGH BGHR StGB § 55 Abs 1 Begehung 1; BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10; zu Dauerdelikten BGH, Urt. v. 2.12.2003 - 1 StR 102/03; BGH NJW 1999, 1344).

Der Tatrichter, dem sich die Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung stellt, muß sich in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt. Alle Strafen für die vor jenem Urteil begangenen Taten - aber auch nur diese - sind auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.7.1998 – 4 StR 259/98 - wistra 1998, 344; BGH, Beschl. v. 9.9.2014 - 4 StR 314/14). Hat der Täter sich nach dem früheren Urteil erneut strafbar gemacht, so ist insoweit eine gesonderte Einzelstrafe oder eine weitere Gesamtstrafe festzusetzen (BGH, Beschl. v. 7.5.2004 - 2 StR 24/04; vgl. auch BGH, Beschl. v. 17.6.2009 - 2 StR 180/09).


    Tat 1             Tat 2        Urt. 1 zu Tat 2                 Tat 3      Urt. 2 zu Taten 1 u. 3, nachtr. Gesamtstrafe
                                                                                                                               mit Strafe aus Urt. 1
--- 1.1.o8 --- 1.2.o8 ------- 1.3.o8 --------------- 1.4.o8 ---------------------------------- 1.6.o8

Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (seit BGHSt - GS - 12, 1; vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.1999 - 1 StR 3/99; BGH, Beschl. v. 21.3.2000 - 4 StR 43/00; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., § 55 Rdn. 47; Stree in Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl., § 55 Rdn. 72, 73; Tröndle/Fischer StGB, 51. Aufl., § 55 Rdn. 34, 35; jeweils m.w.N.; siehe auch nachstehend --> Anwendungspflicht ; kritisch hierzu: Fitzner, Gesamtstrafenbildung trotz §§ 460, 462 nur noch nach mündlicher Verhandlung?, NJW 1966, 1206) grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er darf dies in der Regel nicht dem Beschlußverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen (vgl. BGHSt 12, 1 ff.; BGH StV 1982, 569; BGH, Beschl. v. 24.1.2001 - 2 StR 422/00; BGH, Beschl. v. 10.11.2010 - 5 StR 456/10 - StV 2011, 225; BGH, Beschl. v. 17.9.2013 - 1 StR 370/13; Fischer, StGB 57. Aufl. § 55 Rdn. 35; siehe auch unten Rdn. Z.7.1). Es gibt jedoch Ausnahmen. Der Tatrichter darf die nachträgliche Gesamtstrafenbildung insbesondere dann dem Beschlußverfahren überlassen, wenn er auf Grund der bislang gewonnenen Erkenntnisse keine sichere Entscheidung fällen kann, etwa weil die Unterlagen für eine möglicherweise gebotene Gesamtstrafenbildung nicht vollständig vorliegen - ohne daß dies auf unzureichender Terminsvorbereitung beruht - und die Hauptverhandlung allein wegen deshalb noch notwendiger Erhebungen mit weiterem erheblichem Zeitaufwand belastet werden würde (BGHSt - GS - 12, 1 [10]; BGHSt 23, 98 [99], mit Anmerkung Küper, MDR 1970, 885; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2; BGH NJW 1997, 2892 [2893]; BGH, Urt. v. 17.2.2004 - 1 StR 369/03; vgl. auch: BGH, Beschl. v. 10.11.2010 - 5 StR 456/10 - StV 2011, 225 betr. Nichtvorliegen der Ausnahmevoraussetzungen; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. § 55 Rdn. 48; Stree in Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl., § 55 Rdn. 72; Tröndle/Fischer StGB, 51. Aufl., § 55 Rdn. 34).

Bei Anwendung des § 55 StGB (anders als bei § 31 Abs. 2 JGG) sind nicht die früheren Urteile, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden Strafen einzubeziehen (allgemeine Praxis und st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 15.9.2005 - 3 StR 313/05; BGH, Beschl. v. 6.10.2005 - 3 StR 328/05; BGH, Beschl. v. 7.8.2007 - 3 StR 326/07 - NStZ 2008, 40; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 55 Rdn. 15). Im früheren Urteil abgeurteilte Straftaten erscheinen im neuen Urteilstenor nicht (BGH, Beschl. v. 15.9.2005 - 3 StR 313/05), so dass die Schuldsprüche der früheren Urteile, deren Einzelstrafen zur Bildung der Gesamtstrafe herangezogen worden sind, nicht in den Urteilstenor aufgenommen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.1999 – 4 StR 626/98 - wistra 1999, 185, 186; BGH, Beschl. v. 10.10.2016 - 4 StR 100/16 Rn. 1). Unter der "früheren Verurteilung" sind auch Strafen aus Strafbefehlen zu verstehen und einzubeziehen. Als Zeitpunkt der früheren Verurteilung gilt dabei der Erlass des Strafbefehls und nicht etwa dessen Rechtskraft (BGHSt 33, 230; BGH, Beschl. v. 19.1.2005 - 4 StR 223/04; BGH, Beschl. v. 11.11.2008 - 5 StR 486/08 - NStZ-RR 2009, 74; Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 55 Rdnr. 6, 10; zum maßgeblichen Zeitpunkt bei späterer Entscheidung nach Einspruch durch Urteil siehe unten --> "Erste unerledigte Vorverurteilung").

Enthält die gesamtstrafenfähige Vorverurteilung zu einer Gesamtstrafe keine Einzelstrafen, so findet § 55 StGB keine Anwendung. Der Tatrichter hat in diesem Fall einen Härteausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe vorzunehmen (BGHSt 43, 34; BGH, Beschl. v. 20.2.2002 - 3 StR 338/01; vgl. auch Rissing-van Saan in LK StGB 11. Aufl. § 55 Rdn. 26).


Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB ist eine frühere Gesamtstrafe ggf. aufzulösen und der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe sind die Einzelstrafen aus der früheren Verurteilung und die wegen der vor diesem Zeitpunkt begangenen Taten verhängten Einzelstrafen zugrundezulegen (vgl. BGHSt 35, 243, 245; 41, 374, 375; 43, 34, 35; BGH, Beschl. v. 24.11.2000 - 2 StR 361/00; BGH, Beschl. v. 25.11.2009 - 2 StR 465/09; vgl. Fischer 56. Aufl. § 55 Rdn. 8, 15). Allein die in dem früheren Urteil verhängten Einzelstrafen fließen in die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe ein und die Gesamtstrafe aus dem früheren Urteil wird aufgelöst (BGH, Beschl. v. 21.10.1958 – 1 StR 312/58 - BGHSt 12, 99; BGH, Beschl. v. 23.8.2012 - 4 StR 305/12; SSW-StGB/Eschelbach, § 55 Rn. 24).

§ 55 StGB ermächtigt und verpflichtet den Tatrichter, in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen; die Rechtskraft einer Gesamtstrafe stellt auch dann kein Hindernis dar, wenn nicht alle in ihr zusammengefassten Einzelstrafen in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen sind, sie vielmehr zu verschiedenen Gesamtstrafen zusammengefügt werden oder als Einzelstrafe bestehen bleiben sollen (vgl. BGHSt 35, 243 m.w.N.; BGH NStZ-RR 2004, 137; NStZ 1996, 329; BGH, Beschl. v. 29.9.2009 - 1 StR 451/09 - NStZ-RR 2010, 9).


Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB knüpft allein an der Rechtskraft der früheren Verurteilung an. Die (sachliche) Richtigkeit dieser Entscheidung hat das neu entscheidende Gericht grundsätzlich nicht zu prüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2014 - 4 StR 486/14 Rn. 5; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 55 Rn. 14 f.; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 4 jeweils mwN; zur früheren Verurteilung trotz eines entgegenstehenden Verfahrenshindernisses auch: BGH, Urt. v. 11.11.1955 – 1 StR 409/55 - BGHSt 8, 269, 271; BGH, Urt. v. 10.8.1982 – 5 StR 412/82 - wistra 1982, 227, 228; anders bei einer auch der Gesamtstrafenbildung als solcher entgegenstehenden Verfahrensvoraussetzung: BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – 4 StR 345/97 - NStZ-RR 1998, 6). Dieser Grundsatz kann auch nicht im Rahmen der Entscheidung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB umgangen werden, zumal das dort eingeräumte Ermessen (allein) nach Strafzumessungsgesichtspunkten auszuüben ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2014 - 4 StR 486/14 Rn. 6; BGH, Beschl. v. 11.6.2002 – 1 StR 142/02 - NStZ-RR 2002, 264; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 53 Rn. 14).

Für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist die tatsächlich gegebene materielle Gesamtstrafenlage
maßgeblich, so dass eine fehlerhaft gebildete frühere Gesamtstrafe aufzulösen und die Gesamtstrafenbildung insgesamt neu vorzunehmen ist (BGH, Beschl. v. 24.3.1988 - 1 StR 83/88 - BGHSt 35, 243, 244 f.; BGH, Beschl. v. 5.12.1990 - 3 StR 407/90 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 4; BGH, Beschl. v. 15.10.2014 - 2 StR 202/14).




Zeitpunkt

15
Maßgebender Zeitpunkt für die nach § 56 StGB zu treffende Entscheidung ist grundsätzlich der des Urteils (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 17; vgl. auch BGH StV 1992, 417; siehe auch nachstehend unter "Instanzenübergreifende Beachtung" betr. Berufungsurteile). Dieser Grundsatz gilt auch für eine im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) zu verhängende Strafe (BGH, Urt. v. 9.7.2003 - 2 StR 125/03 - wistra 2003, 422). Bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB und ihrer Neufestsetzung ist abzustellen auf den Kenntnisstand des jetzigen Tatrichters. Für die Bemessung der (neuen) nachträglichen Gesamtstrafe gelten die Grundsätze des § 54 StGB. Es können mithin Umstände herangezogen werden, die dem früheren Richter noch unbekannt waren oder die erst später entstanden sind (BGH, Urt. v. 9.7.2003 - 2 StR 125/03 - wistra 2003, 422; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Rdn. 27; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Rdn. 39 jeweils zu § 55).

Nach Aufhebung einer Gesamtstrafe und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht muss in der erneuten Verhandlung die Gesamtstrafbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung erfolgen; sonst würde einem Revisionsführer wegen seines Rechtsmittels ein durch die Gesamtstrafbildung erlangter Rechtsvorteil genommen (BGH, Beschl. v. 2.5.1989 - 1 StR 213/89 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1; BGH, Beschl. v. 21.8.2001 - 5 StR 291/01 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 2 - NStZ 2001, 645; BGH, Beschl. v. 27.11.2002 - 5 StR 355/02; BGH, Beschl. v. 13.11.2007 - 3 StR 415/07 - NStZ-RR 2008, 72 f. BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 3 StR 213/08; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 5 StR 443/08 - NStZ-RR 2009, 41; BGH, Beschl. v. 28.10.2008 - 5 StR 493/08 - NStZ-RR 2009, 44; BGH, Beschl. v. 3.11.2009 - 3 StR 427/09BGH, Urt. v. 9.12.2009 – 5 StR 459/09 - NStZ-RR 2010, 106; BGH, Beschl. v. 3.5.2011 - 3 StR 110/11; BGH, Beschl. v. 5.7.2011 - 3 StR 188/11; BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - 3 StR 355/11; BGH, Beschl. v. 20.12.2011 - 3 StR 374/11 - NStZ-RR 2012, 106; BGH, Beschl. v. 31.1.2012 - 3 StR 428/11; BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 2 StR 92/10; BGH, Beschl. v. 31.7.2012 - 4 StR 229/12; BGH, Beschl. v. 22.8.2013 - 3 StR 141/13 Rn. 7; Fischer, StGB 59. Aufl. § 55 Rdn. 37).


Dabei soll jedoch nicht nur eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Angeklagten vermieden werden, sondern er soll hierdurch auch nicht bevorzugt werden. Dies gebietet nach verbindlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Fällen, in denen der Erlass einer einbeziehungsfähigen Bewährungsstrafe erst nach dem ersten (erstinstanzlichen) Urteil des Landgerichts erfolgt (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Fehler 2; BGH NStZ 1982, 377 m.w.N.), die Einbeziehung einer nach dem maßgeblichen ersten Urteil erlassenen Bewährungsstrafe (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.2009 - 5 StR 459/09 - wistra 2010, 99; siehe hierzu auch unten --> Rdn. 60.6).

Dies gilt nicht nur in dem speziellen Fall, in dem die Urteilsaufhebung gerade wegen fehlerhaft unterbliebener nachträglicher Gesamtstrafbildung erfolgt ist; vielmehr ist regelmäßig so zu verfahren (vgl. BGH, Beschl. v. 6.11.2008 - 4 StR 495/08 - NStZ 2009, 263; BGH, Beschl. v. 22.8.2013 - 3 StR 141/13 Rn. 7). Weiter gilt nichts anderes, wenn das erste Urteil nicht allein auf die Revision des Angeklagten, sondern auch auf die der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden ist. Denn auch in diesem Fall soll einem Revisionsführer der durch eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung erlangte Rechtsvorteil nicht durch sein Rechtsmittel genommen werden (BGH, Beschl. v. 22.8.2013 - 3 StR 141/13 Rn. 7). Bleibt fraglich, ob eine Tat vor oder nach der Zäsur begangen worden ist, kommt die Anwendung des Zweifelssatzes in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 26.5.2000 - 3 StR 162/00 - NStZ 2000, 540; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 261 Rdn. 30).

Die Auffassung, eine einzubeziehende Strafe sei mit der „Genehmigung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch den Vorsitzenden“ erledigt, so dass die Voraussetzungen des § 55 StGB nicht mehr gegeben seien, ist unzutreffend. Nach der Rechtsnatur der gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 126 StPO zu erteilenden Genehmigung der Unterbrechung der Untersuchungshaft zum Zwecke der Strafvollstreckung, dient diese der Sicherung der Untersuchungshaftzwecke (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. Vor § 112 Rdn. 14; Callies/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl. § 122 Rdn. 4), lässt den Vollstreckungsstand hinsichtlich der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafe aber unberührt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.10.2008 - 5 StR 493/08 - NStZ-RR 2009, 44).


  siehe auch unten Rdn. 25 - Instanzenübergreifende Beachtung und
 
 Strafaussetzung, § 56 StGB Bildung der Gesamtstrafe, § 54 StGB 

Einer nach einer abgeurteilten Tat ergangenen und noch nicht erledigten früheren rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe kommt auch dann eine Zäsurwirkung zu, wenn diese Geldstrafe in Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert bestehen bleiben soll (BGH, Beschl. v. 19.11.2013 - 4 StR 464/13; BGH, Beschl. v. 10.1.2012 – 3 StR 370/11 - NStZ-RR 2012, 170; BGH, Beschl. v. 12.11.2003 – 2 StR 294/03 Rn. 6 insoweit in NStZ 2004, 329 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 184; BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 194).

Nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB verhängte Geldstrafen aus einer früheren Verurteilung sind solange einbeziehungsfähig, wie diese Verurteilung noch nicht insgesamt im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt ist (BGH NStZ-RR 2007, 232; Fischer StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 6). Bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe tritt eine Erledigung der einbezogenen Strafen nur ein, wenn die in der Gesamtstrafenentscheidung verhängten Strafen vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind. Mit der Rechtskraft der nachträglichen Gesamtstrafenbildung scheidet eine gesonderte Vollstreckung der einbezogenen Strafen aus (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 337; BGH, Beschl. v. 25.6.2008 - 2 StR 176/08; BayObLG NJW 1957, 1810; v. Heintschel-Heinegg in MüKo StGB § 55 Rdn. 23).


Begangen im Sinne von § 55 Abs. 1 StGB ist eine Tat mit deren Beendigung (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.1996 - 4 StR 389/96 - NJW 1997, 750; BGH, Beschl. v. 1.7.2009 - 2 StR 116/09 - StraFo 2010, 37; BGH, Beschl. v. 16.9.2014 - 3 StR 423/14), darauf, dass die Tat im Rechtssinne vollendet war, kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 16.9.2014 - 3 StR 423/14). Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist die neue Tat nur dann ´vor der früheren Verurteilung begangen´, wenn sie zuvor beendet war (vgl. BGH NJW 1999, 1344, 1346 und 1997, 750, 751 [insoweit in BGHSt 44, 355 und BGHSt 42, 268 nicht abgedruckt]; BGH, Beschl. v. 4.4.2000 - 5 StR 105/00; BGH, Beschl. v. 11.11.2008 - 5 StR 486/08 - NStZ-RR 2009, 74; BGH, Beschl. v. 8.12.2015 - 3 StR 430/15; BGH, Beschl. v. 23.1.2016 - 3 StR 4/16). Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit die Beendigung der Tat (BGH, Beschl. v. 12.10.2010 - 4 StR 424/10; Fischer, StGB 63. Aufl., § 55 Rn. 7 m.w.N.), weil sie erst in diesem Zeitpunkt abschließend beurteilt werden kann (BGH, Beschl. v. 18.8.2015 - 1 StR 305/15; LK-Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 9). Ihre Vollendung allein reicht nicht aus (BGH, Beschl. v. 21.9.2011 - 1 StR 398/11; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 5 u. 7 mwN).

Wurden vor und nach dem Zäsurwirkung entfaltenden Urteil Straftaten begangen, ohne dass insoweit genau bestimmt werden kann, ob diese vor oder nach der früheren Verurteilung begangen wurden, kann bei einer solchen Unklarheit mit Rücksicht auf den Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten anzunehmen sein, dass diese vor der die Zäsur bewirkenden Verurteilung begangen wurden. Die Annahme, die Taten seien danach begangen worden, wirkt sich zu Lasten des Angeklagten aus, wenn bei der Bildung der Einzelstrafen ausdrücklich zu seinen Lasten gewertet würde, dass er diese Taten nach der Zäsur begründenden Verurteilung und damit unbeeindruckt von diesem Verfahren und unter Bewährung stehend" verübt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2011 - 2 StR 664/10).

Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe setzt nach § 55 StGB schon begrifflich die Einbeziehung der Strafe aus der früheren Verurteilung voraus. Sieht der Tatrichter von der Anwendung des § 55 StGB deshalb ab, weil dies noch weiterer Ermittlungen bedurft hätte und deshalb mit einer erheblichen Verfahrensverzögerung verbunden gewesen wäre, so richtet sich die Gesamtstrafenbildung ausschließlich nach § 53 StGB. In diese Entscheidung einzubeziehen sind dann aber sämtliche nunmehr verwirkte Einzelstrafen; die Zäsurwirkung der früheren Verurteilung hat außer Betracht zu bleiben; denn sollte sich im Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO ergeben, dass die Vorstrafen - aus welchen Gründen auch immer - nicht zur Gesamtstrafenbildung heranzuziehen sind, so muss die im Urteil ausgesprochene und in diesem Falle bestehen bleibende Gesamtstrafe für sich rechtsfehlerfrei gebildet sein (BGH, Beschl. v. 16.9.2010 - 3 StR 331/10).
  




Umfang der Entscheidung nach § 55 StGB

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Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, so sind - wie bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten - auch Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen. Über sie ist deshalb, sofern ihre Voraussetzungen auch in Bezug auf die Taten bestehen, die dem späteren Urteil zugrunde liegen, grundsätzlich durch den neuen Gesamtstrafenrichter neu zu entscheiden (vgl. BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03; BGH, Beschl. v. 12.10.2004 - 4 StR 304/04; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe. Rdn. 135, 142 ff.; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 55 Rdn. 17; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 55 Rdn. 53, 54, jew. m.w.N.).

So ist beispielsweise auch die Anordnung des Wertersatzverfalls eines früheren Urteils bei der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen und einzubeziehen (vgl. BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03). Die Entscheidung über die Frage der Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis unterliegt einer Gesamtbetrachtung nach Bildung der Gesamtstrafen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.1999 - 4 Ss 1502/98; OLG Hamm, Beschl. v. 6.5.2003 - 4 Ss 304/03; zu den Ausnahmen gemäß § 55 Abs. 2 StPO - etwa im Fall der Erledigung einer Maßnahme - siehe unten).

Bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe ist von der bereits festgesetzten Höhe der einzubeziehenden Strafe auszugehen, für jede weitere einzelne Tat eine eigene Strafe festzusetzen und sodann die höchste Einzelstrafe zu erhöhen, ohne daß jedoch die Summe der Einzelstrafen erreicht werden dürfte (§ 55 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 StGB).


Beispiel: Die Gesamtstrafe hat keinen Bestand, wenn das Gericht aus den von ihm verhängten Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, neun Monaten und vier Monaten und - nach Auflösung einer anderweitigen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten - den einbezogenen Einzelstrafen (zwei Jahre und zehn Monate, vier Monate und sechs Monate Freiheitsstrafe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten gebildet hat. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil die neue Gesamtstrafe die frühere Gesamtstrafe nicht um mehr als die Summe der neu einzubeziehenden Einzelstrafen übersteigen darf (BGHSt 15, 164, 166; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 55 Rdn. 18 m.w.N.). Sie hätte vorliegend mithin nicht mehr als fünf Jahre und vier Monate betragen dürfen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.10.2004 - 4 StR 304/04). 




Instanzenübergreifende Beachtung

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Bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung an das Tatgericht ist in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafenbildung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen, weil dem Angeklagten ein erlangter Rechtsvorteil nicht genommen werden darf (vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.2007 - 3 StR 415/07 - NStZ-RR 2008, 72; BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 3 StR 213/08; BGH, Beschl. v. 17.9.2008 - 5 StR 284/08 - NStZ 2009, 107; BGH, Beschl. v. 19.2.2014 - 2 StR 558/13; BGH, Beschl. v. 27.5.2014 - 3 StR 137/14; Fischer, StGB 63. Aufl. § 55 Rdn. 6a u. 37 m. w. N.; siehe auch nachstehend unter Härteausgleich --> Rdn. 60). Vom neuen Tatrichter sind daher auch zwischenzeitlich erledigte Strafen einzubeziehen (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 21.8.2001 - 5 StR 291/01 - NStZ 2001, 645; BGH, Beschl. v. 25.9.2003 - 4 StR 381/03; BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - 2 StR 170/04; BGH, Beschl. v. 20.10.2004 - 2 StR 408/04; BGH, Beschl. v. 22.7.2009 - 2 StR 191/09; BGH, Beschl. v. 14.4.2010 - 2 StR 92/10; BGH, Beschl. v. 8.10.2010 - 3 StR 368/10; BGH, Beschl. v. 10.1.2012 - 3 StR 370/11: zwischenzeitlicher Erlass der verhängten Strafe; BGH, Beschl. v. 23.8.2016 - 2 StR 25/16; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 25 und 45; Fischer, StGB 63. Aufl. § 55 Rn. 6a).

Für die Anwendbarkeit des § 55 StGB kommt es auf die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage an. Dies gilt auch für den Tatrichter, der nach in der Rechtsmittelinstanz erfolgter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst wird (BGH, Beschl. v. 3.6.2015 - 4 StR 176/15; BGH, Beschl. v. 22.2.2012 – 4 StR 22/12 - wistra 2012, 221; ebenso bereits BGH, Beschl. v. 30.6.1960 – 2 StR 147/60 - BGHSt 15, 66, 69 ff.). Anders ist es lediglich hinsichtlich der Vollstreckungssituation für eine schon im ersten tatrichterlichen Urteil nach § 55 StGB gesamtstrafenfähige Entscheidung; für deren Beurteilung ist der Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Entscheidung maßgeblich (BGH, Beschl. v. 3.6.2015 - 4 StR 176/15; BGH, Beschl. v. 19.2.2014 – 2 StR 558/13 - NStZ-RR 2014, 242, 243).


Wie bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB ist auch im Jugendstrafrecht gemäß § 31 Abs. 2 JGG auf die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Tatsachenverhandlung abzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.1991 - 2 StR 463/91 - BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 6; BGH, Beschl. v. 12.9.2000 - 4 StR 358/00 - StV 2001, 179; BGH, Beschl. v. 31.3.2011 - 2 StR 8/11 - StraFo 2011, 288; Eisenberg, JGG 14. Aufl. § 31 Rn. 27; siehe auch  § 31 JGG Rdn. 40 - Einbeziehung).

Voraussetzung für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB, dass die später abzuurteilenden Taten "vor der früheren Verurteilung" begangen worden sind. Für die Auslegung der Worte "vor der früheren Verurteilung" begangen kommt es auf die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage an (vgl. BGH, Beschl. v. 1.9.2009 - 3 StR 178/09 - NStZ-RR 2010, 41; BGH, Beschl. v. 19.2.2014 - 2 StR 558/13 insoweit auch betr. Unterbringunganordnung nach Zurückverweisung; BGH, Beschl. v. 3.11.2015 - 4 StR 407/15; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 6; Sternberg/Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 6 ff.). Dies kann auch ein Berufungsurteil sein, sofern wenigstens noch über einen Teil der Strafe – zu der auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung gehört – zu befinden war (BGH, Beschl. v. 30.6.1960 – 2 StR 147/60; BGHSt 5, 66, 69 f.; BGH, Beschl. v. 3.11.2015 - 4 StR 407/15; vgl. Beschl. v. 22.2.2012 – 4 StR 22/12 - NStZ-RR 2013, 7; BGH, Beschl. v. 2.4.1985 – 4 StR 116/85, S. 3 f.; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 200; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 6). Dies kann auch ein nach Teilaufhebung ergangenes zweites Urteil sein, wenn dieses eine Sachentscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB enthielt. Hierfür genügt auch eine Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe, wenn sie aufgrund einer tatrichterlichen Verhandlung ergangen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 1.9.2009 - 3 StR 178/09 - NStZ-RR 2010, 41; Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 7).


§ 55 StGB gilt auch für das Berufungsgericht (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. Rdn. 20 zu § 55). Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, wenn im Zeitpunkt seines Urteils die Voraussetzungen der §§ 53 ff. StGB vorliegen. Er darf die Festsetzung der Gesamtstrafe nicht dem Verfahren nach §§ 460 ff. StPO überlassen (BGHSt 12, 1; 20, 292, 293; 23, 98, 99; 25, 382, 384; BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10; vgl. auch KK-Appl StPO 6. Aufl. Rdn. 4 zu § 460). Dies ergibt sich aus dem Grundgedanken des § 55 Abs. 1 StGB, die durch eine getrennte Aburteilung entstandenen Vor- und Nachteile auszugleichen. Danach sind Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch nach getrennter Aburteilung noch nachträglich so zu behandeln, dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. Fischer aaO Rdn. 2 zu § 55 mwN). Hierbei kommt es allein auf die materiell-rechtliche Regelung und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (BGHSt 32, 193; BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10). Weder die eingetretene Teilrechtskraft, noch die Dispositionsbefugnis stehen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung durch das Berufungsgericht entgegen. Für die Bildung der Gesamtstrafe nach § 55 StGB gibt die sachliche, nicht die verfahrensrechtliche Lage den Ausschlag (vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10).

Maßgeblich für die Gesamtstrafenbildung kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB der Zeitpunkt der Verkündung des Berufungsurteils sein, weil in dem Berufungsverfahren die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen geprüft werden konnten (BGH, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 StR 51/08; Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55 Rdn. 7; Fischer StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 7, 12; vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.1.2013 - 1 StR 525/12); dazu genügt auch eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55 Rdn. 6; siehe auch vorstehend unter "Zeitpunkt").


Die nach § 55 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB zu bildende Gesamtstrafe darf wegen des Verschlechterungsverbots nach § 358 Abs. 2 StPO den Betrag der neuen Strafen vermehrt um den der früher erkannten Gesamtstrafe nicht übersteigen (BGHSt 15, 164, 166; BGH, Beschl. v. 20.1.2006 - 2 StR 576/05).

Hat das frühere Tatgericht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe ausdrücklich abgesehen, darf dem Angeklagten dieser Vorteil nicht mehr genommen werden. Die Einbeziehung der Geldstrafe würde zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führen und einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot begründen (BGH, Urt. v. 23.7.1997 - 3 StR 146/97 - NStZ - RR 1998, 136; BGH, Beschl. v. 22.3.1995 - 2 StR 700/94; BGH, Beschl. v. 18.8.2015 - 5 StR 296/15; Rissing-van Saan in LK, StGB, 12. Aufl., § 55 Rdn. 44; Fischer StGB, 56. Aufl. § 55 Rdnr. 8). Jede Erhöhung einer Freiheitsstrafe - selbst bei Wegfall der Geldstrafe - ist als das schwerere Übel anzusehen (BGH, Urt. v. 21.5.1975 - 3 StR 71/75 (S); BGH, Beschl. v. 1.12.2009 - 3 StR 463/09). Aus mehreren nach § 55 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB aufrechterhaltenen Geldstrafen ist aus den Urteilen, die nach den Urteilsfeststellungen untereinander gesamtstrafenfähig sind, eine Gesamtgeldstrafe zu bilden (vgl. BGH, Beschl. v. 18.9.1974 - 3 StR 217/74 - BGHSt 25, 382; BGH, Beschl. v. 21.3.2012 - 4 StR 29/12; BGH, Beschl. v. 4.2.2016 - 4 StR 513/15).

Verhält sich das angefochtene Urteil bezüglich der einbezogenen Strafen widersprüchlich, kann dies zur Aufhebung im Ausspruch über die Gesamtstrafe führen.

Beispiel: Während nach dem Urteilstenor die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts X einbezogen sind, belegen die Urteilsgründe, dass das Landgericht die Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Y einbeziehen wollte, das über die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts X befunden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 25.6.2008 - 2 StR 258/08).


Leitsatz  Auch bei einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB durch das Berufungsgericht vorzunehmen, wenn der erstinstanzliche Richter eine Entscheidung zu dieser Frage nicht getroffen hat (BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10 - Ls.). 




Gesonderte Verhängung einer Gesamtgeldstrafe neben Freiheitsstrafe

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§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB findet auch bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Anwendung (vgl. BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - 3 StR 276/02; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 55 Rdn. 36). Die Nichtanwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bedarf insbesondere dann einer ausdrücklichen Erörterung, wenn bei der gesonderten Festsetzung einer Geldstrafe die zeitige Freiheitsstrafe noch zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 4 und 6; Nichteinbeziehung 2 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 19.1.2000 - 2 StR 628/99 - wistra 2000, 177; BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - 4 StR 390/06). Dies liegt jedenfalls bei einer verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, bei der zehn Einzelgeldstrafen Bestandteil des Strafausspruch sind, nicht fern. Die Nichtanwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB ist in diesen Fällen ausdrücklich zu begründen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - 4 StR 390/06; BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - 5 StR 388/07; BGH, Beschl. v. 3.12.2007 - 5 StR 504/07 - NStZ 2009, 27). Zwar bedarf die Nichtanwendung der genannten Vorschrift grundsätzlich dann einer ausdrücklichen Begründung, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe als das gegenüber dem Bestehenlassen der Geldstrafen schwerere Übel erscheint. Anders verhält es sich aber, wenn sich sämtliche Taten gegen dasselbe Rechtsgut richteten und deshalb die Einbeziehung der Geldstrafen in eine Gesamtfreiheitsstrafe nahelag (vgl. BGH, Urt. v. 2.8.2000 - 2 StR 172/00 - BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 6; BGH, Beschl. v. 7.10.2010 - 1 StR 484/10 - wistra 2011, 19).

Die Anwendung der durch § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eröffneten Strafzumessungsentscheidung drängt sich etwa besonders auf, um einen angemessenen Härteausgleich für die an sich gebotene, aber durch die Vollstreckung einer Vorverurteilung nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - 5 StR 388/07).

Die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden Verurteilung entfällt nicht allein deswegen, weil auf Geldstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert erkannt werden soll. Die Möglichkeit, auf Geldstrafe gesondert zu erkennen, ist kein Grund, die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden Vorverurteilung zu verneinen (vgl. BGHSt 32, 190, 194; BGH, Beschl. v. 16.4.1991 - 5 StR 156/91 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9; BGH, Beschl. v. 19.4.2000 - 3 StR 149/00 - NStZ-RR 2000, 367; BGH, Beschl. v. 26.4.2001 - 5 StR 157/01; BGH, Beschl. v. 4.12.2003 - 5 StR 513/03). Nur dann, wenn eine Verurteilung durch Vollstreckung der erkannten Strafe erledigt ist, entfaltet sie keine Zäsurwirkung mehr (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.1987 - 1 StR 222/87 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 3; BGH, Beschl. v. 12.7.2005 - 5 StR 227/05).

Der Angeklagte ist nicht dadurch beschwert, dass das Tatgericht in rechtsbedenklicher Weise gemäß § 41 StGB Geld- neben Freiheitsstrafe verhängt hat, um eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe zumessen zu können (vgl. BGHSt 32, 60; BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - 3 StR 404/05).


Wird von der Einbeziehung mehrerer nicht erledigter Geldstrafen in eine Gesamtstrafe gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz StGB abgesehen, ist auch im Verfahren nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz StGB auf eine Gesamtgeldstrafe zu erkennen (BGH, Beschl. v. 18.9.1974 – 3 StR 217/74 - BGHSt 25, 382; BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - 4 StR 501/13; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 46). Macht der Tatrichter daher bei Ausspruch einer Freiheitsstrafe von der Möglichkeit der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe mit mehreren in anderen Verfahren rechtskräftig erkannten Geldstrafen keinen Gebrauch, so muß er diese auf eine Gesamtgeldstrafe zurückführen; er darf die Entscheidung hierüber nicht dem Beschlußverfahren nach §§ 460 ff StPO überlassen (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.1974 - 3 StR 217/74 - BGHSt 25, 382; BGH, Beschl. v. 22.12.2004 - 2 StR 417/04).

siehe zur Gesamtgeldstrafenbildung aufrechterhaltener und untereinander gesamtstrafenfähiger Geldstrafen nach § 55 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB sowie zur gesonderten Geldstrafe neben Freiheitsstrafe auch: § 53 StGB Rdn. 10 - Gesonderte Geldstrafe
 




Gesamtstrafenbildung mit ausländischen Strafen

35
Die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit im Ausland verhängten Strafen besteht nicht. Eine Zusammenfassung von Strafen, die verschiedenen Strafsystemen angehören, ist unmöglich; es ist nicht nachprüfbar, in welchem Verhältnis die nach ausländischem Strafrecht angewandte Strafart zu der auf Grund des deutschen Strafgesetzbuchs anzuwendenden steht. Dies gilt sowohl für Art und Höhe der im Ausland verhängten Strafe als auch für das im Ausland bestehende System der Vollstreckung. Dabei würde die Anwendung des Gedankens des § 55 StGB dazu nötigen, nicht vereinbare Straf- und Vollstreckungssysteme zu vergleichen, deren Anwendung im Einzelfall ungewiss ist. Auch ist eine in Deutschland verhängte Gesamtstrafe von der deutschen Strafvollstreckungsbehörde zu vollstrecken. Würde darin eine durch ein ausländisches Gericht verhängte Einzelstrafe einbezogen, entfiele dadurch nach deutschem Recht die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils, dessen Strafe in die Gesamtstrafe einbezogen wurde. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in das Justizhoheitsrecht des anderen Staates (vgl. schon RGSt 75, 256; BGH LM Nr. 1 zu § 335 StGB; BGH, Urt. v. 4.12.1979 - 5 StR 571/79; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 386/08 - NStZ 2010, 30; BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14; OLG Bremen NJW 1950, 918; OLG Hamm JMBl. NW 1950, 144; OLG Düsseldorf GA 1991, 271 f.).

Auch der Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (ABl. L 220 vom 15. August 2008) geht davon aus, dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit einer Vorverurteilung aus einem anderen Staat ein unzulässiger Eingriff in dessen Urteil bzw. dessen Vollstreckung wäre (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie). Im Erwägungsgrund Nr. 6 des Rahmenbeschlusses ist zudem ausdrücklich klargestellt, dass er nicht bezweckt, dass in einem Mitgliedstaat gerichtliche Entscheidungen vollstreckt werden, die in anderen Mitgliedstaaten ergangen sind, was bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB der Fall wäre (BGH, Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 386/08 - NStZ 2010, 30).

 
siehe zum Härteausgleich in diesen Fällen unten: --> Härteausgleich --> Ausländische Strafen




Gesamtstrafenbildung in Auslieferungsangelegenheiten

37
Ist der Angeklagte von dem Auslieferungsstaat nur zur Verfolgung der im Europäischen Haftbefehl dargelegten Straftaten ausgeliefert worden, verbietet es der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität – Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h IRG –, die mangels Zustimmung der ausländischen Behörden nicht vollstreckbare Strafe aus anderweitigen Urteilen in eine Gesamtstrafe einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.2014 - 4 StR 499/13; BGH, Beschl. v. 4.2.2013 - 3 StR 395/12 - NStZ-RR 2013, 178; BGH, Beschl. v. 27.7.2011 - 4 StR 303/11 - NStZ 2012, 100; BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – 4 StR 345/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 7; BGH, Beschl. v. 20.4.2016 - 1 StR 661/15 Rn. 3). Dies gilt auch für Bewährungsstrafen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.6.2014 - 1 StR 218/14). Solange diese Strafen nicht in eine neue Gesamtstrafe einbezogen werden dürfen, ist aus allen hier verhängten Einzelstrafen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Gesamtstrafe zu bilden (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.2014 - 4 StR 499/13; BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – 4 StR 345/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 7; BGH, Beschl. v. 24.2.1981 – 5 StR 36/81; BGH, Urt. v. 4.4.1978 – 5 StR 806/77). Urteile, deren Strafen insoweit nicht nach § 55 StGB einbeziehungsfähig sind, entfalten keine Zäsurwirkung (vgl. BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – 4 StR 345/97 - NStZ 1998, 149; BGH, Beschl. v. 27.1.2014 - 4 StR 499/13; BGH, Beschl. v. 25.6.2014 - 1 StR 218/14; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 55 Rn. 10 mwN).

Liegt eine Auslieferungsbewilligung zur Vollstreckung der Geldstrafe (bisher) nicht vor, verstößt bei dieser Verfahrenslage die Einbeziehung der Geldstrafe in die Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Grundsatz der Spezialität (Art. 83h Abs. 1 IRG). Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschl. v. 4.2.2013  - 3 StR 395/12 - NStZ-RR 2013, 178; BGH, Beschl. v. 25.6.2014 - 1 StR 218/14 - NStZ 2014, 590; BGH, Beschl. v. 20.4.2016 - 1 StR 661/15 Rn. 3). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass gegen den Angeklagten lediglich eine Geldstrafe festgesetzt wurde; ein Anwendungsfall der Ausnahmeregelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG liegt insoweit nicht vor. Nach dieser - ursprünglich für Geldstrafen vorgesehenen - Vorschrift entfällt die Spezialität, wenn die Strafverfolgung im konkreten Fall nicht zu einer Freiheitsbeschränkung führt (BGH, Beschl. v. 27.7.2011 - 4 StR 303/11). Zwar bleiben bei einer nach § 55 StGB gebildeten Gesamtstrafe - anders als bei der Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG - die zugrunde liegenden Einzelstrafen in gewissem Umfang selbständig, dies ändert jedoch nichts daran, dass - im Falle der Rechtskraft - die Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 20.4.2016 - 1 StR 661/15 Rn. 3).


Sofern die nach dem Spezialitätsgrundsatz nicht einbeziehungsfähigen Strafen zu einem späteren Zeitpunkt, etwa im Anschluss an ein Nachtragsersuchen, vollstreckbar werden, so ist nach § 460 StPO aus diesen Strafen und aus den im vorliegenden Verfahren und den dann gesamtstrafenfähigen Einzelstrafen unter Berücksichtigung des § 358 Abs. 2 StPO nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden (vgl. BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – 4 StR 345/97 - NStZ 1998, 149; BGH, Beschl. v. 27.7.2011 – 4 StR 303/11 - NStZ 2012, 100; BGH, Beschl. v. 27.1.2014 - 4 StR 499/13; BGH, Beschl. v. 25.6.2014 - 1 StR 218/14).

 
siehe hierzu im Einzelnen:  § 206a StPO und  § 83h IRG




Gesamtstrafenbildung und Strafreduzierung wegen Verfahrensverzögerung

40
Bei der Bildung einer Gesamtstrafe und der Einbeziehung eines Abschlags infolge einer mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht zu vereinbarenden Verfahrensverzögerung, besteht die Verpflichtung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten und der tatsächlich verhängten Strafe zu bestimmen nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern auch für alle Einzelstrafen ( vgl. BGH, Beschl. v. 17.6.2003 - 3 StR 183/03 - BGH NStZ 2003, 601; BGH, Beschl. v. 13.12.2006 - 2 StR 520/06). Im zugrunde liegenden Fall hatte der Tatrichter der Vorinstanz aus 2 Einzelstrafen zunächst eine fiktive Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten gebildet und von dieser wegen eines Härteausgleichs (Erledigung einer gesamtstrafenfähigen Vorstrafe) eine Minderung um einen Monat und wegen einer "mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK  nicht zu vereinbarenden Verfahrensverzögerung" einen weiteren Abschlag von elf Monaten vorgenommen; er hat dann auf die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten erkannt. Der BGH hat dann die Einzelfreiheitsstrafen angemessen herabgesetzt und hinsichtlich der ersten Tat auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten und hinsichtlich der zweiten auf eine solche von fünf Jahren. Im Ergebnis ist es damit bei der ausgeurteilten Strafe von 5 Jahren und 6 Monaten verblieben (BGH, a.a.O, vgl. auch BGH, Beschl. v. 20.2.2007 - 2 StR 566/06; BGH, Beschl. v. 16.5.2007 - 2 StR 78/07). 




Rechtskraft früherer fehlerhafter Gesamtstrafe

45
Die Rechtskraft der früheren Verurteilung, die den Bestand der einzubeziehenden Einzelstrafen sicherstellt (vgl. BGH, Urt. v. 6.8.1969 – 4 StR 233/69 - BGHSt 23, 98, 100; von Heintschel-Heinegg in MK-StGB, 2. Aufl., § 55 Rn. 21), ist zwingende Voraussetzung der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB (vgl. 24.4.2013 - 4 StR 125/13).

Die Rechtskraft einer fehlerhaften Gesamtstrafbildung steht bei weiterer nachträglicher Gesamtstrafbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB der nunmehr gebotenen Korrektur nicht entgegen (BGHSt 35, 243; BGH, Beschl. v. 13.10.1995 - 3 StR 431/95 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 - Einbeziehung 3; BGH, Beschl. v. 5.12.1990 - 3 StR 407/90 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - Strafen, einbezogene 4; BGH, Beschl. v. 11.11.2000 - 5 StR 651/99; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 55 Rdn. 17 m.w.N.).
 




Zäsurwirkung von Vorverurteilungen

50
Für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist hinsichtlich der maßgeblichen Zäsurwirkung nicht auf die Tatzeit der - dort abgeurteilten - Tat abzustellen sondern, wie es der klare Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt, auf den Zeitpunkt der „früheren Verurteilung“ (vgl. BGH, Urt. v. 1.9.2005 - 4 StR 331/05).

Für die Zäsurwirkung ist unerheblich, dass von einer Gesamtstrafenbildung nach § 52 Abs. 3 S. 2 StGB abgesehen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.1983 - 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 194; BGH, Urt. v. 12.8.1998 - 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 184; BGH, Beschl. v. 7.12.2000 - 4 StR 449/00; BGH, Beschl. v. 8.9.2010 - 2 StR 423/10 - StraFo 2011, 61; BGH, Beschl. v. 10.1.2012 - 3 StR 370/11; Rissing-van Saan LK 12. Aufl. StGB § 55 Rn. 21; Fischer StGB 57. Aufl. § 55 Rn. 9a).

 
 siehe auch: § 53 StGB Rdn. 15 - Zäsurwirkung bei Gesamtstrafenbildung
 
Es kommt nur solchen Urteilen Zäsurwirkung zu, auf die § 55 StGB Anwendung findet und mit deren Strafen eine Gesamtstrafe gebildet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 26.7.2007 – 4 StR 204/07 - StraFo 2007, 424; BGH, Beschl. v. 7.5.2006 – 5 StR 58/06 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 17; Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 12). Dies ist etwa bei einer Verurteilung zu Jugendstrafe wegen der bei getrennter Aburteilung rechtlich ausgeschlossenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.1989 – 4 StR 445/89, BGHSt 36, 270) nicht der Fall (BGH, Beschl. v. 22.11.2016 - 4 StR 466/16 Rn. 3).
 




[ Erste unerledigte Vorverurteilung
]

50.1
Zäsurwirkung entfaltet gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten; das kann auch ein Berufungsurteil sein (vgl. BGHSt 4, 366; BGH, Beschl. v. 16.5.2002 - 3 StR 448/01; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 55 Rdn. 7). Zäsurwirkung entfaltet die erste unerledigte Vorverurteilung, so dass eine Gesamtstrafenbildung nur für die bis dahin begangenen Taten möglich ist (BGH, Beschl. v. 28.7.2006 - 2 StR 215/06 - NStZ 2007, 28, 29; BGH, Beschl. v. 8.6.2011 - 4 StR 249/11; zu den Anforderungen an die Entscheidungsgründe bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2011 - 4 StR 658/10; BGH, Beschl. v. 3.5.2011 - 3 StR 110/11). Für danach begangene Straftaten ist auf eine selbstständige Einzel- oder Gesamtstrafe zu erkennen (vgl. BGH Beschl. v. 7.12.1983 - 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193; BGH, Beschl. v. 28.11.1986 - 3 StR 499/86 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 1; BGH, Urt. v. 23.6.1988 - 4 StR 164/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 4; BGH, Urt. v. 12.2.1988 - 4 StR 606/87 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 6; BGH, Beschl. v. 14.11.2003 - 2 StR 394/03; BGH, Beschl. v. 10.8.2004 - 3 StR 209/04; BGH, Beschl. v. 28.7.2006 - 2 StR 215/06; vgl. auch BGH, Urt. v. 30.8.2006 - 2 StR 231/06 - wistra 2006, 460; BGH, Beschl. v. 27.9.2012 - 4 StR 329/12; BGH, Beschl. v. 22.11.2012 - 2 StR 419/12; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 15; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 55, Rdnr. 9 f.; siehe auch oben Rdn. 5.1 - "Rückprojektion"). Auch ein Berufungsurteil, das nur die Strafaussetzungsfrage betraf, gilt als frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschl. v. 16.6.2004 - 5 StR 211/04; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 55 Rdn. 5; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 55 Rdn. 5 f.).

Eine zweite Zäsur und die Möglichkeit zur Zusammenfassung zu einer weiteren Gesamtstrafe kommt nur für Einzelstrafen wegen Taten in Betracht, die nach der ersten und vor der zweiten Verurteilung begangen wurden (BGH, Beschl. v. 24.3.1988 – 1 StR 83/88 - BGHSt 35, 243, 245; BGH, Beschl. v. 3.2.2016 - 1 StR 646/15). Zweck des § 55 StGB ist es gerade, den Täter so zu stellen, als ob das Gericht bei der früheren Verurteilung von allen gesamtstrafenfähigen Taten gewusst und diese nach §§ 53, 54 StGB abgeurteilt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 10.5.1994 – 1 StR 142/94 - NStZ 1994, 482; BGH, Beschl. v. 3.2.2016 - 1 StR 646/15; Fischer, StGB, 63. Aufl., §  55 Rn. 2 mwN).

Ist die der zweiten Vorverurteilung zugrundeliegende Tat vor der ersten Vorverurteilung begangen worden, dann sind die den Vorverurteilungen zugrundeliegenden Taten gesamtstrafenfähig, da sie bei der ersten Vorverurteilung hätten abgeurteilt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 1.9.2011 - 5 StR 309/11; BGH, Beschl. v. 1.8.2012 - 4 StR 186/12; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 685; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 11).

Beispiel: Bei der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB ist für das mit der Gesamtstrafenbildung befasste Landgericht Bochum von einer Zäsurwirkung des Urteils des Amtsgerichts Recklinghausen vom 11. März 2010 auszugehen. Die in dem späteren Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 28. Juni 2010 abgeurteilte Tat wurde bereits am 18. November 2009 und damit vor der Zäsur durch das Urteil vom 11. März 2010 begangen. Die Geldstrafe aus dem Urteil vom 28. Juni 2010 ist daher mit in die Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 1.8.2012 - 4 StR 186/12).


Einer erledigten Verurteilung kommt in keinem Fall eine Zäsurwirkung zu (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.1987 – 1 StR 222/87 -, NJW 1988, 1801, 1802; BGH, Beschl. v. 17.8.2011 - 2 StR 296/11; BGH, Beschl. v. 26.6.2014 - 1 StR 166/14; Fischer, StGB 58. Aufl., § 55 Rn. 10). Dies gilt auch dann, wenn es fehlerhaft unterlassen worden ist, eine Strafe in eine solche Verurteilung einzubeziehen, und diese noch nicht erledigt ist (BGH, Beschl. v. 17.8.2011 - 2 StR 296/11).

Bei einem Strafbefehl ist für die Zäsurwirkung zwar regelmäßig der Zeitpunkt des Erlasses maßgeblich (BGHSt 33, 230; BGH, Beschl. v. 11.11.2008 - 5 StR 486/08 - NStZ-RR 2009, 74), dies gilt jedoch nicht, wenn nach Einspruchseinlegung durch Urteil entschieden wird (BGH, Beschl. v. 7.12.1990 - 2 StR 513/90 - BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 4; BGH, Beschl. v. 16.5.2002 - 3 StR 448/01; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 55 Rdn. 10). Denn dann ist der Tag der Urteilsverkündung als der letzte Tag der Hauptverhandlung, in dem die tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten, zugrunde zu legen (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB). Dies gilt auch dann, wenn infolge der Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch zur Straffrage verhandelt wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 9.8.2000 - 2 StR 286/00).


Der zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe berufene Richter muß sich jeweils auf den Standpunkt des Richters stellen, dessen Entscheidung als früheste noch nicht erledigt ist. Grundsätzlich sind alle Taten, die vor Erlaß dieser Entscheidung begangen wurden, gesamtstrafenfähig (BGH, Beschl. v. 21.12.1995 - 1 StR 697/95 - NStZ 1996, 225). Bei einer Vorverurteilung durch Strafbefehl ist eine Straftat nur dann im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB vor der früheren Verurteilung begangen worden, wenn sie in die Zeit vor Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter fällt (vgl. BGHSt 33, 230, 232; BGH, Beschl. v. 5.12.2006 - 4 StR 484/06). Lässt sich in der neuen Hauptverhandlung nicht klären, ob der Strafbefehl am Tattage bereits unterzeichnet war, als der Angeklagte die neuerliche Straftat beging, ist hiervon nach dem Zweifelsgrundsatz auszugehen und aus den verhängten Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden (vgl. BGH, Beschl. v. 5.12.2006 - 4 StR 484/06). Ein Urteil kann wegen vollständiger Vollstreckung keine Zäsurwirkung mehr entfalten (st. Rspr. vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 S. 1 Zäsurwirkung 2, 3, 5, 7; BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - 5 StR 388/07; vgl. auch BGH, Beschl. v. 7.3.2006 - 5 StR 58/06 für den Fall, dass die Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht einbeziehungsfähig ist, weil bereits in eine Jugendstrafe einbezogen). Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Angeklagte in diesem Fall weder besser noch schlechter gestellt werden sollte als bei gemeinsamer Verhandlung (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 23.6.1988 - 4 StR 169/88 - BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 14; BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13), muss das Tatgericht in diesen Fällen den dem Angeklagten konkret entstandenen Nachteil in den Blick nehmen. Ist diesem durch die zwischenzeitliche Vollstreckung der Vorverurteilung die andernfalls zwingend gesondert vorzunehmende Bildung einer Gesamtgeldstrafe und einer - wohl noch bewährungsfähigen - Gesamtfreiheitsstrafe entgangen, kann dieser Nachteil durch die Verhängung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB ausgeglichen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - 5 StR 388/07).

Gemäß § 54 Abs. 1  Satz 2, § 55 StGB ist daher für die Einzelstrafen für die vor dem die Zäsurwirkung auslösenden anderweitigen Urteil begangenen Taten unter Einbeziehung der Strafe aus diesem Urteil eine Gesamtstrafe und wegen weiterer (restlicher) Einzelstrafen für die nach der Vorverurteilung begangenen Taten eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 13.11.2007 - 4 StR 424/07). Die Addition der beiden Gesamtstrafen ergibt das (Mindest-)Gesamtstrafenübel (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2006 - 2 StR 311/06; BGH, Beschl. v. 18.2.2005 - 2 StR 460/04).

Die Zäsurwirkung entfällt nicht deshalb, weil das Tatgericht vor einer Zurückverweisung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB davon abgesehen hat, diese Strafe in die Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 32, 190; 44, 179, 184; BGH, Beschl. v. 16.4.1991 - 5 StR 156/91 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9; BGH, Beschl. v. 23.11.2000 - 3 StR 353/00 - NStZ-RR 2001, 103; BGH, Beschl. v. 17.12.2003 - 2 StR 331/03; BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - 4 StR 256/04; BGH, Beschl. v. 12.1.2005 - 2 StR 449/04; BGH, Beschl. v. 30.8.2007 - 4 StR 356/07 - NStZ 2008, 90; BGH, Beschl. v. 21.2.2008 - 4 StR 666/07).


Beispiel 1 nach BGH, Urt. v. 11.10.2006 - 2 StR 311/06 :
Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 6 Fällen in dem Zeitraum März 2004 bis Juli 2005. Für die ersten 4 Taten, die vor dem 5.10.2004 begangen wurden, werden Einzelstrafen von zweimal 2 Jahren und zweimal 1 Jahr 9 Monate verhängt. Für die danach begangenen Taten 5 und 6 werden Einzelstrafen von 1 Jahr 9 Monate bzw. 3 Jahren 9 Monate verhängt und aus diesen sechs Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe - ohne Einbeziehung einer Vorverurteilung - von fünf Jahren gebildet.

Es besteht eine Vorverurteilung durch ein Amtsgericht vom 5.10.2004 - Freiheitsstrafe von 4 Monaten - wegen Körperverletzung. 

Die Gesamtstrafe ist dabei in 3 Schritten zu bilden:
1. Einzelstrafen der ersten 4 Taten vor dem 5.10.2004 und Einzelstrafe der Vorverurteilung.
Höchste Einzelstrafe unter Einbeziehung und Berücksichtigung der Vorverurteilung (Einzelstrafe 4 Monate) und damit Einsatzstrafe beträgt 2 Jahre, welche mindestens um einen Monat erhöht werden muss. Es ergibt sich somit zwangsläufig mindestens eine Gesamtstrafe für den Komplex 1 von 2 Jahren und 1 Monat.
2.  Einzelstrafen der Taten 5 und 6 (Einsatzstrafe 3 Jahre 9 Monate), somit nach Erhöhung der Einsatzstrafe von mindestens 1 Monat ergibt sich für den Komplex 2 eine Mindestgesamtstrafe von 3 Jahren 10 Monaten.
3.  Die Addition beider Freiheitsstrafen zu 1. und 2. ergibt ein Mindeststrafübel 5 Jahren und 11 Monaten.

Die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB ist dann ausgeschlossen, wenn der Richter, der früher entschieden hat, eine Strafe, die in einer noch früheren Verurteilung ausgesprochen worden ist, in eine Gesamtstrafenbildung hätte einbeziehen können. In diesem Fall geht von der ersten Vorverurteilung eine Zäsurwirkung aus, die zur Folge hat, daß die Strafe aus der späteren Vorverurteilung und die Strafe, die im anhängigen Verfahren für eine Tat ausgesprochen wird, die zwischen den Vorverurteilungen begangen worden ist, nicht mehr Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein kann. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung im anhängigen Verfahren scheidet wegen der sog. Zäsurwirkung des ersten Urteils (vgl. Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe 1987 Rdn. 233) mithin nur dann aus, wenn die Taten aus der zweiten Verurteilung zeitlich vor der ersten Verurteilung begangen worden sind (BGHSt 32, 190 ff.; BGH, Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02). Dann gilt nach dem Grundgedanken des § 55 StGB, daß der Verurteilte so gestellt werden soll, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller vor dem zweiten Urteil begangenen Taten stünde (st. Rspr., vgl. BGHSt 7, 180; 181; 15, 66, 69; 32, 190, 193; BGH, Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02).

Ist eine neu abgeurteilte Tat zeitlich vor mehreren unerledigten Verurteilungen begangen worden, die untereinander nicht auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt werden können, ist eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB nur mit den Strafen aus der zeitlich ersten Verurteilung möglich (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193; BGH, Beschl. v. 5.7.2017 - 4 StR 102/17 Rn. 3; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 15).

Einer Vorverurteilung kommt dann keine Zäsurwirkung zu, wenn sämtliche in ihr abgeurteilten Taten schon in eine frühere Vorverurteilung einzubeziehen sind (BGH, Beschl. v. 20.9.2007 - 4 StR 431/07; BGH, Urt. v. 5.3.2009 - 4 StR 594/08 - NStZ-RR 2009, 172; vgl. auch Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 12).


Beispiel 2: nach BGH, Urt. v. 2.12.2004 - 3 StR 348/04:
Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im April 2003 und später. Verurteilung deswegen durch ein Landgericht im April 2004.
Es liegt ein Urteil eines Amtsgericht vom 19.5.2003 wegen einer Betrugstat vor. In dem Urteil vom 19.5.2003 wird nach § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen unter Einbeziehung einer Vorverurteilung vom 31.3.2003 gebildet.
Es stellt sich hierbei die Frage, ob die Betrugstat aus dem Urteil vom 19.5.2003 in die Strafenbildung des Landgerichts einfließen muss.
Wegen der Maßgeblichkeit der jeweils frühesten Vorverurteilung begründet das Urteil v. 31.3.2003 eine Zäsur. Die im April 2003 und später verübten (Betäubungsmittelstraftaten) sind erst nach dieser Zäsur begangen worden, so dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der vom Amtsgericht am 19.5.2003 verhängten Freiheitsstrafe nicht in Betracht kommt (vgl. BGHSt 32, 190, 193; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 55 Rdn. 15).
Der Schlüssel zu diesem nur scheinbar komplizierten Ergebnis ergibt sich aus der Anwendung von § 55 StGB durch das Amtsgericht, wonach im vorliegenden Fall eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung in dem Urteil vom 19.5.2003 nur mit einer Tat erfolgen konnte, die vor dem 31.3.2003 begangen wurde.

Liegen die abzuurteilenden Taten zwischen zwei Verurteilungen, aus denen eine Gesamtstrafe zu bilden war, kommt eine Gesamtstrafenbildung aus der Strafe für die abzuurteilenden Taten mit der Strafe aus der letzten Vorverurteilung nicht in Betracht (vgl. BGHSt 32, 190, 193; BGH NStZ 2003, 200; BGH, Beschl. v. 9.11.2004 - 4 StR 426/04 - wistra 2005, 187). Ist dies jedoch nur zum Teil der Fall, weil die im zweiten ausgeurteilten Taten  zeitlich zum Teil nach der ersten Vorverurteilung liegen, werden die für diese Taten verhängten Einzelstrafen von der Zäsurwirkung des ersten Urteils nicht erfaßt und können noch Gegenstand einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im anhängigen Verfahren sein (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02).


Liegen die neu abzuurteilenden Taten zwischen mehreren nach § 460 StPO auf eine Gesamtstrafe zurückzuführenden Verurteilungen, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden; denn bereits die erste, mit den neuen Taten nicht gesamtstrafenfähige Vorverurteilung bildet eine Zäsur (BGH NStZ-RR 2007, 369; BGH, Beschl. v. 21.7.2009 - 5 StR 269/09).

Durch eine fehlerhafte Einbeziehung von zugrundeliegenden Einzelstrafen kann der Angeklagte etwa deshalb beschwert sein, weil er damit den Vorteil der bei der  - fehlerhaft einbezogenen -  Gesamtfreiheitsstrafe ausgesprochenen Strafaussetzung zur Bewährung verliert, die für die neu gebildete Gesamtfreiheitsstrafe ihrer Höhe wegen ausscheiden muss (vgl. BGH, Beschl. v. 5.7.1990 - 1 StR 273/90; ferner BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9; BGH, Beschl. v. 25.3.2003 - 5 StR 90/03).

An einer Beschwer des Angeklagten durch die unterlassene Prüfung des Landgerichts, ob eine (oder mehrere) der Einzelfreiheitsstrafen, die es für die früheren durch den Angeklagten begangenen Taten festgesetzt hat, mit der gegen diesen durch das zäsurbildende Urteil des Amtsgerichts ausgesprochenen Geldstrafe gesamtstrafenfähig ist oder war, kann es fehlen, wenn das Landgericht auf zwei Gesamtstrafen hätte erkennen müssen und das Revisionsgericht ausschließen kann, dass das Landgericht diese beiden Gesamtstrafen in der Summe niedriger bemessen hätte als die von ihm ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe oder die Vollstreckung einer oder beider Gesamtstrafen zur Bewährung ausgesetzt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2012 - 3 StR 66/12). Aus diesem Grund war auch kein Härteausgleich für den Fall veranlasst, dass die Geldstrafe im Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils bereits erledigt gewesen sein sollte und deswegen für eine Gesamtstrafenbildung nicht mehr herangezogen werden konnte; daher ist der Angeklagte auch durch die Nichterörterung eines derartigen Ausgleichs nicht benachteiligt (vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2012 - 3 StR 66/12).

Nicht dem erstinstanzlichen, sondern dem Berufungsurteil ist Zäsurwirkung beizumessen, wenn im Berufungsverfahren die tatsächlichen Feststellungen geprüft wurden (§ 55 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. auch BGH, Beschl. v. 22.10.2001 - 5 StR 439/01 - wistra 2002, 57). Hinsichtlich der Straftaten, die den vom Tatgericht einbezogenen Einzelstrafen zugrunde liegen, kann auch einem Berufungsverfahren die Zäsurwirkung zukommen, etwa, wenn sämtliche Taten vor Verkündung des Berufungsurteils begangen worden waren und dem Berufungsgericht die Bildung einer Gesamtstrafe auch möglich gewesen wäre, da es eine Sachentscheidung zur Straffrage getroffen hat (vgl. hierzu Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 55 Rdn. 5). Das Berufungsurteil bildet demnach eine Zäsur mit der Folge, dass für die danach begangenen verfahrensgegenständlichen Taten eine gesonderte Einzelstrafe bzw. eine weitere Gesamtstrafe zu verhängen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 23.9.2003 - 3 StR 294/03).
  
Die Möglichkeit, auf Geldstrafe gesondert zu erkennen, ist kein Grund, die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden Vorverurteilung zu verneinen (BGHSt 32, 190, 194; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9; BGH, Beschl. v. 27.6.2007 - 2 StR 4/07 - NStZ 2008, 41). Einem noch nicht erledigten Strafbefehl kommt auch dann eine Zäsurwirkung zu, wenn die verhängte Geldstrafe in Anwendung von § 53 Satz 2 StGB gesondert bestehen bleiben soll (BGH, Beschl. v. 12.3.2014 - 4 StR 4/14; BGH, Beschl. v. 18.12.2013 – 4 StR 501/13, Rn. 5; BGH, Beschl. v. 10.1.2012  – 3 StR 370/11 - NStZ-RR 2012, 170; BGH, Beschl. v. 12.11.2003  – 2 StR 294/03, Rn. 6 - insoweit in NStZ 2004, 329 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 184; BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 194). Ein früheres Urteil behält auch dann seine Zäsurwirkung, wenn später eine Entscheidung gemäß § 460 StPO ergangen ist und hierbei eine gesonderte Geldstrafe (§ 53 Abs. 2 S. 2 StGB) bestehen blieb (vgl. BGH, Beschl. v. 25.10.2001 - 3 StR 376/01).

Der Angeklagte kann durch die fehlerhafte Bildung von nur einer Gesamtfreiheitsstrafe statt von zwei Gesamtfreiheitsstrafen etwa dadurch beschwert sein, wenn deren denkbare Höhen - anders als bei der verhängten Gesamtstrafe - noch eine Strafaussetzung zur Bewährung ermöglicht hätten (vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2002 - 2 StR 216/02).

Sind mehrere Verurteilungen vorhanden, deren Strafen einzubeziehen sind, können diese untereinander gesamtstrafenfähig sein (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2007 - 5 StR 42/07).

Eine rechtskräftig verhängte Geldstrafe kann gemäß § 55 StGB in eine Verwarnung mit Strafvorbehalt einbezogen werden (BGH, Urt. v. 7.2.2001 - 5 StR 474/00 - BGHSt 46, 279 - StV 2001, 684).

Es kommt nur solchen Urteilen Zäsurwirkung zu, auf die § 55 StGB Anwendung findet und mit deren Strafen eine Gesamtstrafe gebildet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 26.7.2007 – 4 StR 204/07 - StraFo 2007, 424; BGH, Beschl. v. 7.5.2006 – 5 StR 58/06 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 17; Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 12). Dies ist bei einer Verurteilung zu Jugendstrafe wegen der bei getrennter Aburteilung rechtlich ausgeschlossenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 445/89, BGHSt 36, 270) nicht der Fall (vgl. BGH, Beschl. v. 22.11.2016 - 4 StR 466/16 Rn. 3).


siehe zur getrennten Aburteilung: Rn. 95 - Jugendstrafe und Freiheitsstrafe des allgemeinen Rechts 




- Zwischen zwei Vorverurteilungen begangene Taten

50.1.3
Wenn die zur Aburteilung anstehenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen wurden, aus denen aber eine Gesamtstrafe gebildet werden müsste, weil die Taten der zeitlich späteren Vorverurteilung vor der zeitlich früheren begangen wurden, scheidet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Gesamtstrafenbildung aus den Strafen für die neu abzuurteilenden Taten mit den Strafen aus den Vorverurteilungen aus (BGHSt 32, 190, 193; BGH NStZ 2003, 200, BGH, Beschl. v. 12.3.2013 - 2 StR 594/12; Rissing-van Saan in LK StGB 12. Auflage § 55 Rn. 15; Fischer StGB 59. Auflage § 55 Rn. 12).

Beispiel: Die Tat aus der nicht erledigten (späteren) Vorverurteilung vom 27. Juni 2012 (Tatzeit: 1. Januar 2007 bis 20. Januar 2007) lag zeitlich vor der ersten nicht erledigten Vorverurteilung vom 27. Oktober 2011, weshalb nur insoweit eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt. Dies führt dazu, dass die erste nicht erledigte Vorverurteilung vom 27. Oktober 2011 eine Zäsurwirkung entfaltet. Eine Gesamtstrafenbildung aus der Strafe für die hier neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der späteren, nicht erledigten Vorverurteilung kommt damit nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 12.3.2013 - 2 StR 594/12).

Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (BGH, Beschl. v. 18.12.2013 – 4 StR 356/13 - NStZ-RR 2014, 74; BGH, Beschl. v. 8.6.2016 - 4 StR 73/16 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 11.5.2017 - 4 StR 68/17 Rn. 3). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur in Fällen, in denen eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 17.11.2015 – 4 StR 276/15 - StraFo 2016, 82; BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - 4 StR 356/13; BGH, Beschl. v. 7.5.2013 – 4 StR 111/13 - wistra 2013, 354; BGH, Urt. v. 12.8.1998  – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 180 f.; BGH, Beschl. v. 22.7.1997  – 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - 4 StR 356/13; BGH, Beschl. v. 21.7.2009 – 5 StR 269/09; BGH, Beschl. v. 17.7.2007 – 4 StR 266/07 - NStZ-RR 2007, 369; BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193), sondern auch dann, wenn nach § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 15.9.2010 – 5 StR 325/10 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 19; BGH, Beschl. v. 10.7.2007  – 3 StR 232/07; BGH, Beschl. v. 3.11.1999 – 3 StR 346/99; BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - 4 StR 356/13). Durch eine Entscheidung nach § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB wird eine gegebene Gesamtstrafenlage nicht beseitigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 10.1.2012 – 3 StR 370/11 - NStZ-RR 2012, 170; BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 184; BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - 4 StR 356/13).

Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die ihrerseits nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt in Fällen, in denen die Taten bereits in einem früheren Urteil hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 - 2 StR 204/16 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 8.6.2016 – 4 StR 73/16 - NStZ-RR 2016, 275, 276; BGH, Beschl. v. 21.7.2009 – 5 StR 269/09; vgl. auch BGH, Beschl. v. 7.12.1983 – 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 192 f.; BGH, Beschl. v. 17.7.2007 – 4 StR 266/07 - NStZ-RR 2007, 369, 370; BGH, Beschl. v. 21.7.2009 – 5 StR 269/09; 
BGH, Urt. v. 17.5.2017 - 2 StR 342/16 20; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 15; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 55 Rn. 12; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, Rn. 233). Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet worden ist oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 - 2 StR 204/16 Rn. 3). 




- Gesamtstrafenrechtlich verbrauchte Urteile

50.1.5
Liegen die abzuurteilenden Taten zeitlich teilweise zwischen zwei Vorverurteilungen und teilweise nach der letzten Vorverurteilung, wobei allerdings die Taten, die Gegenstand der letzten Vorverurteilung waren, sämtlich vor der früheren, insoweit ersten begangen wurden, entfaltet nur die erste Vorverurteilung eine Zäsurwirkung. Die zweite ist hierzu nicht geeignet, da sie keine Einzelstrafen enthält, mit denen nunmehr eine Gesamtstrafe gebildet werden könnte (vgl. BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 180 f.; BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13 - NStZ 1998, 35; BGH, Beschl. v. 1.8.2012 - 5 StR 154/12; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rdn. 233; vgl. auch BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 1 und Hinweis in BGH, Beschl. v. 21.12.1995 - 1 StR 697/95). Der Sache nach ist vielmehr die zweite auf § 55 Abs. 1 StGB beruhende Vorverurteilung quasi als in die erste "zurückprojeziert" zu begreifen (Bringewat aaO). Dies hat zur Folge, daß die zwischen den beiden Vorverurteilungen begangenen Straftaten gesamtstrafenrechtlich dann so zu betrachten sind, als ob sie nach der (aus der ersten und zweiten Vorverurteilung gewissermaßen zusammengesetzten) ersten und einzigen Vorverurteilung begangen wären (vgl. BGH, Urt. v. 12.8.1998 - 3 StR 537/97; BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13 - NStZ 1998, 35).

Beispiel: Das Urteil vom 12. Januar 1994 ist gesamtstrafenrechtlich verbraucht, weil aus den beiden ihm zugrunde liegenden Einzelstrafen und den im vorausgegangenen Urteil vom 7. Juni 1993 festgesetzten Einzelstrafen zu Recht gemäß § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet worden war. Da nach dem zeitlichen Ablauf alle vier diesen beiden Urteilen zugrunde liegenden Straftaten durch das Urteil vom 7. Juni 1993 hätten geahndet werden können, hat das Urteil vom 12. Januar 1994 gesamtstrafenrechtlich gesehen keine eigenständige Bedeutung. Es wäre nämlich nicht ergangen, wenn alle vier Taten am 7. Juni 1993 abgeurteilt worden wären. Deshalb ist das Urteil vom 12. Januar 1994 als auf das Urteil vom 7. Juni 1993 "zurückprojiziert"' zu behandeln, so daß es keine weitere Zäsur bilden kann (vgl. BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179, 180 f.; BGH, Beschl. v. 22.7.1997 - 1 StR 340/97 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13 - NStZ 1998, 35; BGH, Beschl. v. 1.8.2012 - 5 StR 154/12; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, Rdn. 233; Greib, JuS 1994, 690 f.; vgl. auch BGHR StGB 55 Abs. 1 Zäsurwirkung 1; BGH, Beschl. v. 21.12.1995 - 1 StR 697/95; BGH, Beschl. v. 28.8.1984 - 4 StR 503/84). 




Entscheidungshinweise

55
Zur Gesamtstrafenbildung siehe auch: BGH, Beschl. v. 19.6.2002 - 4 StR 141/02; BGH, Beschl. v. 17.1.2006 - 4 StR 493/05; BGH, Beschl. v. 10.7.2007 - 3 StR 232/07; BGH, Beschl. v. 26.7.2007 - 4 StR 204/07; BGH, Beschl. v. 17.7.2007 - 4 StR 266/07; BGH, Urt. v. 1.9.2005 - 4 StR 331/05; BGH, Beschl. v. 31.5.2005 - 5 StR 85/05; BGH, Beschl. v. 19.1.2005 - 4 StR 223/04; BGH, Beschl. v. 20.11.2007 - 4 StR 529/07; BGH, Urt. v. 2.12.2004 - 3 StR 348/04; BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - 5 StR 161/04; BGH, Beschl. v. 26.3.2003 - 1 StR 79/03; BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - 3 StR 42/03; BGH, Beschl. v. 15.11.2000 - 3 StR 452/00; BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - 2 StR 170/04; BGH, Beschl. v. 28.1.2003 - 5 StR 589/02; BGH, Beschl. v. 5.9.2008 - 5 StR 358/08BGH, Beschl. v. 7.5.2003 - 5 StR 193/03; BGH, Beschl. v. 21.3.2003 - 2 StR 53/03 mehrere Gesamtstrafen: BGH, Beschl. v. 16.4.2003 - 2 StR 85/03; BGH, Beschl. v. 25.6.2008 - 5 StR 273/08; BGH, Beschl. v. 18.7.2008 - 2 StR 298/08; BGH, Beschl. v. 6.5.2009 - 5 StR 143/09; BGH, Beschl. v. 28.5.2009 - 5 StR 114/09; BGH, Beschl. v. 9.12.2009 - 2 StR 468/09; BGH, Beschl. v. 1.9.2016 - 4 StR 341/16; zum "Gesamtstrafübel" ferner: mehrere Zäsuren und mehrere Gesamtstrafen: BGH, Beschl. v. 17.7.2000 - 5 StR 280/00; Nachträglicher Wegfall der zur Gesamtstrafenbildung Bildung herangezogenen Einzelstrafen durch das Revisionsgericht: BGH, Beschl. v. 2.10.2012 - 3 StR 317/12 




Härteausgleich

60
Der Härteausgleich soll die durch die getrennte Aburteilung entstandenen Nachteile ausgleichen (vgl. BGH, Urt. v. 12.8.1998 – 3 StR 537/97 -  BGHSt 44, 179, 185 f.; BGH, Beschl. v. 17.8.2011 - 5 StR 301/11). Ziel des Härteausgleichs muss deshalb sein, den Angeklagten so zu stellen, wie er bei einer Gesamtstrafenbildung gestanden hätte. Die hierfür maßgeblichen Umstände zu gewichten und die hiernach angemessene Strafe zu bestimmen, obliegt grundsätzlich dem Tatgericht. Das Revisionsgericht greift – ebenso wie bei der Kontrolle der Gesamtstrafenbildung – nur dann ein, wenn der Umfang des Härteausgleichs nicht mehr ausreichend begründet wurde (BGHSt aaO; BGH, Beschl. v. 17.8.2011 - 5 StR 301/11; vgl. auch BGH, Beschl. v. 2.9.1997 – 1 StR 317/97 - NStZ 1998, 134).

Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGH, Urt. v. 29.7.1982 - 4 StR 75/82 - BGHSt 31, 102, 103; BGH, Urt. v. 23.1.1985 - 1 StR 645/84 - BGHSt 33, 131, 132; BGH, Urt. v. 23.6.1988 - 4 StR 169/88 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 1; BGH, Urt. v. 15.9.1988 - 4 StR 397/88 - BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15; BGH, Urt. v.  2.5.1990 - 3 StR 59/89 - NStZ 1990, 436; BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 311; BGH, Urt. v. 30.4.1997 - 1 StR 105/97 - BGHSt 43, 79, 80; BGH, Beschl. v. 8.10.2003 - 2 StR 328/03 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 13; BGH, Beschl. v. 16.9.2008 - 5 StR 408/08 - NStZ-RR 2008, 370; BGH, Beschl. v. 10.3.2009 - 5 StR 73/09 - StV 2010, 240; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868). Die Tatsache, dass § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB in diesen Fällen eine Gesamtstrafenbildung ausdrücklich ausschließt, ändert nichts an der dem Prinzip der nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu Grunde liegenden Forderung nach einem Ausgleich der sich durch getrennte Aburteilung ergebenden Nachteile. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Zäsurwirkung einer früheren Strafe die Bildung einer Gesamtstrafe verhindert (BGH, Beschl. v. 7.12.1983 - 1 StR 148/83 - BGHSt 32, 190, 193; BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 312; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 386/08 - NStZ 2010, 30).
 




[ Zu hohes Gesamtstrafübel bei mehreren Gesamtstrafen
]

60.1
Zur Vermeidung von Doppelbestrafungen dürfen Strafen in eine Gesamtstrafe nicht mehr einbezogen werden, wenn sie bereits zur Bildung einer anderen noch nicht rechtskräftigen Gesamtstrafe gedient haben; sie sind vielmehr verfahrensmäßig so zu behandeln, als wären sie noch nicht rechtskräftig (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.1965 - 2 StR 387/65 - BGHSt 20, 292 ff.; BGH, Urt. v. 23.1.2003 - 4 StR 412/02 auch betr. § 31 JGG; vgl. auch BGH, Urt. v. 13.4.1956 - 2 StR 93/56 - BGHSt 9, 190, 192; 44, 1 ff.; BGH, Beschl. v. 7.11.2002 - 5 StR 401/02 - wistra 2003, 97; Tröndle/Fischer aaO § 55 Rdn. 35).

 
siehe auch:  Mehrere Straftaten eines Jugendlichen, § 31 JGG   

Nötigt die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen, muss das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil in Folge eines zu hohen Gesamtstrafübels ausgleichen (vgl. BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 313; BGH, Urt. v. 9.9.1997 - 1 StR 279/97 - BGHSt 43, 216, 217; BGH, Urt. v. 12.8.1998 - 3 StR 537/ 97 - BGHSt 44, 179, 185 f.; BGH, Beschl. v. 14.11.1995 - 4 StR 639/95 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 11; BGH, Beschl. v. 8.2.2000 - 4 StR 488/99; BGH, Beschl. v. 21.8.2002 - 5 StR 342/02; BGH, Beschl. v. 24.7.2007 - 4 StR 237/07; BGH, Beschl. v. 17.4.2008 - 4 StR 118/08; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Beschl. v. 7.4.2009 - 4 StR 663/08 - wistra 2009, 272; BGH, Beschl. v. 22.7.2009 - 5 StR 243/09 - NStZ-RR 2009, 367; BGH, Beschl. v. 9.8.2011 - 4 StR 367/11; BGH, Urt. v. 12.2.2015 - 4 StR 408/14; BGH, Urt. v. 20.7.2016 - 2 StR 18/16 Rn. 19). Es muss also darlegen, dass es sich dieser Sachlage bewusst gewesen ist und erkennen lassen, dass es das Gesamtmaß der Strafen für schuldangemessen gehalten hat (vgl. BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 312 f., BGH, Beschl. v. 14.11.1995 – 4 StR 639/95 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 11; BGH, Beschl. v. 30.1.1996 – 1 StR 624/95; BGH, Beschl. v. 17.4.2008 – 4 StR 118/08 - NStZ-RR 2008, 234; BGH, Urt. v. 12.2.2015 - 4 StR 408/14 Rn. 7; BGH, Urt. v. 20.7.2016 - 2 StR 18/16 Rn. 19).

Beispiel: Das Tatgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Raubes in zwei Fällen, schwerer Brandstiftung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat zwar nicht verkannt, dass wegen vollständiger Verbüßung einer im Jahr 2009 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten ein Härteausgleich zu gewähren ist. Der von ihm vorgenommene Härteausgleich von einem Jahr Freiheitsstrafe wird jedoch dem Ziel des Härteausgleichs, den Angeklagten so zu stellen, wie er bei einer Gesamtstrafenbildung gestanden hätte, schon mit Blick auf das – von der Strafkammer nicht erkennbar bedachte (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19, Rn. 12 ff. mwN) – gesamte Strafübel von zehn Jahren und drei Monaten wegen Taten, die lange zurückliegen und ohne das umfassende Geständnis des Angeklagten nicht hätten aufgeklärt werden können, nicht mehr gerecht. Auch der Umstand, dass die genannte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten erst wenige Wochen vor Durchführung der Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren erledigt worden ist und damit die Möglichkeit der Gesamtstrafbildung verhindert hat, drängt zur Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (BGH, Beschl. v. 25.6.2013 - 5 StR 266/13: Durchentscheidung auf Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren; vgl. auch BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 478/09 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18).


Eine Auseinandersetzung mit dem Gesamtstrafübel ist insbesondere dann erforderlich, wenn die durch die Zäsurwirkung erzwungene Bildung von mehreren Strafen statt einer Gesamtstrafe zu einer in ihrer Summe außergewöhnlich hohen Strafe führt (vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.1999 - 3 StR 309/99 - NStZ 2000, 137; BGH, Urt. v. 5.12.2001 - 2 StR 273/01 - NStZ 2002, 196 f.; BGH, Beschl. v. 20.8.2008 - 5 StR 350/08 - wistra 2008, 476). Bei derartigen Fallgestaltungen hat der Tatrichter in den Urteilsgründen darzulegen, daß er sich seiner Verpflichtung bewußt ist, ein zu hohes Gesamtstrafübel ausgleichen zu müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 9.11.1995 – 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 312f.; BGH, Beschl. v. 8.2.2000 - 4 StR 488/99BGH, Urt. v. 5.12.2001 - 2 StR 273/01 - NStZ 2002, 196 f.; BGH, Beschl. v. 9.8.2011 - 4 StR 367/11; SSW-StGB/Eschelbach § 55 Rn. 21).

Allein der Umstand, dass die Zäsurwirkung eine dem Angeklagten noch günstigere Gesamtstrafenbildung verhindert hat, begründet keinen auszugleichenden Nachteil. Dieser wäre erst dann gegeben, wenn die Summe der tatsächlich verhängten Strafen für die begangenen Taten nicht mehr als schuldangemessen angesehen werden könnte. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Angeklagte die zweite Tat trotz der die Zäsur bewirkenden Verurteilung begangen hat (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2001 - 2 StR 273/01 - NStZ 2002, 196 f.; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08).

Aber selbst wenn die neuen Taten grundsätzlich nicht gesamtstrafenfähig sind, hat der Tatrichter noch nicht (vollständig) verbüßte oder zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Auch in solchen Fällen entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass - schon mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Täters zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB) - das Gesamtstrafübel und der zu erwartende Bewährungswiderruf bei Festsetzung der neuen Strafe im Auge behalten werden müssen. Auch in diesen Fällen ist daher gegebenenfalls die - ohne die frühere Verurteilung an sich schuldangemessene - neue Strafe entsprechend herabzusetzen, um ein übermäßiges Gesamtstrafübel zu vermeiden (BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310, 313 f.; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; vgl. auch BGH, Beschl. v. 20.9.2016 - 1 StR 347/16).

 
siehe auch: Grundsätze der Strafzumessung, § 46 StGB

Eine nachträglich gebildete Gesamtfreiheitsstrafe darf nicht höher sein als die Summe aus der alten Gesamtfreiheitsstrafe und der hinzukommenden Einzelstrafe (vgl. BGH, Urt. v. 31.8.1960 – 2 StR 406/60 - BGHSt 15, 164, 166; BGH, Beschl. v. 12.10.2004 – 4 StR 304/04 - NStZ 2005, 210; BGH, Beschl. v. 12.2.2014 - 1 StR 601/13).
   




[ Härteausgleich bei vollstreckten Strafen
]

60.2
Der BGH hat mehrfach entschieden (BGHSt 31, 102, 103; BGHSt 33, 131, 132), dass dann, wenn eine frühere Strafe, weil sie bereits vollstreckt ist und nicht mehr zur Gesamtstrafenbildung herangezogen werden kann, die darin liegende Härte bei der Bemessung der neu zu verhängenden Strafe auszugleichen ist. Daß ein angemessener Härteausgleich vorgenommen worden ist, muß aus den Urteilsgründen zu entnehmen sein (vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310; BGH, Beschl. v. 22.2.2001 - 4 StR 25/01 - NStZ-RR 2001, 298; BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - 5 StR 473/02; BGH, Beschl. v. 22.11.2006 - 2 StR 433/06; BGH, Beschl. v. 6.3.2008 - 5 StR 622/07; BGH, Beschl. v. 1.12.2009 - 3 StR 478/09; vgl. auch BGH, Beschl. v. 17.9.2008 - 5 StR 397/08 - NStZ-RR 2009, 45; BGH, Beschl. v. 14.10.2015 - 5 StR 345/15; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13.8.2013 - 2 StR 108/13 Rn. 7; BGH Beschl. v. 17.8.2011 – 5 StR 322/11; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1242). In der Entscheidung darf diese Frage nicht dahingestellt bleiben (vgl. BGH, Beschl. v. 4.10.2007 - 2 StR 253/07). Ist eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden, ist ein Härteausgleich wegen der nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung wie bei einer vollstreckten Freiheitsstrafe zu gewähren, denn es steht fest, daß der Angeklagte durch die Verbüßung einen Nachteil erlitten hat (vgl. BGH, Beschl. v. 30.1.2001 - 4 StR 587/00 betr. in Unterbrechung der U-Haft vollständig verbüßte Ersatzfreiheitsstrafe; BGH, Beschl. v. 1.8.2003 - 2 StR 250/03; vgl. auch BGH, Beschl. v. 28.10.2008 - 5 StR 498/08 - NStZ-RR 2009, 43; vgl. auch BGH, Beschl. v. 3.6.2015 - 4 StR 176/15). Dem steht die Erwägung nicht entgegen, daß bei einer gemeinsamen Aburteilung aller Taten möglicherweise neben der Freiheitsstrafe gesondert auf Geldstrafe hätte erkannt werden können (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 3). Ist die Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt worden, besteht diese Möglichkeit nicht mehr; eine Gesamtstrafe kann nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nur aus nicht vollstreckten Strafen gebildet werden. Deshalb ist auch eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe im Wege eines Härteausgleichs bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, wobei es dem Tatrichter überlassen bleibt, wie er den Härteausgleich vornimmt (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 1; BGH, Urt. v. 15.9.2004 - 2 StR 242/04; vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.2.2015 - 4 StR 418/14 betr. teilweise nach § 43 StGB, § 459e StPO vollstreckter Geldstrafe). 

Beispiel: Der Angeklagte war nach Begehung der Tat durch Urteil des Amtsgerichts X (vom ...) zu einer Freiheitsstrafe (von ...) verurteilt worden, die er bis zum Urteil in der nunmehr zu entscheidenden Sache vollständig verbüßt hatte. Da danach eine Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht mehr möglich ist, muss das Gericht einen Härteausgleich vornehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2003 - 2 StR 286/03).

Beispiel: Das Landgericht hat die entgangene Gesamtstrafenbildung wegen der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus einer Vorverurteilung dadurch ausgeglichen, dass es zunächst eine fiktive Gesamtstrafe gebildet und sodann von dieser die schon vollstreckte Strafe abgezogen hat. Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. BGH, Urt. v. 3.9.2014 - 1 StR 145/14; hierzu auch BGH, Urt. v. 29.7.1982 – 4 StR 75/82 - BGHSt 31, 102, 103; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868).

Ein Härteausgleich setzt voraus, dass eine an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafe gegeben ist, die zum Zeitpunkt der neuen Verurteilung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht (mehr) einzubeziehen ist (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 21). Die verhängte Freiheitsstrafe ist etwa nicht gesamtstrafenfähig; wenn sie vor Begehung der zeitlich frühesten der gegenständlichen Straftaten verhängt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 60/08 - NStZ 2008, 471).


Ein Härteausgleich kommt indes nur dann in Betracht, wenn in der Erledigung der früheren Strafe tatsächlich eine Härte für den Angeklagten zu sehen ist. Für ihn ist kein Raum, wenn der Angeklagte durch die Erledigung der an sich gesamtstrafenfähigen Strafe nicht benachteiligt wird (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.2002 - 3 StR 118/02).

Einen zugunsten des Angeklagten vorgenommenen Härteausgleich wegen einer einbeziehungsfähigen, aber bereits durch Bezahlung vollstreckten Geldstrafe hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft erachtet, weil eine ausgleichspflichtige Härte für den Angeklagten hier – anders als bei Vollstreckung einer Geldstrafe durch Ersatzfreiheitsstrafe – nicht entstehen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2010 - 1 StR 275/10 - wistra 2011, 186; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 21 f. mwN). Ein Härteausgleich ist nicht veranlasst, wenn eine Geldstrafe wegen vollständiger Bezahlung nicht mehr in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.2003 - 2 StR 328/03- BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 13; BGH, Beschl. v. 24.2.2011 - 4 StR 488/10; BGH, Urt. v. 8.3.2012 - 4 StR 629/11; vgl. auch BGH, Urt. v. 14.3.2012 - 2 StR 547/11; BGH, Urt. v. 14.3.2012 - 2 StR 561/11; BGH, Urt. v. 9.7.2014 - 2 StR 574/13; Fischer, StGB, 61. Aufl. § 55 Rdn. 21a; vgl. aber BGH, Beschl. v. 11.2.2016 - 2 StR 397/15). Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Wäre die Geldstrafe noch nicht vollstreckt gewesen, so hätten für den Tatrichter zwei Möglichkeiten bestanden:
1. Er hätte die Geldstrafe gesondert neben der verhängten Freiheitsstrafe bestehen lassen können (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Es bedarf keiner Darlegung, dass es keine Härte darstellt, dass diese Möglichkeit nicht mehr bestand (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2013 - 1 StR 387/13).
2. Andernfalls hätte die nachträgliche Einbeziehung der Geldstrafe in die Freiheitsstrafe diese erhöht, § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB und § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB. Eine Freiheitsstrafe ist jedoch gegenüber einer Geldstrafe das schwerere Strafübel. Es ist regelmäßig keine Härte, wenn deshalb, weil eine Geldstrafe bereits vollstreckt ist, eine Freiheitsstrafe nicht erhöht wird (vgl. BGH, Urt. v. 2.5.1990 - 3 StR 59/89; BGH, Urt. v. 5.11.2013 - 1 StR 387/13). Anderes gilt nur dann, wenn die Geldstrafe durch Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wurde (BGH aaO; BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 4 StR 587/00; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 27 mwN).

Ein Härteausgleich im Blick auf Nachverurteilungen, deren Strafen vollstreckt sind, kommt nicht in Betracht, wenn die erste mit dieser Sache, nicht aber mit den Folgeverurteilungen gesamtstrafenfähige Bestrafung durch Vollstreckungsverjährung erledigt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt - NJW 2010, 1157; BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 418/09).
   
Zur Beachtung der Höchstgrenze des § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB beim Härteausgleich siehe 
  § 54 Rdn. 70 - Höchstmaß zeitiger Gesamtfreiheitsstrafen; Zur Einbeziehung einer teilweise vollstreckten Gesamtstrafe siehe:  § 54 StGB Rdn. 75
 
Die Strafe ist weder vollständig vollstreckt noch verjährt oder erlassen, wenn die Restfreiheitsstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt war (vgl. BGH, Urt. v. 11.8.2016 - 1 StR 196/16 Rn. 26). Auch die Aussetzung des Restes einer teilweise vollstreckten Freiheitsstrafe zur Bewährung schafft kein berechtigtes Vertrauen in die Erwartung, dass nun eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB mit vor der zugrunde liegenden Verurteilung begangenen Taten nicht mehr erfolgen wird. Vielmehr ist der Umstand, dass sich der Täter nach Teilverbüßung der Strafe und Entlassung aus der Haft erneut dem Strafvollzug stellen muss, bei der Zumessung der nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 11.8.2016 - 1 StR 196/16 Rn. 19 "unerwünschter Drehtüreffekt").
 




- Härteausgleich bei lebenslanger Freiheitsstrafe

60.2.1
Leitsatz  Bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ist ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Wege der Vollstreckungslösung zu gewähren (BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - Ls. - StV 2010, 244 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).

In Abkehr von früherer Rechtsprechung (BGH NStZ 1999, 579, 580 f.; BGH Urt. v. 14.3.1990 - 3 StR 109/89) für erwägenswert hat der Bundesgerichtshof  grundsätzlich einen Härteausgleich im Wege der Vollstreckungslösung auch bei der lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl. BGH, Beschl. v. 17.1.2008 - GSSt 1/07 - BGHSt 52, 124 - NJW 2008, 860, 863 - wistra 2008, 137 ff.; BGHSt 52, 48, 56 f.) im Blick auf erledigte und daher nicht nach § 55 StGB einbeziehungsfähige spätere Bestrafungen des Angeklagten gehalten (vgl. BGH, Beschl. v. 23.7.2008 - 5 StR 293/08). Diese Vollstreckungslösung hat der Bundesgerichtshof in BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 (NJW 2010, 1157) angewandt und bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Angeklagten die in Unterbrechung der Untersuchungshaft vollstreckten und aus diesem Grunde nicht mehr gesamtstrafenfähigen 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe im Wege des Härteausgleichs auf die MIndestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe angerechnet. Der zu gewährende Härteausgleich ist insoweit durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungszeit (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) unter doppelt analoger Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 - NJW 2010, 1157: insoweit offen gelassen, ob eine Verpflichtung zum Härteausgleich - und in Vollanrechnung - bei anderen Sachverhaltskonstellationen besteht, die nicht im Verantwortungsbereich der Justiz anzusiedeln sind; BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - StV 2010, 244).

Ein Härteausgleich kommt insoweit im Blick auf die erledigte und daher nicht nach § 55 StGB einbeziehungsfähige spätere Bestrafung etwa nicht in Betracht, wenn ohne den die Unanwendbarkeit des § 55 StGB begründenden Zeitablauf es bei einer Einbeziehung der späteren Strafe und überhaupt bei zeitnäherer Aburteilung auf der Hand gelegen hätte, gegen den Angeklagten die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57a StGB festzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2009 - 5 StR 184/09; vgl. auch BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 - NJW 2010, 1157). Sofern der Tatrichter nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Verneinung der besonderen Schuldschwere einen genügenden Härteausgleich für die verbüßte langjährige Freiheitsstrafe darstellt, wird er die Härte angemessen zu kompensieren haben. Dabei ist grundsätzlich keine vollständige Anrechnung der verbüßten Haftzeiten geboten (vgl. BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - StV 2010, 244).

Ist die besondere Schwere der Schuld festgestellt, ist die Strafvollstreckungskammer nicht gehindert, bei der Festsetzung der Verlängerungsdauer der Mindestverbüßungszeit der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu berücksichtigen, dass der Angeklagte eine Freiheitsstrafe aus einer an sich gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung vor Erlass des angefochtenen Urteils voll verbüßt hatte (§ 57a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2008 - 4 StR 358/08 - NStZ-RR 2009, 104 - StraFo 2009, 124; BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 - NJW 2010, 1157; vgl. auch BVerfG Beschl. v. 29.1.2007 - 2 BvR 2025/06; BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 403/09 - StV 2010, 244; Fischer, StGB 55. Aufl. § 57a Rdn. 17; a.A. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2007, 219). Wurde hingegen die besondere Schuldschwere nicht festgestellt, besteht diese Möglichkeit nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09 - NJW 2010, 1157).

 
siehe auch: § 57a StGB, Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe --> Rdn. 15 u. 35.1   




- Härteausgleich für entgangene Bewährung / Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen

60.2.2
Die Vollstreckungslösung hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auch für den Fall für vorzugswürdig erachtet, in dem der Angeklagte die ausgeurteilten Taten nicht nach der Aussetzungsentscheidung, sondern weit über ein Jahr zuvor begangen hatte und ohne die vollständige Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung die Strafaussetzung infolge anderweitiger Gesamtstrafenbildung bestehen geblieben wäre. Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranziehung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als Einsatzstrafe wirkte sich dabei für den Angeklagten überaus nachteilig aus und erforderte die Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 26.1.2010 - 5 StR 478/09 - StV 2010, 239). Bei ähnlicher Sachlage hat der 4. Strafsenat des  Bundesgerichtshofs nunmehr daran festgehalten, dass der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegenden Härte bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen ist (BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868; BGH, Beschl. v. 1.2.2011 - 4 StR 604/10).

Nach Auffassung des 4. Strafsenats handelt es sich bei dem Ausschluss einer an sich möglichen Gesamtstrafenbildung infolge der Vollstreckung der früheren Strafe um einen Nachteil, der aus der Anwendung zwingender strafzumessungsrechtlicher Vorschriften über die Gesamtstrafe resultiert und damit einen unmittelbaren Zusammenhang zum Vorgang der Strafzumessung aufweist. Er ist vom Tatrichter ebenso wie andere schuldunabhängige Zumessungsfaktoren im Rahmen der Strafzumessung zu bewerten und kann systematisch stimmig bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt werden. Anders als bei der - mit der Strafzumessung nicht wesensmäßig zusammenhängenden - Kompensation der Konventions- und Rechtstaatswidrigkeit von Verfahrensverzögerungen, für welche der Große Senat für Strafsachen die Vollstreckungslösung entwickelt hat (BGH, Beschl. v. 17.1.2008 - GSSt 1/07 - BGHSt 52, 124), besteht für den Ausgleich der in einer nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung liegenden Härte kein Grund, diesen aus dem Vorgang der Strafzumessung herauszulösen und durch die bezifferte Anrechnung auf die verhängte Strafe gesondert auszuweisen (BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868).




[ Auslieferungsangelegenheiten
]

60.3
Ein Härteausgleich hat auch zu erfolgen, wenn keine Gesamtstrafe gebildet werden kann, weil in einer Auslieferungsbewilligung die Zustimmung hierzu verweigert wurde (BGH, Beschl. v. 22.4.2004 - 3 StR 115/04). In einem anderen Fall hat es der Bundesgerichtshof gebilligt, dass das Landgericht wegen eines Vollstreckungshindernisses nach § 456a StPO für die frühere Strafe, weil die Auslieferung nur für das neue Verfahren erfolgt ist, von einem Härteausgleich abgesehen hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.1999 - 1 StR 471/99 - NStZ 2000, 263); desgleichen bei lebenslanger Freiheitsstrafe und einem Vollstreckungshindernis nach Art. 54 SDÜ (BGH, Urt. v. 10.6.1999 - 4 StR 87/98 - NStZ 1999, 579, 581) (vgl. die zusammenfassende Darstellung in BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08).  




[ Härteausgleich bei ausländischen Strafen
]

60.4
Im Ausland verhängte Strafen sind der nachträglichen Gesamtstrafenbildung über § 55 StGB nicht zugänglich, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 43, 79; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16; BGH NStZ 2008, 709, 710; BGH, Beschl. v. 27.1.2010 - 5 StR 432/09 - StV 2010, 238; BGH, Beschl. v. 26.3.2014 - 2 StR 202/13; siehe hierzu näher oben).

Der Bundesgerichtshof hat es allerdings für notwendig erachtet, auch auf diese Fälle den Rechtsgedanken des Härteausgleichs zu übertragen, wenn die im Ausland und die im Inland begangene Straftat vom zeitlichen Ablauf her miteinander hätten abgeurteilt werden können. Der Nachteil, der dem Angeklagten dadurch entstanden ist, dass im Ausland verhängte Strafen nicht gesamtstrafenfähig sind, kann auch durch eine anderweitige Gesamtstrafenbildung ausgeglichen werden (vgl. BGHSt 43, 79, 80; BGH NStZ-RR 1998, 204; 2000, 105; NStZ 1998, 134; NJW 2000, 1964, 1965; BGH NStZ 2008, 709, 710; BGH, Urt. v. 26.9.2007 - 1 StR 276/07 - StV 2008, 338; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 25. Januar 2008 - 2 BvR 1532/08 - Tz. 5; BayObLG NJW 1993, 2127; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 55 Rdn. 21).

Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - Härteausgleich 8); liegen aber ansonsten die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter regelmäßig einen Härteausgleich vornehmen, dies insbesondere dann, wenn es in der Addition beider Strafen zu einer Überschreitung der gesetzlichen Höchstgrenzen kommt (vgl. BGH StV 2000, 196; BGH, Beschl. v. 26.3.2014 - 2 StR 202/13).

Beispiel: [ Fiktive Gesamtstrafenbildung mit Vollstreckungsabschlag ] Der Angeklagte wird wegen Betäubungsmittelstraftaten zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Es wird angeordnet, dass – im Blick auf eine potentiell gesamtstrafenfähige Verurteilung in den Niederlanden zu einem Jahr Freiheitsstrafe – neun Monate der Strafe als vollstreckt gelten (vgl. BGH, Beschl. v. 28.3.2012 - 5 StR 111/12).

Anfragebeschluss  Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden, dass ein Härteausgleich in den Fällen nicht zu gewähren ist, in denen eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit Strafen aus ausländischen Verurteilungen nicht vorgenommen werden kann. Er hat bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten wird (vgl. BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08).

Der 2. Strafsenat ist der Auffassung, dass ein Härteausgleich für im Ausland verhängte Strafen nicht in Betracht kommt, wenn wegen der dort abgeurteilten Taten in Deutschland ein Strafverfahren nicht hätte durchgeführt werden können, d. h. nicht der „Zufall“ der Handhabung durch die beteiligten Behörden eine Aburteilung der im Ausland begangenen Tat im Inland verhindert hat. Ist eine Aburteilung im Ausland begangener Taten in Deutschland mangels entsprechender rechtlicher und tatsächlicher Voraussetzungen grundsätzlich nicht möglich, sondern bietet das Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB hierfür allenfalls unter dem Aspekt der stellvertretenden Strafrechtspflege (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB) einen Ansatz, erscheint die Gewährung eines Härteausgleichs nicht angezeigt. Ein Härteausgleich dient zum Ausgleich der Nachteile, die dem Täter dadurch entstehen, dass keine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB erfolgen kann. In den Fällen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist eine Gesamtstrafenbildung nach deutschem Recht aber von vornherein so fern liegend, dass ein Ausgleich für ihr Unterbleiben eine zusätzliche Bevorzugung des Täters wäre. Es ist nicht notwendig, international agierende Mehrfachtäter bei der Strafzumessung auf Grund rein hypothetischer Erwägungen zu begünstigen. Die Anwendung des Rechtsgedankens des Härteausgleichs könnte im Einzelfall dazu führen, dass hohe im Ausland verhängte Freiheitsstrafen nur noch im Ergebnis schuldunangemessene Strafen in Deutschland zuließen, die sogar mit der gesetzlichen Strafuntergrenze in Konflikt gerieten. In diesen Fällen, in denen ein ausländischer Täter im Ausland Straftaten begangen hat, die weder inländische noch international geschützte Rechtsgüter betreffen, besteht kein Anlass, ihn so zu stellen, als wären diese Taten gemeinsam mit im Inland begangenen hier abgeurteilt worden. Dass es zu Aburteilungen in verschiedenen Staaten kommt, ist bei einer solchen Fallgestaltung vom Täter durch die Wahl der Tatorte selbst herbeigeführt worden. Die kriminelle Energie eines solchen Vorgehens kann im Übrigen gegen den Täter sprechen und bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigt werden (BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08).

Der 1. Strafsenat hat hierzu beschlossen, dass die beabsichtigte Entscheidung nicht seiner Rechtsprechung widerspricht unter Berücksichtigung des Umstands, dass laut Begründung des zugrunde liegenden Beschlusses (BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08) dies nur für diejenigen Fälle gelten soll, in denen eine gemeinsame Aburteilung aller Taten in Deutschland nicht oder allenfalls theoretisch nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 21.1.2009 - 1 ARs 2/09).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Einschränkung hat auch der 5. Strafsenat beschlossen, dass seine Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegensteht. Ohne Berücksichtigung dieser Einschränkung würde die beabsichtigte Entscheidung jedoch der Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 1999 - 5 StR 608/99 (NStZ-RR 2000, 105) widersprechen. An der dort zugrunde gelegten Rechtsauffassung hält der Senat auch fest. In dem vorgenannten Beschluss hat der 5. Strafsenat entschieden, dass dann, wenn die besondere Härte nicht allein bei der nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB zu bestimmenden Gesamtstrafe ausgeglichen werden kann, dieser Gesichtspunkt schon bei der Bemessung der Einzelstrafe berücksichtigt werden muss (vgl. auch BGHSt 36, 270, 275 f.). Diese Auffassung hat der 5. Strafsenat im Antwortbeschluss insbesondere unter Hinweis darauf, dass das besondere Gesamtstrafübel ein wesentlicher Strafmilderungsgrund ist, bekräftigt (vgl. BGH, Beschl. v. 11.3.2009 - 5 ARs 3/09) und in einer weiteren Entscheidung im Leitsatz ausgesprochen, dass eine ausländische Vorverurteilung, die an innerstaatlichen Maßstäben gemessen gesamtstrafenfähig wäre, im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel zu berücksichtigen ist (BGH, Beschl. v. 27.1.2010 - 5 StR 432/09 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19 - StV 2010, 238). Dies gilt wegen gleicher Interessenlage auch bei einer sicher zu vollstreckenden Strafe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und für die hier festzusetzende Jugendstrafe wegen einer Tat eines seit vielen Jahren erwachsenen Heranwachsenden (vgl. BGH, Beschl. v. 26.1.2011 - 5 StR 569/10).


Der 4. Strafsenat erachtet es ebenfalls für nicht zulässig, allein deshalb, weil eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung analog § 55 Abs. 1 StGB unter Einbeziehung von im Ausland verhängten Strafen ausscheidet, einen "Härteausgleich" in Form eines bezifferten Abschlags von einer fiktiv gebildeten Gesamtstrafe mit der Folge zu gewähren, dass die Bindung an die gesetzlichen Strafrahmen entfällt und im Einzelfall auch die gesetzliche Mindeststrafe unterschritten werden kann. Vielmehr kommt in diesen Fällen eine als "Härteausgleich" bezeichnete Milderung lediglich im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsgründe nach § 46 StGB unter Einhaltung der gesetzlichen Strafrahmen in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.2009 - 4 ARs 2/09).

 
siehe auch: Grundsätze der Strafzumessung, § 46 StGB --> Rdn. 105.3

Die Vornahme eines Härteausgleichs ist nach den allgemeinen Grundsätzen immer dann geboten, wenn sich für den Angeklagten aus der Nichtberücksichtigung einer Vorverurteilung bei der Bemessung einer Gesamtstrafe eine unbillige Härte ergibt und die Summe der Strafen anderenfalls schuldunangemessen wäre. Ist nach § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung an sich möglich, scheitert sie aber daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, oder wird durch die Zäsurwirkung einer früheren Strafe die Bildung einer Gesamtstrafe verhindert, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 12, 94, 95; 31, 102, 103; 33, 131, 132; 41, 310, 312; 43, 79, 80).

Im Ergebnis das gleiche gilt im Falle der Verurteilung des Angeklagten durch ein ausländisches Gericht, soweit hypothetisch eine Aburteilung der Auslandstat auch im Inland nach deutschem Recht möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14; BGH, Urt. v. 30.4.1997 – 1 StR 105/97 - BGHSt 43, 79, 80; BGH, Beschl. v. 2.9.1997 – 1 StR 317/97 - NStZ 1998, 134; BGH, Beschl. v. 30.10.1997 – 1 StR 659/97 - NStZ-RR 1998, 204; BGH, Beschl. v. 15.12.1999 – 5 StR 608/99 - NStZ-RR 2000, 105; BGH, Urt. v. 26.9.2007 – 1 StR 276/07 - NStZ 2008, 709, 710; BGH, Beschl. v. 27.1.2010  – 5 StR 432/09 - NJW 2010, 2677, 2678; Fischer StGB, 61. Aufl., § 55 Rn. 21b mwN). Zwar sind im Ausland verhängte Strafen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung über § 55 StGB nicht zugänglich, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 43, 79; BGH, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16; BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09 - NJW 2010, 2677; siehe oben). Die Grundsätze des Härteausgleichs greifen demgegenüber aber Platz. Dem liegen dieselben Erwägungen zugrunde, als wenn nach Jugendrecht und Erwachsenenrecht getrennt abgeurteilte Straftaten an sich gesamtstrafenfähig wären; auch in diesem Fall ist die Härte auszugleichen, die darin liegt, dass die Bildung einer Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts unzulässig ist (vgl. BGHSt 14, 287, 288; 36, 270, 272; 43, 79, 80). Auch bei der Verurteilung eines Angeklagten in zwei verschiedenen Staaten hängt die getrennte oder gemeinsame Verurteilung von Zufälligkeiten wie insbesondere der Art der Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem betroffenen ausländischen Staat auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und dem Bestehen bi- oder multinationaler Übereinkommen ab (BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14).

Beispiel (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14): Die Aburteilung der dem thailändischen Strafurteil zugrunde liegenden Taten wäre vor einem inländischen Gericht möglich gewesen. Die Geltung deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 5 StGB, wonach das deutsche Strafrecht unabhängig von dem Recht des Tatorts für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln im Ausland, wie etwa die Organisation von Rauschgifttransporten, Anwendung findet (vgl. BGHSt 27, 30; 34, 334 f.). Eine Inlandsberührung der Tat resultiert hier ungeachtet der Bestimmungsorte der verfahrensgegenständlichen Rauschgiftlieferungen jedenfalls aus der Auslieferung des Angeklagten an die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH, Urt. v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87 - BGHSt 34, 334, 338).


zu den verschiedenen Regelungszielen von Härteausgleich und Anrechnung bereits erlittener Freiheitsentziehung siehe § 51 StGB Rdn. 105

Eines Härteausgleichs bedarf es auch, soweit in dem ausländische Straferkenntnis ebenfalls eine Geldstrafe
verhängt und von dem Angeklagten vollständig bezahlte wurde. Diese ist – ebenso wie die Freiheitsstrafe – im Sinne des § 55 StGB gesamtstrafenfähig. Anders als bei der vollstreckten Freiheitsstrafe besteht eine Wechselwirkung zu der Anrechnungsentscheidung nach § 51 Abs. 3 StGB nicht (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14).

Dass eine Einbeziehung nach § 55 StGB bei einer ausländischen Verurteilung nicht in Betracht kommt und auch ein Härteausgleich nicht gewährt werden soll, da kein Gerichtsstand in Deutschland gegeben gewesen wäre (BGH, Urt. v. 10.6.2009 – 2 StR 386/08 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16; krit. Esser, StV 2010, 266; van Gemmeren, JR 210, 130, 132), hindert die Berücksichtigung eines Gesamtstrafübels als allgemeinen strafzumessungsrelevanten Aspekt nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.2017 - 1 StR 670/16; BGH, Beschl. v. 26.1.2011 – 5 StR 569/10 - StV 2011, 589 f.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.1.2017 – 1 StR 651/16; BGH, Beschl. v. 27.1.2009 – 4 ARs 2/09 - NStZ-RR 2009, 200).  




[ Einzubeziehende Bewährungsstrafen
]

60.5
Die Strafaussetzung zur Bewährung in dem Urteil mit den einzubeziehenden Strafen steht einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht im Wege, auch wenn die neu zu bildende Gesamtstrafe nicht mehr aussetzungsfähig ist (BGHSt 7, 180, 182; 36, 378; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 2 m.w.N.; BGH, Urt. v. 12.1.1993 – 5 StR 606/92 - NStZ 1993, 235; BGH, Beschl. v. 22.11.2001 - 1 StR 488/01; BGH, Beschl. v. 26.11.2008 - 5 StR 450/08 - wistra 2009, 271; BGH, Beschl. v. 15.12.2015 - 1 StR 562/15). Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn die Bewährungszeit aus den früheren Strafen abgelaufen ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 23.3.1990 - 2 BvR 51/90 - NJW 1991, 558; BGH, Urt. v. 27.3.1991 - 3 StR 358/90 - NJW 1991, 2847; BGH, Beschl. v. 19.7.2000 - 3 StR 259/00 - wistra 2000, 462; BGH, Beschl. v. 26.11.2008 - 5 StR 450/08 - wistra 2009, 271; BGH, Beschl. v. 26.3.2009 - 5 StR 74/09 - wistra 2009, 317; BGH, Beschl. v. 27.3.2012 - 3 StR 447/11). Allerdings ist hierbei das Spannungsverhältnis zwischen § 55 StGB und § 56g Abs. 1 StGB zu bedenken. Das Tatgericht ist dabei gehalten, bei der Gesamtstrafenbildung die Härten besonders zu bedenken und zu gewichten, die sich für den Angeklagten daraus ergeben, dass er nach Ablauf der Bewährungszeit durch die Einbeziehung in eine nicht mehr aussetzungsfähige Gesamtstrafe so gestellt wird, als ob die Strafaussetzung widerrufen worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.1993 – 5 StR 606/92 - NStZ 1993, 235; BGH, Beschl. v. 26.3.2009 – 5 StR 74/09 - wistra 2009, 317; BGH, Beschl. v. 15.12.2015 - 1 StR 562/15).

Eine damit einhergehende Härte ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 26.3.2009 - 5 StR 74/09 - wistra 2009, 317 mwN; BGH, Beschl. v. 27.3.2012 - 3 StR 447/11); etwaige erbrachte Bewährungsauflagen sind in diesem Fall auf die Strafe anzurechnen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 381; BGH, Beschl. v. 27.3.2012 - 3 StR 447/11). Dass eine einbezogene Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war, die durch die Einbeziehung entfiel, kann außer Acht bleiben, wenn es andernfalls auf Grund der neuen Straftat zu einem Bewährungswiderruf gekommen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2001 - 2 StR 273/01 - NStZ 2002, 196; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08). Etwas anderes gilt hingegen, wenn die zur Bewährung ausgesetzte Strafe erlassfähig war; in diesen Fällen ist wiederum ein Härteausgleich zu gewähren (BGH, Urt. v. 12.1.1993 - 5 StR 606/92 -  NStZ 1993, 235; BGH, Beschl. v. 10.1.2001 - 3 StR 516/00; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08).
 
Stehen die einzubeziehenden, zur Bewährung ausgesetzten Strafen vor dem Erlass und führt deren Einbeziehung zum Wegfall der Bewährungsaussetzung, müssen die sich aus dieser Gesamtstrafsituation ergebenden Härten besonders bedacht werden. Denn ohne dass ein Widerrufsgrund nach § 56f StGB gegeben wäre, wird der Angeklagte nach Ablauf der Bewährungszeit so gestellt, als wäre die Strafaussetzung widerrufen worden (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - wistra 1990, 262; BGH NStZ 1991, 330; BGH, Urt. v. 12.1.1993 - 5 StR 606/92 - NStZ 1993, 235; BGH, Beschl. v. 26.11.2008 - 5 StR 450/08 - wistra 2009, 271).

Wurde eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen, kann dies den Angeklagten beschweren, wenn dies etwa zum Wegfall der Bewährung für die einbezogene Strafe führt (vgl. BGH, Beschl. v. 20.1.2009 - 3 StR 577/08; vgl. auch BGH, Beschl. v. 5.5.2009 - 5 StR 104/09; BGH, Beschl. v. 1.7.2009 - 2 StR 116/09; BGH, Beschl. v. 20.9.2012 - 3 StR 220/12).




[ Erlassene und erlassreife Bewährungsstrafen
]

60.6
Die Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Strafe aus dem früheren Urteil setzt voraus, dass noch kein Erlass nach § 56g StGB erfolgt war (vgl. BGH, Beschl. v. 26.11.2008 - 5 StR 450/08; BGH, Beschl. v. 26.3.2009 - 5 StR 74/09 - NStZ-RR 2009, 205; Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 6)

Ein Härteausgleich ist nur dann erforderlich, wenn die Einbeziehung einer früher verhängten Strafe an deren zwischenzeitlicher Vollstreckung scheitert, jedoch nicht, wenn sie zur Bewährung ausgesetzt und später erlassen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 291; NStZ-RR 2004, 330; BGH, Urt. v. 25.10.2005 - 4 StR 139/05 - NJW 2006, 1073; StV 2007, 82; vgl. auch BGH, Urt. v. 9.12.2009 - 5 StR 459/09 - wistra 2010, 99; zum maßgeblichen Zeitpunkt siehe oben --> Rdn. 15). Dann stellt sich der Angeklagte mit dem Erlaß der früheren Bewährungsstrafe sogar besser, als wenn deren Einbeziehung eine erst noch zu vollstreckende nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe möglicherweise noch erhöht hätte (vgl. BGH NStZ 1983, 261; NStZ-RR 1996, 291; BGH, Urt. v. 10.10.1978 - 4 StR 444/78; BGH, Urt. v. 18.8.2004 - 2 StR 249/04; BGH, Beschl. v. 17.11.2010 - 1 StR 145/10 - wistra 2011, 115; BGH, Beschl. v. 15.2.2011 - 1 StR 19/11; Rissing-van Saan LK 11. Aufl. § 55 Rdn. 23; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 21a). Es fehlt in diesen Fällen an einem ausgleichsbedürftigen Nachteil, so dass ein Härteausgleich nicht in Betracht kommt (BGH NStZ-RR 1996, 291; NStZ-RR 2004, 330; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 386/08 - NStZ 2010, 30).


Im Spannungsverhältnis zwischen der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB und dem Straferlaß gemäß § 56g StGB kommt keiner der Vorschriften Priorität zu. Der Konflikt soll vielmehr im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgelöst werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.3.1990 - 2 BvR 51/90 - NJW 1991, 558; BGH NJW 1991, 2847; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 2; vgl. auch BGH, Beschl. v. 26.3.2009 - 5 StR 74/09 - NStZ-RR 2009, 205).

Beispiel: Dass das Tatgericht eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet hat, anstatt dem Erlaß der Strafe aus dem früheren Urteil den Vorrang zu geben, kann im Einzelfall schon deshalb nicht zu beanstanden sein, weil auch die Vollstreckung der neuen Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. Stree in Schönke/ Schröder, StGB 25. Aufl. § 56 g Rdn. 1) und das Tatgericht den erforderlichen Härteausgleich (vgl. BGH NJW 1993, 235) bei der Gesamtstrafenbildung vorgenommen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 10.1.2001 - 3 StR 516/00).

siehe auch: § 56g StGB Rdn. 15

   
Der 4. Strafsenat hat in einem Beschluss vom 3.7.2012 ergänzend bemerkt, dass allein der Umstand, dass die Bewährungszeit bereits mehr als zwei Jahre und vier Monate abgelaufen ist, nicht belegt, dass diese Strafe bei der Gesamtstrafenbildung außer Betracht zu bleiben hatte, weil ihr Erlass ungebührlich lange hinausgezögert worden ist und der Angeklagte deshalb auf ihre Nichtberücksichtigung vertrauen durfte (vgl. BGH, Beschl. v. 3.7.2012 - 4 StR 191/12; BGH, Urt. v. 12.1.1993 - 5 StR 606/92 - NStZ 1993, 235). Feststellungen zu den Gründen für diesen Zeitablauf hat das Landgericht nicht getroffen. Ein Erfahrungssatz, dass eine solche Verzögerung regelmäßig auf Versäumnissen der Justizbehörden beruht und zu einem Vertrauenstatbestand bei dem Angeklagten geführt hat, besteht nicht. Eine auf die Sachrüge zu beachtende Lücke in den Feststellungen liegt daher nicht vor. Eine Verfahrensrüge wurde nicht erhoben (vgl. BGH, Beschl. v. 3.7.2012 - 4 StR 191/12).

zu Verfahrensrügen siehe: 
Revisionsbegründung, § 344 StPO 




[ Fehlende Festsetzung von Einzelstrafen
]

60.7
Leitsatz § 55 StGB findet keine Anwendung, wenn das frühere Urteil auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, aber keine Einzelstrafen enthält. Der Tatrichter hat in diesem Fall einen Härteausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe vorzunehmen (BGH, Beschl. v. 26.3.1997 - 2 StR 107/97 - Ls. - BGHSt 43, 34 - NJW 1997, 1993; BGH, Beschl. v. 15.11.2002 - 2 StR 401/02; BGH, Beschl. v. 13.11.2002 - 2 StR 422/02; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08; BGH, Beschl. v. 22.1.2009 - 3 StR 594/08; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 55 Rdn. 26).

Der Nachteil, der dem Angeklagten dadurch entsteht, daß Einzelstrafen fehlerhaft nicht festgesetzt sind und deshalb nicht einbezogen werden können, ist durch eine Herabsetzung der Strafe auszugleichen (BGHSt 43, 324; BGH, Beschl. v. 13.11.2002 - 2 StR 422/02; BGH, Beschl. v. 15.11.2002 - 2 StR 401/02; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08). § 55 StGB ermächtigt und verpflichtet den Tatrichter, in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen (BGHSt 35, 243, 245; 41, 374, 375). Der spätere Tatrichter ist aber nicht befugt, die vom früheren Tatrichter verabsäumte Festsetzung einer Einzelstrafe - aufgrund eigener Erwägungen nachzuholen (BGHSt 41, 374, 376). Für diese richterliche Entscheidung (BGHSt 4, 345; 41, 374, 375) fehlt ihm die Zuständigkeit (BGH, Beschl. v. 26.3.1997 - 2 StR 107/97 - BGHSt 43, 34 - NJW 1997, 1993).

Daß eine Heranziehung der Strafe aus der Vorverurteilung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht möglich ist, läßt jedoch die Zäsurwirkung dieser Verurteilung nicht entfallen (BGH, Urt. v. 12.8.1998 - 3 StR 537/97 - BGHSt 44, 179; BGH, Beschl. v. 15.11.2002 - 2 StR 401/02).
   




[ Zeitpunkt der Nachholung
]

60.8
Eine unter Verletzung des § 55 StGB unterbliebene Bildung einer Gesamtstrafe ist auch dann nachzuholen, wenn die früher verhängte Strafe inzwischen - etwa durch Vollstreckung - erledigt ist (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 18.1.2000 - 4 StR 633/99; BGH, Beschl. v. 25.5.2000 - 4 StR 143/00; BGH NStZ-RR 2003, 139; BGH, Beschl. v. 6.3.2007 - 3 StR 19/07; BGH, Beschl. v. 11.7.2006 - 4 StR 197/06; BGH, Beschl. v. 15.10.2008 - 5 StR 383/08). Wird eine Gesamtstrafe aufgehoben, so ist in der erneuten Verhandlung die Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung vorzunehmen. Andernfalls würde einem Revisionsführer wegen seines Rechtsmittels ein durch die frühere Gesamtstrafenbildung erlangter Rechtsvorteil genommen (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 2 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 7.4.2006 - 2 StR 63/06 - wistra 2006, 305). Allerdings kann eine Beschwer des Angeklagten durch die unterlassene Einbeziehung von Einzelstrafen entfallen, wenn eine Zäsurwirkung für eine einzubeziehende Verurteilung hätte beachtet werden müssen und deshalb zwei Gesamtstrafen zu bilden gewesen wären (vgl. BGH, Beschl. v. 7.4.2006 - 2 StR 63/06 - wistra 2006, 305). 




[ Gewährung des Härteausgleichs
  

60.9
Auf welche Weise der Tatrichter den Härteausgleich vornimmt, steht dabei in seinem Ermessen. Er kann von einer unter Heranziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten "fiktiven Gesamtstrafe" ausgehen und diese um die vollstreckte Strafe mindern oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe ausscheidet, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist nur, dass er einen angemessenen Härteausgleich vornimmt und dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 29.7.1982 - 4 StR 75/82 - BGHSt 31, 102, 103; BGH Urt. v. 23.1.1985 - 1 StR 645/84 - BGHSt 33, 131, 132; BGH, Urt. v. 30.4.1997 – 1 StR 105/97 - BGHSt 43, 79, 80; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868; BGH, Urt. v. 5.11.2014 - 1 StR 299/14 Rn. 21).

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass es grundsätzlich vorzugswürdig ist, den gebotenen Härteausgleich im Rahmen der Vollstreckungslösung durch eine Anrechnung vorzunehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 478/09 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 5 StR 343/10; BGH, Beschl. v. 11.4.2011 – 5 StR 100/11; BGH, Beschl. v. 17.8.2011 - 5 StR 301/11; siehe hierzu auch oben Rdn. 60.2.1 u. 60.2.2).

Die Gewährung eines Härteausgleichs ist nicht durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die verhängte Freiheitsstrafe vorzunehmen, wie z. B. der gebotene Ausgleich für die Nichterstattung von Geldleistungen, die in Erfüllung einer Auflage nach § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB erbracht worden sind, zu bewirken ist (vgl. hierzu BGHSt 36, 378 f.), also

Beispiel: nicht: "die bezahlte Geldstrafe aus der Verurteilung des ... vom ... (Aktenzeichen: ...) wird mit drei Wochen Freiheitsstrafe auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.",

sondern durch eine entsprechende Milderung im Rahmen der Strafzumessung. Dabei kann das Tatgericht entweder eine "fiktive Gesamtstrafe" bilden und diese um die vollstreckte Strafe mindern (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 17.6.2009 - 1 StR 212/09) oder den Härteausgleich unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132; BGH, Beschl. v. 8.10.2003 - 2 StR 328/03; BGH, Beschl. v. 10.3.2009 - 5 StR 73/09 - StV 2010, 240). Erforderlich ist jedoch, dass ein angemessener Härteausgleich vorgenommen wird und dies den Urteilsgründen hinreichend deutlich zu entnehmen ist (vgl. BGHSt 31, 102, 103; BGH, Beschl. v. 3.9.1975 - 2 StR 400/75; BGH, Beschl. v. 10.3.2009 - 5 StR 73/09 - StV 2010, 240).

Beispiel: Hinsichtlich einer vom Amtsgericht verhängten, grundsätzlich gesamtstrafenfähigen, aber bereits vollständig bezahlten Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen war bei der Gesamtstrafenbildung der notwendige Härteausgleich unterblieben. Dies hat der Bundesgerichtshof  durch Abzug von einem Monat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst nachgeholt (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2002 - 1 StR 235/02).

Der zu gewährende Härteausgleich in Bezug auf eine nach Tatbegehung anderweit verhängte, an sich gesamtstrafenfähige, aber mittlerweile vollständig vollstreckte Freiheitsstrafe ist in die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe einzustellen und nicht bei der Festsetzung der Einzelfreiheitsstrafen zu würdigen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.5.2009 - 5 StR 187/09 - NStZ-RR 2009, 279).

In Fällen, in denen eine Strafe nicht mehr zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden kann, weil sie bereits vollstreckt ist, kann - entgegen der Regel des § 39 StGB - der erforderliche Härteausgleich dazu
führen, eine Strafe nach Jahren, Monaten und Wochen zu bemessen (vgl. u.a. BGH NJW 1989, 236, 237; BGH, Beschl. vom 16. März 1999 - 4 StR 83/99; BGH, Beschl. v. 8.10.2003 - 2 StR 328/03).

 
siehe auch: Bemessung der Freiheitsstrafe, § 39 StGBGesamtstrafe und Strafaussetzung, § 58 StGB - Rdn. 15 - Anrechnung von erbrachten Bewährungsleistungen
 
Kann der Ausgleich ausnahmsweise nicht bei der Gesamtstrafenbildung erfolgen, ist der Nachteil bei der Bemessung der Einzelstrafe zu kompensieren (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1997 - 1 StR 105/97 - BGHSt 43, 79, 80; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 - 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868).
 




Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen

65




[ Anrechnung von erbrachten Bewährungsleistungen im Erwachsenenstrafrecht ]

65.5
Im Wege nachträglicher Gesamtstrafenbildung kann die Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen nach § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.2.2007 - 4 StR 49/07 u. BGH, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 StR 71/04 betr. Jugendstrafrecht; BGH, Beschl. v. 7.8.2007 - 4 StR 269/07).

Leitsatz: Entfällt eine Strafaussetzung zur Bewährung wegen Einbeziehung der Strafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, und ist für die Nichterstattung von Geldleistungen, die in Erfüllung einer Auflage nach § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB erbracht worden sind, ein Ausgleich geboten, so ist dieser nicht durch eine Herabsetzung der Gesamtstrafe vorzunehmen, sondern durch eine die Strafvollstreckung verkürzende und in den Urteilstenor aufzunehmende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe zu bewirken (teilweise Aufgabe von BGHSt 33, 326; st. Rspr. seit BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378 - Ls. - NJW 1990, 1674; BGHR StGB § 58 Abs. 2 Satz 2 Anrechnung 3; BGH, Beschl. v. 21.7.1998 - 4 StR 334/98; BGH, Beschl. v. 7.12.2000 - 4 StR 449/00; BGH, Beschl. v. 12.7.2002 - 2 StR 200/02; BGH, Beschl. v. 13.11.2002 - 2 StR 422/02; BGH, Beschl. v. 17.6.2004 - 1 StR 24/04; BGH, Beschl. v. 23.8.2006 - 1 StR 327/06; BGH, Beschl. v. 18.7.2007 - 2 StR 256/07; BGH, Beschl. v. 11.6.2008 - 2 StR 243/08; BGH, Beschl. v. 18.2.2014 - 3 StR 442/13; BGH, Beschl. v. 2.3.2016 - 4 StR 31/16). Eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe genügt regelmäßig nicht (BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 381 ff.; BGH, Beschl. v. 2.2.1994 - 3 StR 615/93 - BGHR StGB § 58 Abs. 2 Satz 2 Anrechnung 3; BGH, Beschl. v. 21.5.1996  - 4 StR 195/96 - NStZ-RR 1996, 291; BGH, Beschl. v. 17.6.2004 - 1 StR 24/04; BGH, Beschl. v. 18.2.2014 - 3 StR 442/13 betr. ein Monat als Anrechnung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit).

Entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung wegen nachträglicher Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, so sind Geldleistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht hat, gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB in aller Regel auf die Strafe anzurechnen; es ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar, dass eine Anrechnung der erbrachten Leistungen unterbleiben kann (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.1990 – 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 381 mwN; BGH, Beschl. v. 12.2.2014 - 1 StR 601/13). Grund hierfür ist, dass nicht ein nachträgliches Verhalten des Verurteilten, sondern die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zum Verlust der Strafaussetzung führt. Zudem würde ein Verurteilter bei Nichtanrechnung schlechter gestellt als ein Verurteilter, der sich um die ihm erteilten Auflagen nicht gekümmert und diese nicht erbracht hat. Schließlich widerspräche eine Nichtanrechnung auch dem der nachträglichen Gesamtstrafenbildung zugrunde liegenden Gedanken, wonach der Angeklagte bei getrennter Aburteilung seiner Taten nicht schlechter gestellt werden darf als bei ihrer gemeinsamen Aburteilung (BGH, Urt. v. 10.10.1985 – 4 StR 454/85 - BGHSt 33, 326 f.; BGH, Beschl. v. 12.2.2014 - 1 StR 601/13). Die Rechtsprechung hat eine Ausnahme von diesem Grundsatz bislang lediglich für den Fall erwogen, dass sich der Verurteilte die Mittel für die erbrachten Leistungen erst durch strafbare Handlungen verschafft hat (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.1985 – 4 StR 454/85 - BGHSt 33, 326 f., 327).

Beispiel: Wird die Nichtanrechnung der Geldzahlung hingegen damit begründet, dass die Angeklagte aufgrund der von ihr mitverursachten erheblichen Vermögensschäden neben der Verbüßung von Freiheitsstrafe auch in ihrem Vermögen getroffen werden soll, zeigt diese an Entscheidungen im Rahmen von § 53 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StGB anknüpfende Wertung keinen tragfähigen Gesichtspunkt auf, um die grundsätzlich gebotene Anrechnung zu hindern, denn die Nichtanrechnung soll keine zusätzliche Geldstrafe sein (vgl. BGH, Beschl. v. 12.2.2014 - 1 StR 601/13).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Ausgleich für die Nichterstattung von Leistungen zur Erfüllung einer Bewährungsauflage (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB) regelmäßig durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe zu bewirken (BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 383 f.; BGH, Beschl. v. 19.5.1992 - 4 StR 207/92). Die allgemeine Berücksichtigung der in diesem Umstand liegenden Härte reicht nicht aus. Der Umfang der Anrechnung ist in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen (BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 383 f.; BGH, Beschl. v. 19.5.1992 - 4 StR 207/92; BGH, Beschl. v. 8.2.2012 - 4 StR 621/11; vgl. auch BGH, Beschl. v. 14.8.2012 - 3 StR 274/12).


Beispiel: Das Landgericht hat im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung unter anderem eine Strafe aus einer Verurteilung des Amtsgerichts X vom ... einbezogen. Durch das Urteil des Amtsgericht war gegen den Angeklagten eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt worden. Ihm war nach § 56b StGB auferlegt worden, 800 Euro an den Kinderschutzbund zu zahlen, wovon er 600 Euro geleistet hatte. Durch die Einbeziehung dieser Sache in die Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist die ursprünglich gewährte Strafaussetzung zur Bewährung entfallen, so dass gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 56f Abs. 3 Satz 2, 56b StGB über die Anrechnung der erbrachten Leistungen zu entscheiden war. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe zu bewirken (BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378 f.). Dazu ist im Urteilstenor mitzuteilen, in welchem Umfang die erbrachten Leistungen auf die Vollstreckungsdauer angerechnet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 382 ff.; BGH, Beschl. v. 2.2.1994 - 3 StR 615/93 - BGHR StGB § 58 Abs. 2 Satz 2 Anrechnung 3; BGH, Beschl. v. 4.9.2012 - 3 StR 334/12; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 58 Rn. 10; siehe hierzu auch unten Rdn. U.1.5). Dass das Landgericht diesen Umstand bei der Gesamtstrafenbemessung strafmildernd berücksichtigt hat, reicht nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 4 StR 188/12).

Im Einzelfall kann nicht ausschließen sein, dass die Herabsetzung der Gesamtstrafe den Angeklagten gegenüber einem höheren Gesamtstrafausspruch und einer zugleich vorzunehmenden Anrechnung auf die Vollstreckungsdauer beschwert. Denn eine Anrechnung im Wege der Vollstreckung führt regelmäßig dazu, dass bei der Strafzeitberechnung die Halbstrafe und der Zwei-Drittel-Zeitpunkt schneller erreicht werden und es somit zu einem früheren Zeitpunkt möglich ist, einen Strafrest gemäß § 57 Abs. 1, 2 und 4 StGB zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.1.2008 - GSSt 1/07 - BGHSt 52, 124, 145; BGH, Beschl. v. 4.9.2012 - 3 StR 334/12).


 
siehe hierzu näher: § 58 StGB, Gesamtstrafe und Strafaussetzung  




[ Berücksichtigung von erbrachten Bewährungsleistungen bei Anwendung von Jugendstrafrecht ]

65.10
Anders als bei einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht ist bei der Anwendung von Jugendstrafrecht für einen die Strafvollstreckung verkürzenden Ausspruch durch die Anrechnung von Bewährungsleistungen kein Raum, wenn eine Verurteilung zu Jugendstrafe mit Bewährung nachträglich in eine Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe ohne Bewährung einbezogen wird (BGH, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 StR 71/04 - BGHSt 49, 90; BGH, Beschl. v. 11.2.2014 - 4 StR 551/13). Erbrachte Bewährungsleistungen können und müssen jedoch gegebenenfalls  - wenn sie unter Berücksichtigung des Gewichts der Tat, des Umfangs der erbrachten Bewährungsleistungen und der übrigen Umstände des Einzelfalles Rückschlüsse auf den bestehenden Erziehungsbedarf zulassen - bei der Strafzumessung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 StR 71/04 - BGHSt 49, 93; BGH, Beschl. v. 11.2.2014 - 4 StR 551/13). 




Gesamtfreiheitsstrafe aus Einzelgeldstrafen und Einzelfreiheitsstrafen

70
Treffen Einzelfreiheitsstrafen und Einzelgeldstrafen zusammen, so ist in der Regel eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden (BGH NStZ-RR 2002, 264 m.w.N.). Dem Tatrichter ist jedoch gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB ein Ermessen dahingehend eingeräumt, dass er aus den Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe und daneben aus den Einzelgeldstrafen eine gesonderte Gesamtgeldstrafe bilden kann. Dieses Ermessen hat er nach Strafzumessungsgesichtspunkten auszuüben. Die Urteilsgründe müssen grundsätzlich erkennen lassen, ob sich das Tatgericht des ihm eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 27.3.2001 - 4 StR 592/00). Allerdings bedarf es einer ausdrücklichen Darlegung, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit der Ermessensausübung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bewusst war, nur dann, wenn die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nahe liegt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 53 Rdn. 6 m.w.N.). Dies ist bei Serienstraftaten (vgl. BGH, Beschl. v. 17.4.1996 - 5 StR 93/96) und bei anderen im Wesentlichen gleich gelagerten Taten (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 264) regelmäßig nicht der Fall (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Nichteinbeziehung 3). Etwas anderes gilt dann, wenn sich aufgrund besonderer Umstände des Falles eine einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe als das schwerere Übel erweist (vgl. BGH, Urt. v. 2.8.2000 - 2 StR 172/00), weil erkennbar erst die Einbeziehung der Geldstrafen zur Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe führt, deren Höhe keine Strafaussetzung mehr zulässt (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 2,4 und 6; BGH NStZ-RR 2002, 264; jeweils m.w.N.; BGH, Beschl. v. 3.12.2007 - 5 StR 504/07 - NStZ 2009, 27) oder aber zwingende beamtenrechtliche Folgen (Beendigung des Beamtenverhältnisses) auslöst (BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 1, 3).

Die Einbeziehung einer Geld- in eine Freiheitsstrafe bedarf insbesondere dann einer Begründung, wenn sich die geahndeten Taten gegen unterschiedliche Rechtsgüter richten (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 5; BGH, Beschl. v. 20.11.2001 - 4 StR 467/01).

Der Festsetzung der Tagessatzhöhe für Einzelgeldstrafen bedarf es auch dann, wenn aus Einzelgeldstrafen und Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird (vgl. u. a. BGHSt 30, 93, 96; BGHR StGB § 54 Abs. 3 Tagessatzhöhe 1; BGH, Beschl. v. 19.3.2003 - 2 StR 530/02; BGH, Beschl. v. 21.6.2006 - 2 StR 10/06; BGH, Beschl. v. 11.1.2006 - 2 StR 571/05; BGH, Beschl. v. 3.12.2002 - 4 StR 432/02). Das Revisionsgericht kann dies nachholen und setzt in diesen Fällen regelmäßig die Tagessatzhöhe auf den Mindestsatz des § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB fest (BGHR StGB § 54 Abs. 3 Tagessatzhöhe 2; BGH, Beschl. v. 26.10.2004 - 4 StR 216/04; BGH, Beschl. v. 11.1.2006 - 2 StR 571/05 ), der einen Euro beträgt.

Hat das frühere Tatgericht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe ausdrücklich abgesehen, darf dem Angeklagten dieser Vorteil nicht mehr genommen werden. Die Einbeziehung der Geldstrafe würde zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führen und einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot begründen (BGH, Beschl. v. 22.3.1995 - 2 StR 700/94;  BGH, Urt. v. 23.7.1997 - 3 StR 146/97 - NStZ-RR 1998, 136 m.w.N.; Fischer StGB, 56. Aufl. § 55 Rdnr. 8; vgl. hierzu auch Beschl. v. 27.3.2001 - 4 StR 592/00; BGH, Beschl. v. 25.7.2012 - 2 StR 111/12; siehe zum Verbot der reformatio in peius im Zshg. mit der nachträgliche Gesamtstrafenbildung: 
§ 358 StPO Rdn. 25.10). Jede Erhöhung einer Freiheitsstrafe - selbst bei Wegfall der Geldstrafe - ist als das schwerere Übel anzusehen (BGH, Urt. v. 21.5.1975 - 3 StR 71/75 (S); BGH, Beschl. v. 1.12.2009 - 3 StR 463/09).

Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB sind die Vorschriften der §§ 53, 54 StGB auch dann anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn ergangene Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Diese Verweisung schließt die Vorschrift des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB ein, nach der das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen kann (vgl. BGHSt 32, 190, 194; 43, 195, 212; 44, 179, 184). Deshalb sind auch die Einzelgeldstrafen aus einer früheren Verurteilung solange einbeziehungsfähig, wie diese Verurteilung noch nicht insgesamt im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.2000 - 4 StR 449/00; BGH, Beschl. v. 9.5.2007 - 5 StR 24/07 - wistra 2007, 342; BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 4 StR 292/08). War trotz der Begleichung der gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert verhängten Gesamtgeldstrafe die Verurteilung aus einem Urteil noch nicht vollständig erledigt, weil die daneben verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten (unter Strafaussetzung zur Bewährung) weder vollstreckt noch erlassen war, sind gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB auch die Einzelgeldstrafen aus diesem Urteil einzubeziehen. Eine bereits vollstreckte Gesamtgeldstrafe ist auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen (§ 51 Abs. 2 StGB) (vgl. BGH, Beschl. v. 9.5.2007 - 5 StR 24/07 - wistra 2007, 342).

 
siehe auch: Tatmehrheit, § 53 StGB 




Berücksichtigung einer erstinstanzlich einbezogenen, jedoch vor Erlass des Berufungsurteils getilgten Strafe

75
Ist eine erstinstanzlich einbezogene Geldstrafe vor Erlass des Berufungsurteils vollständig getilgt worden, so hat das Berufungsgericht dies nicht nur zwecks Härteausgleichs zu berücksichtigen, sondern wegen des Verschlechterungsverbots die getilgte Strafe vollständig anzurechnen. Dies gilt selbst dann, wenn dadurch die gesetzliche Untergrenze einer Gesamtstrafe unterschritten werden muss (OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.3.2006 - Ss 36/06 (I 16)). 




Keine Aufrechterhaltung der im einbezogenen Urteil ausgesprochenen Einziehungsanordnung

80
Der Aufrechterhaltung der in dem einbezogenen Urteil ausgesprochenen Einziehungsanordnung bedarf es im angefochtenen Urteil nicht. Da das Eigentum an den betreffenden Gegenständen mit der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils nach § 74e StGB auf den Staat übergegangen war (BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 8), hat sich die Einziehung erledigt (vgl. BGH, Beschl. v. 2.6.2005 - 3 StR 123/05).
 
 
 siehe auch: § 74e StGB Rdn. 25 - Einziehungswirkung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung 




Reihenfolge bei der Strafenbildung

85
Zunächst ist die Höhe der schuldangemessenen Strafe zu finden und erst dann über die Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung zu befinden. Nicht etwa darf das Bestreben, dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, dazu führen, dass die schuldangemessene Strafe unterschritten wird (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs, vgl. nur BGHSt 29, 319; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 19 und Schuldausgleich 29; BGH NStZ 1992, 489 und 2001, 311; BGH, Urt. v. 11.1.2006 - 5 StR 442/05). 




Einheitsjugendstrafe und einzubeziehende Entscheidungen

90
Bei einer Verurteilung zu Einheitsjugendstrafe sind im Gegensatz zur Gesamtstrafenbildung im Erwachsenenstrafrecht bei der Gesamtstrafenbildung die Urteile einzubeziehen.

Beispiel: Der Angeklagte wird wegen ... unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts X vom ... - (Az.) -, vom ... - (Az.) - ... und vom ... - (Az.) - zu einer Einheitsjugendstrafe von ... verurteilt (vgl. BGH, Beschl. v. 19.11.2008 - 2 StR 488/08).

Wird ein früheres Urteil gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG in die nunmehrige Entscheidung einbezogen, so entfallen die in dem einbezogenen Urteil verhängten Rechtsfolgen, als wäre diese Entscheidung nicht ergangen. Dies gilt auch, wenn in dem früheren Urteil Maßregeln verhängt worden waren (BGH, Urt. v. 27.10.1993 - 3 StR 432/93; BGH, Beschl. v. 12.6.1996 - 2 ARs 130/96 - NStZ 1997, 100, 101; BGH, Beschl. v. 17.3.2011 - 4 StR 49/11; zur Zulässigkeit der Einbeziehung, wenn in dem einbezogenen Urteil im Hinblick auf eine angeordnete Unterbringung gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung einer Jugendstrafe abgesehen wurde: BGH, Urteil vom 9. Dezember 1992 - 3 StR 434/92, BGHSt 39, 92, 93). Der die Entscheidung einbeziehende Tatrichter hat deshalb die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel neu zu prüfen und sie gegebenenfalls neu festzusetzen und nicht wie in den Fällen des § 55 Abs. 2 StGB auszusprechen, dass die Maßregel aufrechtzuerhalten sei (vgl. BGH, Beschl. v. 1.12.1987 - 4 StR 577/87 - BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 1; BGH, Beschl. v. 17.3.2011 - 4 StR 49/11).

 
 siehe auch:  § 31 JGG, Mehrere Straftaten eines Jugendlichen --> Rdn.40;  § 5 JGG, Die Folgen der Jugendstraftat --> Rdn. 80

Bei der Bildung einer Einheitsjugendstrafe sind dann, wenn in die einzubeziehende Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung einbezogen war, beide Entscheidungen erneut formell einzubeziehen und im Urteilstenor entsprechend zu kennzeichnen. Ist die frühere Entscheidung ebenfalls bereits unter Einbeziehung einer noch weiter zurückliegenden Entscheidung ergangen, so ist auch letztere einzubeziehen (BGH, Beschl. v. 28.9.2005 - 2 StR 403/05; BGH, Beschl. v. 13.10.2004 - 2 StR 346/04; BGH, Beschl. v. 19.11.2008 - 2 StR 488/08; BGH, Beschl. v. 16.9.2014 - 2 StR 101/14; vgl. auch BGH, Beschl. v. 8.11.2001 - 3 StR 378/01: betr. Härteausgleich bei rechtlich unzulässiger Einbeziehung).

Lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe im Zeitpunkt des auf die Revision des Angeklagten aufgehobenen Urteils vor, so sind §§ 105 Abs. 2, 31 Abs. 2 JGG auch dann anzuwenden, wenn die früher verhängte Strafe inzwischen vollstreckt ist. Wie bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB ist auch gemäß §§ 105 Abs. 2, 31 Abs. 2 JGG auf die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Tatsachenverhandlung abzustellen (BGH StraFo 2011, 288 mwN; BGH, Beschl. v. 20.3.2014 - 2 StR 584/13).
 




Jugendstrafe und Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts

95
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Bildung einer Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts bei getrennter Aburteilung nicht zulässig (BGHSt 14, 287, 288; BGH, Urt. v. 12.10.1989 – 4 StR 445/89 - BGHSt 36, 270; BGHSt 36, 294, 295; BGH, Beschl. v. 8.2.2012 - 5 StR 486/11; vgl. auch BGH, Beschl. v. 22.11.2016 - 4 StR 466/16 Rn. 3). Die Verhängung einer Einheitsstrafe für Straftaten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, kommt nach § 32 JGG nur bei gleichzeitiger Aburteilung in einer Verhandlung in Betracht (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 29.10.2008 - 2 StR 386/08). Die durch die getrennte Aburteilung begründete Härte hat der Tatrichter jedoch nach ständiger Rechtsprechung (beispielsweise BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 6) bei der Strafzumessung für die Erwachsenenstraftat zu berücksichtigen. Es kann etwa eine durch die Schwere der Straftat nicht gerechtfertigte Härte darstellen, wenn gegen einen Angeklagten sowohl eine Jugend- als auch eine in ihrer Wirkung dieser gleichstehende Freiheitsstrafe deshalb unverkürzt vollzogen werden soll, weil eine gleichzeitige Aburteilung nach § 32 JGG nicht stattgefunden hat. Der Bundesgerichtshof hat daher stets gefordert, eine solche Härte bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und auszugleichen (BGHSt 14, 287, 290; BGH, Urt. v. 12.10.1989 - 4 StR 445/89 - BGHSt 36, 270, 275 - NJW 1990, 523; Beschl. v. 11.5.1995 - 4 StR 172/95; BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - 4 StR 650/95 - BGHSt 41, 310 f. - NStZ 1996, 382; BGH, Beschl. v. 5.3.2002 - 3 StR 22/02; BGH, Beschl. v. 25.7.2002 - 4 StR 242/02; BGH, Beschl. v. 7.3.2006 - 5 StR 58/06: betr. Einbeziehung nach § 105 Abs. 2 JGG, vgl. dazu BGHSt 37, 34; BGH, Beschl. v. 16.9.2008 - 4 StR 316/08). Eine infolge des Härteausgleichs vorgenommene Strafmilderung ist hierbei deutlich zu dokumentieren (BGH, Urt. v. 12.10.1989 - 4 StR 445/89 - BGHSt 36, 270, 277; BGH, Beschl. v. 8.2.2012 - 5 StR 486/11; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09; BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 441/10 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19 und 20).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StGB kann eine Gesamtstrafe dann gebildet werden, wenn der Angeklagte durch eine frühere Verurteilung eines Jugendgerichts rechtskräftig für eine Tat, zu deren Tatzeit er Heranwachsender war, nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2016 - 2 StR 378/15 Rn. 10; MüKoStGB/Altenhain/Laue, JGG, 2. Aufl., § 105 Rn. 46; HK/Schatz, JGG, 7. Aufl., § 32 Rn. 3, 7).

Eine einheitliche nachträgliche Sanktionierung nach Jugendgerichtsgesetz scheidet demgegenüber von vorn herein aus, wenn davon auszugehen ist, dass der Angeklagte zunächst rechtskräftig nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde und später nach Erwachsenenstrafrecht bestraft wird. Nach § 105 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG kann zwar dann einheitlich nach Jugendstrafrecht verfahren werden, wenn ein Heranwachsender zuerst nach Erwachsenenstrafrecht rechtskräftig verurteilt worden ist und anschließend auf eine Tat, die er wiederum als Heranwachsender begangen hat, Jugendstrafrecht angewendet wird. Ist aber im anhängigen Verfahren eine Erwachsenenstraftat abzuurteilen, scheidet die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB ebenso aus wie eine einheitliche Strafe nach Jugendstrafrecht (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 29.2.1956 - 2 StR 25/56 - BGHSt 10, 100, 103; BGH, Urt. v. 12.10.1989 - 4 StR 445/89 - BGHSt 36, 270, 271 f.; BGH, Urt. v. 20.1.2016 - 2 StR 378/15; Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl. § 32 Rn. 8 mwN); auch in analoger Anwendung des § 32 JGG kann eine solche “Gesamtstrafenbildung” nicht erfolgen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.1988 - 1 StR 498/88 - BGHR JGG § 32 Aburteilung, getrennte 2), weil es insoweit schon an einer “planwidrigen Unvollständigkeit” des Gesetzes fehlt, da in § 105 Abs. 2 JGG ausdrücklich nur der umgekehrte Fall geregelt ist. Überdies würde bei einer analogen Anwendung des § 32 JGG ein Erwachsenengericht über Verfehlungen Heranwachsender entscheiden können, obwohl dann, wenn die Anwendung von Jugendstrafrecht in Frage kommt, grundsätzlich nur die Jugendgerichte zuständig sind, § 103 Abs. 2 Satz 1 JGG (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.1989 - 4 StR 445/89 - NStZ 1991, 130 f.; BGH, Urt. v. 20.1.2016 - 2 StR 378/15; Ostendorf, JGG, 10. Aufl., § 32 Rn. 7).


    siehe auch zur Einbeziehung einer (Erwachsenen-)Freiheitsstrafe in eine Jugendstrafe: § 31 JGG, Mehrere Straftaten eines Jugendlichen § 105 JGG, Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende  



§ 55 Abs. 2 StGB
 
... (2) Vermögensstrafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden. Dies gilt auch, wenn die Höhe der Vermögensstrafe, auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, den Wert des Vermögens des Täters zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung übersteigt.




Vermögensstrafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen

100
Im Fall der nachträglichen Gesamtstrafenbildung sind Maßnahmen, auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden (§ 55 Abs. 2 StGB). Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Aufrechterhalten von Maßnahmen dann nicht in Betracht kommt, wenn die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für ihre (weitere) Vollstreckung entfallen sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1996 - 3 StR 317/96 - BGHSt 42, 306, 308 m.w.N. - Zeitablauf bei Sperrfrist nach § 69a StGB; BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03 - BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 8 - Eigentumsübergang nach § 74e Abs. 1 StGB; BGH, Urt. v. 10.2.2011 - 4 StR 552/10 - Anordnung des Wertersatzverfalls; BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 4 StR 188/12: tatsächliche Erledigung des Fahrverbots).

Beispiel: Das Landgericht hat im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung unter anderem eine Strafe aus einer Verurteilung des Amtsgerichts X vom ... einbezogen und das in dem Urteil des Amtsgerichts verhängte dreimonatige Fahrverbot aufrechterhalten. Das dreimonatige Fahrverbot hatte sich bereits tatsächlich erledigt, weil der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Verurteilung durch das Amtsgericht nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, so dass die Verbotsfrist mit Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts begonnen hatte (§ 44 Abs. 2 Satz 1 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 4 StR 188/12).

Liegen die Voraussetzungen für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe vor, so ist gemäß § 55 Abs. 2 StGB - wie bei der gleichzeitigen Aburteilung aller Taten - der Verfall durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen. Das Gericht, das die Gesamtstrafe zu bilden hat, muss daher grundsätzlich auch über den in dem einzubeziehenden Urteil angeordneten Verfall neu entscheiden. Dabei hat es sich auf den Standpunkt des früheren Tatgerichts zu stellen, weil der Angeklagte durch die Entscheidung nach § 55 StGB so gestellt werden soll, als wenn über alle einzubeziehenden Straftaten gleichzeitig befunden worden wäre; er soll durch die Aburteilung in getrennten Verfahren weder benachteiligt noch bevorzugt werden. Dies wird regelmäßig dazu führen, dass der aufgrund einheitlicher Anordnung im neuen Urteil festzusetzende Verfallsbetrag nicht niedriger ausfallen wird als in der früheren Entscheidung (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 7 m. w. N.; BGH, Urt. v. 29.5.2008 - 3 StR 94/08). Kann das Revisionsgericht nicht entscheiden, ob ein solcher Ausspruch zu Unrecht unterblieben ist, stellt dies ist einen auf die Sachrüge zu beachtenden materiell-rechtlicher Fehler dar (vgl. BGH, Beschl. v. 12.9.2013 - 4 StR 228/13; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 108).

Leitsatz  Ist bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die in dem früheren Urteil angeordnete Sperrfrist
zur Erteilung der Fahrerlaubnis durch die Festsetzung einer einheitlichen neuen Sperrfrist "gegenstandslos" geworden, so ist, wenn im Rechtsmittelzug die Verurteilung wegen der Anlaßtat entfällt und der Maßregelausspruch deshalb aufgehoben wird, auszusprechen, daß die früher erkannte Maßnahme aufrechterhalten bleibt (BGH, Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00 - Ls. - NStZ 2001, 245).

Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter, wenn in der früheren Entscheidung eine Sperre gemäß § 69a StGB bestimmt war und der Angeklagte erneut wegen einer Straftat verurteilt wird, die seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erneut belegt, eine neue einheitliche Sperre festzusetzen (BGH, Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00 - NStZ 2001, 245; BGH, Beschl. v. 12.4.2016 - 2 StR 471/15 Rn. 4; OLG Köln VRS 61, 348 f; OLG Düsseldorf VRS 80, 273; Fischer StGB 62. Auflage § 69a Rn 27; Geppert in LK, StGB 12. Auflage § 69a Rn 62; Hentschel Trunkenheit Fahrerlaubnisentziehung Fahrverbot 8. Aufl. Rdn. 741 m.w.N.), die dann die alte Sperre gegenstandslos werden läßt (BGH, Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00 - NStZ 2001, 245; BGH, Beschl. v. 12.4.2016 - 2 StR 471/15 Rn. 4).

Bietet die neu abzuurteilende Tat keine Grundlage für die Anordnung einer Sperre, so muß die frühere Sperre, wenn die Frist nicht schon abgelaufen ist (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 29.7.2009 - 2 StR 264/09), bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung aufrechterhalten bleiben. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB, der damit die Bindung des für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zuständigen Gerichts an die Rechtskraft der früheren Entscheidung zum Ausdruck bringt (BGH NStZ 1992, 231), und ist auch dann zu beachten, wenn im Rechtsmittelverfahren als Folge einer Beschränkung des Schuldspruchs - etwa bei Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO - die Anlaßtat wegfällt und die noch verbleibenden Taten die Anordnung einer Maßnahme nach den §§ 69, 69a StGB nicht rechtfertigen können. In einem solchen Fall kann die Festsetzung der neuen Sperrfrist im angefochtenen Urteil keinen Bestand haben; an ihre Stelle muß der Ausspruch treten, daß die im früheren Verfahren festgesetzte Sperre - hier die vom Amtsgericht Buchen bestimmte - aufrechtzuerhalten ist. Dieser Ausspruch obliegt, weil zwingend, im Revisionsverfahren entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dem Revisionsgericht selbst (BGH, Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00 - NStZ 2001, 245).


Bei dem Vergleich, den die Beachtung des Verschlechterungsverbots verlangt, sind gegenüberzustellen der Nachteil, der den Angeklagten träfe, wenn es bei der von der Vorinstanz festgesetzten neuen Sperrfrist verbliebe, und derjenige, der ihn als Folge des Ausspruchs trifft, daß die im früheren Verfahren angeordnete Sperre - bei Wegfall der neuen Sperre - aufrechterhalten bleibt (BGH, Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00 - NStZ 2001, 245).

Ausgenommen werden gemäß § 55 Abs. 2 StPO Maßnahmen, die sich tatsächlich erledigt haben und gegenstandslos geworden sind und demzufolge die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für ihre (weitere) Vollstreckung entfallen sind, wie z.B. bei der - bereits rechtskräftig gewordenen - Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel (Eigentumsübergang nach § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG i.V.m. § 74e StGB auf den Staat) oder einer nach § 69a StGB bestimmten Sperrfrist, wenn diese durch Zeitablauf aus tatsächlichen Gründen erledigt ist (vgl. BGH NJW 2002, 1813 f.; NStZ 1996, 433; BGH, Urt. v. 11.12.2003 - 4 StR 398/03 und BGH, Beschl. v. 27.4.2017 - 2 StR 80/17 betr. Entziehung der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins; BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03; BGHSt 42, 306, 308; BGH, Beschl. v. 25.6.2008 - 2 StR 176/08: Sperrfrist war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung verstrichen; BGH, Beschl. v. 28.10.2009 - 2 StR 351/09 - NStZ-RR 2010, 58: Sperrfristendigung zum Zeitpunkt der Verkündung; BGH, Urt. v. 8.12.2009 - 1 StR 277/09 - NJW 2010, 2528; BGH, Beschl. v. 9.3.2010 - 4 StR 606/09 - NJW 2010, 1824; BGH, Beschl. v. 20.11.2014 - 1 StR 471/14 betr. Erledigung der Sperrfrist durch Zeitablauf).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist, wenn bei einer Gesamtstrafenbildung ein Urteil einzubeziehen ist, das unter anderem auf Entziehung der Fahrerlaubnis und Anordnung einer Sperrfrist erkannt hat, zu prüfen, ob sich die Sperrfrist infolge Zeitablaufs erledigt hat (BGH NStZ 1996, 433; BGH, Beschl. v. 25.7.2007 - 2 StR 279/07). Sollte sich die Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt haben, so ist lediglich die Entziehung der Fahrerlaubnis, nicht aber die Sperrfrist aufrecht zu erhalten (BGH NJW 2002, 1813, 1814; StV 1983, 14; BGH, Beschl. v. 14.2.2008 - 1 StR 542/07; Fischer StGB 63. Auflage § 55 Rn 33; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13.6.2008 - 2 StR 213/08). Bei Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht kommt es aber auf die Sachlage zum Zeitpunkt des ersten tatrichterlichen Urteils an; eine nach Erlass des ersten tatrichterlichen Urteils eingetretene Erledigung einer Strafe steht ihrer Einbeziehung im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB nicht entgegen (BGH, Beschl. v. 27.4.2017 - 2 StR 9/17 Rn. 5; Fischer StGB 63. Auflage § 55 Rn 6a); dies hat entsprechend für eine nach Erlass des ersten tatrichterlichen Urteils eingetretene Erledigung der Maßregel zu gelten (BGH, Beschl. v. 27.4.2017 - 2 StR 9/17 Rn. 5). Der Nachteil, der dem Angeklagten aus einer dem gegenläufigen Entscheidung erwachsen kann, liegt darin, dass eine Sperre gemäß § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB mit der Rechtskraft des Urteils beginnt, während der Lauf der neu festzusetzenden einheitlichen Sperrfrist schon mit der Rechtskraft der früheren Entscheidung beginnt (BGH NStZ 2001, 245; BGH, Beschl. v. 27.4.2017 - 2 StR 9/17 Rn. 5; Fischer StGB 63. Auflage § 55 Rn 32; Rissing van Saan in LK StGB 12. Auflage § 55 Rn 56; aA Geppert LK StGB 12. Auflage § 69a Rn 62ff.).

Bei der Gesamtstrafenbildung muss in der Urteilsformel mitgeteilt werden, welche der unterschiedlichen Sperrfristen für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten wird, damit Klarheit über den Fristablauf besteht (vgl. BGH, Beschl. v. 3.4.2002 - 3 StR 33/02). Eines Ausspruchs über die Aufrechterhaltung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Einziehung des Führerscheins bedarf es hingegen nicht, wenn diese Rechtsfolgen unmittelbar mit der Rechtskraft des einbezogenen Urteils wirksam wurden und sich deshalb erledigt haben (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 247; BGH, Beschl. v. 6.8.2009 - 3 StR 296/09; BGH, Beschl. v. 28.10.2009  – 2 StR 351/09 - NStZ-RR 2010, 58; BGH, Beschl. v. 18.11.2015 - 4 StR 442/15). Insoweit bedarf es deshalb keiner weiteren Vollstreckung mehr; diese Maßnahmen sind "erledigt" (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 247; BGH, Beschl. v. 28.10.2009 - 2 StR 351/09 - NStZ-RR 2010, 58; Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55 Rdn. 60).


  siehe auch: Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, § 69a StGB --> Dauer der Sperrfrist u. Fahrerlaubnisentziehung; Entziehung der Fahrerlaubnis, § 69 StGB --> Zeitablauf bei Sperrfrist und Entziehung

Die Regelung des § 55 Abs. 2 StGB trägt dem Umstand Rechnung, daß mit der nachträglichen Gesamtstrafenentscheidung diese die alleinige Vollstreckungsgrundlage bildet. Ist aber eine im früheren Urteil angeordnete Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer - erledigt, so fehlt es an der Notwendigkeit, gleichwohl über ihre Aufrechterhaltung zu befinden, wenn dies auch regelmäßig unschädlich, in Zweifelsfällen sogar sinnvoll sein wird (BGH, Urt. v. 11.12.2003 - 4 StR 398/03; BGH, Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03).

 
siehe auch:  Urteil, § 260 StPO ---> Urteilsformel ---> Formulierungen

So ist etwa auch auszusprechen, dass es bei der bestimmten Anrechnung der Auslieferungshaft im Maßstab 1:2 verbleibt (§ 55 Abs. 2 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.2008 - 2 StR 56/08).

 
siehe auch: Anrechnung von Haft, § 51 StGB;  Urteil, § 260 StPO 

Ist bei einem Berufungsurteil auch über die Strafhöhe entschieden worden, liegt eine Sachentscheidung vor (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 9; BGH, Beschl. v. 6.2.2007 - 4 StR 602/06; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 6 und 7).

Leitsatz  Ist der Angeklagte rechtskräftig bestraft und im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, so ist bei einer Verurteilung wegen einer zuvor begangenen Tat, die zur nachträglichen Gesamtstrafbildung nach § 55 StGB führt, allein die Aufrechterhaltung der Maßregel geboten, hingegen die erneute Anordung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht zulässig (im Anschluss an BGHSt 30, 305) (BGH, Urt. v. 23.6.2009 - 5 StR 149/09 - Ls. - NJW 2009, 2903).

Neben der gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB zutreffend erfolgten Aufrechterhaltung der Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist die erneute - doppelte - Anordnung einer Maßregel mit gleichem Inhalt nicht zulässig (vgl. BGHSt 30, 305, 307; 42, 306, 309; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 4; BGH NZV 1997, 183; NStZ 1998, 79; BGH, Beschlüsse vom 8. November 1991 - 2 StR 409/91 und vom 22. Juli 2005 - 2 StR 258/05; BGH, Beschl. v. 6.7.2010 - 5 StR 142/10 betr. Anordnung der Sicherungsverwahrung). Denn der Täter soll auch insoweit entsprechend dem Grundgedanken des § 55 StGB so gestellt werden, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten gestanden hätte (Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55 Rdn. 58; vgl. auch Fischer, StGB 56. Aufl. Rdn. 31; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Rdn. 58a). Bei gleichzeitiger Aburteilung wäre die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nur einmal angeordnet worden. Auf die Frage der Berechtigung einer wiederholten Anordnung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 14.7.2005 - 3 StR 216/05 - BGHSt 50, 199, 205 - StraFo 2005, 472; BGH, NStZ-RR 2007, 8, 9) kommt es hier nicht an, da eine solche im Anwendungsbereich des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB gänzlich ausscheidet. Durch das Hinzutreten einer weiteren, die Unterbringung bereits für sich rechtfertigenden Anlasstat verändert sich die Maßregel nicht. Vielmehr entspricht sie in jeder Hinsicht der bereits angeordneten Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (BGH, Urt. v. 23.6.2009 - 5 StR 149/09 - NJW 2009, 2903).


Zwar gilt der Gedanke des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB im Bereich der Nebenfolgenentscheidung auch für Konstellationen, in denen die frühere Tat bei der bereits getroffenen Anordnungsentscheidung – jedenfalls zeitlich gesehen – hätte mitberücksichtigt werden können. Ist eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung wegen der Zäsurwirkung einer weiteren Vorverurteilung nicht möglich oder unterliegen die abzuurteilenden Taten nicht der Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus der Vorverurteilung, durch die auch die Maßregel angeordnet worden ist, weil die hieraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe bereits vollständig vollstreckt ist, ist der Täter so zu stellen, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Strafen gestanden hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 6.7.2010 - 5 StR 142/10 - NStZ-RR 2011, 41; BGH, Urt. v. 20.1.2016 - 2 StR 378/15; LK-Rissing-van Saan, 12. Aufl., StGB § 55 Rn. 58).

 
siehe auch: § 63 StGB, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Die Urteilsformel kann vom Revisionsgericht in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 55 Abs. 2 StGB (vgl. dazu BGH, Urt. v. 10.4.1979 – 4 StR 87/79 - NJW 1979, 2113) dahin ergänzt werden, dass das im ersten Rechtsgang angeordnete fünfjährige Berufsverbot gegen den Angeklagten aufrechterhalten bleibt. Über dieses Berufsverbot hatte das Landgericht im angefochtenen Urteil nicht mehr entschieden. Den Urteilsausführungen war jedoch zu entnehmen, dass die Strafkammer, im Ergebnis zutreffend (BGH, Urt. v. 10.4.1979 – 4 StR 87/79 - NJW 1979, 2113), davon ausgegangen ist, das Berufsverbot sei in Rechtskraft erwachsen. Sie hätte indes entsprechend § 55 Abs. 2 StGB die Anordnung des Berufsverbots ausdrücklich aufrechterhalten müssen. Ist dies ersichtlich versehentlich unterblieben, kann das Revisionsgericht die Urteilsformel insoweit ergänzen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2012 - 4 StR 334/12).

Zum Fall des Vorrangs der Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung vor der Regelung des § 67f StGB siehe: 
§ 67f StGB - Rdn. 5 - Neue Entscheidung über die Maßregelanordnung

Zum Vorwegvollzug nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung siehe: § 67 StGB Rdn. 25.5.1 - Vorwegvollzug bei Bildung getrennter Strafen




Maßregelanordnungen im Jugendstrafrecht

120
Bei Einbeziehung eines früheren Urteils in die neue Verurteilung (§ 105 Abs. 1, § 31 Abs. 2 JGG) sind die in dem ersten Erkenntnis festgesetzten Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB aufrechtzuerhalten, sondern deren Voraussetzungen vielmehr erneut zu prüfen und gegebenenfalls neu anzuordnen (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1993 - 3 StR 432/93, Rn. 3 f.; BGH, Beschl. v. 17.3.2011  - 4 StR 49/11 - StraFo 2011, 240; BGH, Beschl. v. 19.8.2014 - 3 StR 88/14).

  siehe auch oben Rdn. 90
 



Urteil




Urteilsformel

U.1
Bei Einbeziehung von früheren Verurteilungen in eine neu zu bildende Gesamtstrafe ist es erforderlich, die einzelnen Taten und die jeweils verhängten Einzelstrafen konkret zu bezeichnen (BGH NStZ 1987, 183; BGH, Beschl. v. 9.7.2008 - 1 StR 336/08). Bei mehreren Gesamtstrafen muss sich aus dem der Vollstreckung dienenden Urteilstenor ergeben, für welche Taten welche Gesamtfreiheitsstrafe verhängt worden ist (BGH, Beschl. v. 21.11.2006 - 2 StR 341/06). Sind mehrere Gesamtstrafen zu verhängen, ist die Urteilsformel so zu fassen, dass sie erkennen lässt, welchen Taten die jeweilige Gesamtstrafe zuzuordnen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5.10.2000 - 4 StR 377/00; BGH, Beschl. v. 24.7.2007 - 4 StR 237/07; BGH, Beschl. v. 9.1.2008 - 2 StR 531/07; BGH, Beschl. v. 11.6.2008 - 2 StR 13/08; BGH, Beschl. v. 28.10.2009 - 2 StR 351/09 - NStZ-RR 2010, 58; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. Rdn. 83).

Beispiel: Der Angeklagte wird wegen Bandendiebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mainz vom ... zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie wegen Diebstahls unter Auflösung und Wegfall der in dem Urteil des Amtsgerichts ... vom ... gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der Strafen aus diesem Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt (vgl. BGH, Beschl. v. 11.6.2008 - 2 StR 13/08).

Fehlerhaft ist es, zusätzlich zu den neuen Taten noch die dem einbezogenen Urteil zugrundeliegenden Taten im Tenor anzugeben, weil sie dann zweimal erwähnt würden (BGH, Urt. vom 25. August 1987 - 4 StR 224/87 - mitgeteilt bei Böhm NStZ 1988, 490, 492; BGH, Beschl. v. 23.8.2001 - 3 StR 261/01 - NStZ 2002, 29).

 
siehe auch:  Urteil, § 260 StPO --> Formulierungen bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung

Bei der Bildung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung von zur Bewährung ausgesetzter Strafen ist gegebenenfalls auch über die Anrechnung im Rahmen der Bewährung erbrachter Leistungen zu entscheiden ist (§ 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 8.6.2011 - 4 StR 249/11; BGH, Beschl. v. 21.6.2011 - 5 StR 194/11).

Beispiel: ..."zum Ausgleich für die 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit, die der Angeklagte in Erfüllung der aufgrund des einbezogenen Urteils erteilten Bewährungsauflage geleistet hat, sind 20 Tage Freiheitsstrafe auf die Vollstreckung der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen" ... (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2011 - 5 StR 194/11).
 




[ Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen
]

U.1.5
Die Anrechnung erbrachter Leistungen nach § 56f Abs. 3 Satz 2, § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB hat grundsätzlich nicht schon bei der Bemessung der Strafe, sondern bei der Vollstreckung zu erfolgen. Dazu ist im Urteilstenor mitzuteilen, in welchem Umfang die erbrachten Leistungen auf die Vollstreckungsdauer angerechnet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 StR 283/89 - BGHSt 36, 378, 382 ff.; BGH, Beschl. v. 2.2.1994 - 3 StR 615/93 - BGHR StGB § 58 Abs. 2 Satz 2 Anrechnung 3; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 58 Rn. 10; siehe hierzu oben Rdn. 65).

Beispiel: ... Der Angeklagte wird unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts ... vom ... zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von ... verurteilt wird; auf die Vollstreckungsdauer dieser Gesamtfreiheitsstrafe werden zum Ausgleich für die 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit, die der Angeklagte in Erfüllung der aufgrund des genannten Urteils des Amtsgerichts ... erteilten Bewährungsauflage geleistet hat, zwei Monate Freiheitsstrafe angerechnet (vgl. BGH, Beschl. v. 4.9.2012 - 3 StR 334/12).
 




Urteilsgründe

U.2
Bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe sind neben Anzahl und Höhe der einbezogenen Einzelstrafen grundsätzlich auch deren Strafzumessungsgründe anzugeben (BGH, Beschl. v. 18.9.2012 - 3 StR 302/12; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 55 Rn. 17).

In den Urteilsgründen sind, wenn eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt, die hierfür maßgeblichen Umstände darzulegen, insbesondere also die Daten von Vorverurteilungen oder Gesamtstrafenbeschlüssen, deren Rechtskraft, Tatzeiten der abgeurteilten Fälle, Erledigungsstand der in Betracht kommenden Strafen sowie Höhe und wesentliche Zumessungsgründe von Einzelstrafen (BGH, Beschl. v. 27.7.1988 – 3 StR 236/88; BGH, Beschl.v. 11.1.2000 - 5 StR 651/99 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7; BGH, Beschl. v. 11.1.2011 - 4 StR 450/10; Fischer, StGB, 58. Aufl.,, § 55 Rn. 34; vgl. auch BGH, Beschl. v. 23.7.2013 - 3 StR 197/13).
 




[ Mitteilung der Strafzumessungserwägungen
]

U.2.1
Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung muss der Tatrichter die Strafzumessungserwägungen bezüglich der einzubeziehenden Strafen im Urteil mitteilen. Eine bloße Bezugnahme hierauf reicht nicht aus, weil damit in unzulässigerweise auf Erkenntnisquellen außerhalb des eigenen Urteils verwiesen wird (vgl. BGH, Beschl. v. 23.1.2002 - 2 StR 520/01 - NStZ-RR 2002, 137). 

Wurden bei der Gesamtstrafenbildung zwar den vom jeweiligen Vorderrichter angestellten Strafzumessungsgesichtspunkten „ausschlaggebende Bedeutung“ zugemessen, aber versäumt, diese in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 4 StR 658/10; BGH, Beschl. v. 6.6.2017 - 2 StR 536/16 Rn. 2), ist es dem Revisionsgericht nicht möglich, die getroffenen Gesamtstrafenentscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Dies kann – auch eingedenk des beschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen – zur Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche führen (vgl. BGH, Beschl. v. 6.6.2017 - 2 StR 536/16 Rn. 2).



Prozessuales




Rechtsmittel

Z.7




[ Anwendungspflicht
]

Z.7.1
Die Anwendung des § 55 StGB ist für den Tatrichter zwingend. Die Bildung der Gesamtstrafe darf nicht dem Beschlußverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, sondern ist vom neuen Tatrichter nachzuholen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 30.6.1958 – GSSt 2/58 - BGHSt 12, 1 ff.; BGH StV 1982, 569; BGH, Beschl. v. 24.1.2001 - 2 StR 422/00; BGH, Urt. v. 17.2.2004 – 1 StR 369/03 - NStZ 2005, 32; BGH, Beschl. v. 22.2.2012 - 4 StR 22/12; BGH, Beschl. v. 17.9.2013 - 1 StR 370/13; siehe hierzu oben Rdn. 10). Dies gilt auch für den Tatrichter, der nach in der Rechtsmittelinstanz erfolgter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst wird. Eine durch Teilaufhebung und –zurückverweisung eingetretene Teilrechtskraft des Strafausspruchs steht – bei neu entstandener oder bislang unbekannt gebliebener Gesamtstrafenlage im Sinne des § 55 StGB – einer Anwendung des § 55 StGB durch den Tatrichter nicht entgegen. Da im Beschlussverfahren nach § 460 StPO die Durchbrechung der Rechtskraft auch in dem Verfahren, in welchem die Vorschrift des § 55 StGB außer Betracht geblieben ist, ohne Weiteres zulässig ist, besteht kein Anlass, dem Tatrichter aus Gründen der Teilrechtskraft eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren zu verwehren (vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 StR 212/10 - BGHSt 55, 220 Tz. 34 ff. für den Fall der wirksam beschränkten Berufung).

Die Entscheidung über eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe noch im Erkenntnisverfahren entspricht vielmehr dem Grundsatz der Verfahrensökonomie und dem Beschleunigungsgebot. Zudem bietet das Erkenntnisverfahren insbesondere wegen des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewinnbaren unmittelbaren persönlichen Eindrucks regelmäßig eine bessere Garantie für eine gerechtere Strafzumessung als das schriftliche Beschlussverfahren (vgl. BGH, Beschl. v. 22.2.2012 - 4 StR 22/12; BGH, Beschl. v. 18.9.1974 – 3 StR 217/74 - BGHSt 25, 382, 384; BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 StR 212/10 - BGHSt 55, 220 Tz. 26 ff.). Das Urteilsverfahren ist wegen des in ihm erhobenen Strengbeweises und wegen des in der Hauptverhandlung gewinnbaren unmittelbaren persönlichen Eindrucks dem Beschlussverfahren grundsätzlich überlegen (vgl. Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar StGB 12. Aufl. Rdn. 46 zu § 55). Im Nachverfahren wird hingegen gemäß § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO ohne mündliche Verhandlung im Freibeweisverfahren entschieden (BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10).

Ob die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe vorliegen, ist bereits auf die Sachrüge hin zu beachten (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2001 - 2 StR 506/01; anders: BGH, Beschl. v. 10.11.2010 - 5 StR 456/10 - StV 2011, 225 unter Hinweis auf BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2, 4, wonach grundsätzlich eine Verfahrensrüge erforderlich ist).

Das Beschlussverfahren kommt nur zum Zuge, wenn bei der tatrichterlichen Entscheidung § 55 StGB "außer Betracht geblieben" ist (vgl. KK-Appl StPO 6. Aufl., Rdn. 4 zu § 460), wobei mit den Worten "außer Betracht geblieben sind" ein tatsächliches Geschehen umschrieben wird (BGHSt 12, 1, 3; BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10).


  siehe zu den Voraussetzungen des Beschlussverfahrens ausführlich:  Nachträgliche Gesamtstrafenbildung, § 460 StPO, Gerichtliche Entscheidungen; Sofortige Beschwerde, § 462 StPO und  Eigene Sachentscheidung, Zurückverweisung , § 354 StPO Rdn. 125
 




- Schweigen des Urteils zum Vollstreckungsstand

Z.7.1.1
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Urteil vom 17. Februar 2004 (BGH, Urt. v. 17.2.2004 - 1 StR 369/03 - BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4) entschieden, dass das Schweigen eines Urteils zum Vollstreckungsstand einer gesamtstrafenfähigen Entscheidung keinen Erörterungsmangel darstellt, weil in diesem Fall grundsätzlich davon auszugehen sei, dass dem Tatrichter insoweit Feststellungen nicht möglich waren. Gegen diese Rechtsansicht hat der 2. Strafsenat Bedenken geäußert (vgl. BGH, Beschl. v. 15.9.2006 - 2 StR 280/06).

Die Anwendung des § 55 ist zwingend und darf grundsätzlich nicht dem Nachtragsverfahren nach § 460 StPO überlassen werden (BGHSt 12, 1, 5 f.; 23, 98, 99; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2 und 3; BGH, Beschl. v. 21.3.2000 - 4 StR 43/00; BGH, Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02; BGH, Beschl. v. 4.12.2002 - 2 StR 410/02; BGH, Beschl. v. 17.7.2007 - 4 StR 293/07). Zwar stellt das Schweigen eines Urteils zu § 55 StGB u.U. dann keinen auf die Sachrüge hin zu prüfenden Erörterungsmangel dar, wenn z.B. die Unterlagen für eine möglicherweise gebotene Gesamtstrafenbildung - trotz sachgerechter Terminsvorbereitung - nicht vollständig vorliegen und die Hauptverhandlung allein wegen deshalb noch erforderlicher Erhebungen mit weiterem erheblichen Zeitaufwand belastet werden würde (BGHR StGB § 55 Absatz 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 m.w.N.). Dies gilt allerdings nicht, wenn das Tatgericht die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung ersichtlich nicht geprüft und in der Folge bewusst dem Beschlussverfahren überlassen, sondern diese übersehen hat (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 15.9.2006 - 2 StR 280/06; BGH, Beschl. v. 17.7.2007 - 4 StR 293/07).


Die Verletzung des § 55 StGB führt nicht nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn nach dem Inhalt der Urteilsgründe feststeht, daß der Tatrichter den § 55 StGB zu Unrecht nicht angewandt hat. Das Revisionsgericht muß das angefochtene Urteil auch dann aufheben, wenn nach dessen Gründen nicht ausgeschlossen werden kann, daß es auf einer Verletzung des sachlichen Strafrechts beruht. Die Aufhebung ist deshalb grundsätzlich auch dann geboten, wenn nach den Gründen des angefochtenen Urteils die Möglichkeit besteht, daß der Tatrichter den § 55 StGB verletzt hat (vgl. BGHSt 12, 1, 9) und die in der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen zu dieser Regel (Erforderlichkeit von Ermittlungen mit erheblichem Zeitaufwand, erfolgversprechendes Wiedereinsetzungsgesuch gegen Versäumung der Rechtsmittelfrist bezüglich des früheren Urteils, Erwartung einer weiteren Gesamtstrafenbildung mit einer anderen Strafe, vgl. Stree in: Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 55 Rdn. 72 m.w.N.) nicht vorliegen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2002 - 4 StR 519/01).

 
 siehe hierzu näher:  § 354 StPO Rdn. 125.1 - Verweisung auf das Beschlussverfahren 




Gesetze

Z.8




[ Verweisungen
]

Z.8.1
In § 55 StGB wird verwiesen auf:

§ 53 StGB  siehe auch: 
Tatmehrheit, § 53 StGB
§ 54 StGB  siehe auch: 
Bildung der Gesamtstrafe, § 54 StGB
§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB  siehe auch: 
Personen- und Sachbegriffe, § 11 StGB

Auf § 55 StGB wird verwiesen in:

§ 58 StGB  siehe auch: 
§ 58 StGB, Gesamtstrafe und Strafaussetzung

§ 354 StPO  siehe auch:  § 354 StPO, Eigene Sachentscheidung; Zurückverweisung
§ 460 StPO  siehe auch:  § 460 StPO, Nachträgliche Gesamtstrafenbildung
 



[ Änderungen § 55 StGB ]

Z.8.2
§ 53 StGB wurde mit Wirkung vom 1.7.2017 geändert durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872). Zuvor hatte die Vorschrift folgenden Wortlaut:

"§ 55 StGB
Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Vermögensstrafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden. Dies gilt auch, wenn die Höhe der Vermögensstrafe, auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, den Wert des Vermögens des Täters zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung übersteigt."




Vollstreckungsreihenfolge

Z.11
Vollstreckungsbehörde und Gericht haben grundsätzlich darauf zu achten, dass eine Freiheitsstrafe, mit der nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt, jedenfalls nicht vor einer früher verhängten, nicht gesamtstrafenfähigen Freiheitsstrafe vollstreckt wird (§ 43 Abs. 2, 4 StVollstrO; BGH, Beschl. v. 8.7.2009 - 5 StR 217/09 - NStZ-RR 2009, 323). 




Kosten

Z.12




[ Verfahrenskosten bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung
]

Z.12.5
In der amtlichen Vorbemerkung 3.1 zu Teil 3 Hauptabschnitt 1 des Kostenverzeichnisses ist hierzu unter V. ausgeführt (Nachweis bei Hartmann, Kostengesetze 42. Aufl. S. 446):

„Wird aufgrund des § 55 Abs. 1 StGB in einem Verfahren eine Gesamtstrafe gebildet, bemisst sich die Gebühr für dieses Verfahren nach dem Maß der Strafe, um das die Gesamtstrafe die früher erkannte Strafe übersteigt.“

Weitere Auswirkungen auf den Kostenansatz hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StGB nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 13.6.2013 - 1 StR 592/12).

Beispiel: Durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2006 wurde der Verurteilte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Durch Urteil dieses Landgerichts vom 4. Juni 2012 wurde er unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil vom 13. Oktober 2006 und Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Verurteilten gegen dieses Urteil durch Beschluss vom 21. Februar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Nachdem zunächst Kosten in Höhe von 1.200 € angesetzt worden waren, hat die Kostenbeamtin beim Bundesgerichtshof am 16. Mai 2013 der vom Verurteilten hiergegen eingelegten Erinnerung in Höhe von 720 € abgeholfen und ihm für das Revisionsverfahren noch Kosten in Höhe von 480 € in Rechnung gestellt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte, der geltend macht, wegen der Einbeziehung hätten keine weiteren Kosten geltend gemacht werden dürfen. Die gemäß § 66 Abs. 1 GKG zulässige Erinnerung, über die nach § 139 Abs. 1 GVG der Senat zu entscheiden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2006 - 5 StR 569/05 und vom 11. Oktober 2006 - 1 StR 270/06), ist unbegründet. Die Kostenbeamtin beim Bundesgerichtshof hat nach § 19 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 3 Abs. 2 GKG zu Recht eine Gebühr in Höhe von 480 € für das Revisionsverfahren angesetzt. Die Höhe dieser Gebühr ergibt sich aus Ziffer 3130 (Faktor 2,0) i.V.m. Ziffer 3111 (Gebühr 240 €) des Kostenverzeichnisses. Zutreffend hat sie für die Ermittlung der Gebühr nach Teil 3 Hauptabschnitt 1 Ab-schnitt 1 auf die Erhöhung der Gesamtstrafe aus dem Urteil vom 13. Oktober 2006 gegenüber dem Urteil vom 4. Juni 2012 abgestellt (Zusatzstrafe) und daneben die für das erste Verfahren berechnete Gebühr unberührt gelassen (BGH, Beschl. v. 13.6.2013 - 1 StR 592/12). 
 
 
Strafgesetzbuch - Allgemeiner Teil - 3. Abschnitt (Rechtsfolgen der Tat) 3. Titel (Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen)
 
 




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